Der Mann für alle Fälle
19.12.2025 Region Oberfreiamt, Gewerbe, PorträtTotal 28 Jahre lang stand Pius Wiss Dietwil als Ammann vor – Ende Jahr nun ist Schluss
Von 1990 bis 2001 und von 2010 bis 2025. 28 Jahre im Gemeinderat, 28 Jahre als Gemeindeammann. «Ich war schon immer sehr engagiert», sagt Pius Wiss. Dabei legte er den ...
Total 28 Jahre lang stand Pius Wiss Dietwil als Ammann vor – Ende Jahr nun ist Schluss
Von 1990 bis 2001 und von 2010 bis 2025. 28 Jahre im Gemeinderat, 28 Jahre als Gemeindeammann. «Ich war schon immer sehr engagiert», sagt Pius Wiss. Dabei legte er den Fokus nie nur auf Dietwil, sondern auf die gesamte Region.
Annemarie Keusch
Solche Leute tragen ein Dorf. Im Fall von Pius Wiss ist das keinesfalls übertrieben. 28 Jahre lang engagierte er sich total im Gemeinderat. Und zwar zweimal dann, als die Situation in Dietwil nicht einfach war. 1990 war der gesamte Gemeinderat neu. Wiss übernahm als neuer Gemeinderat auch gleich als Ammann Verantwortung. 20 Jahre später war die Situation dieselbe. Wieder klopfte das Wahlkomitee bei ihm an. «Eigentlich dachte ich, meinen Dienst an der Gemeinde getan zu haben.» Auch weil Pius Wiss damals nicht «nur» Gemeindeammann war, sondern auch Feuerwehrkommandant. Er sagte trotzdem zu. «Weil es mir am Herzen lag, dass die Gemeinde funktioniert.» Und weil er trotz acht Jahren Unterbruch viel Vorwissen mitbrachte. Die zweite Amtszeit dauerte gar noch länger als die erste.
Die Gemeinde sei eine wichtige Institution, das betont Pius Wiss während des Gesprächs mehrmals. Darum habe er sich gerne eingesetzt. «Vielleicht leide ich ein wenig am Helfersyndrom», sagt er und lacht. Denn nicht nur in der Gemeinde engagierte er sich stets mit vollem Einsatz. 2001 trat er als Ammann zurück, weil er Präsident des nationalen Forstunternehmerverbandes wurde. «Ja, wenn ich von etwas überzeugt bin, dann gebe ich mich voll und ganz ein.» Ob in der Gemeinde, im Verband oder in seinem Forstunternehmen, das mittlerweile einer der Söhne führt.
«Seine» Deponie
Wenig Freizeit, damit ist Pius Wiss in den letzten drei Jahrzehnten immer ausgekommen. Nicht nur er, auch seine Familie. «Ohne sie wäre das gar nie möglich gewesen», sagt er. Kürzlich habe er seine längst erwachsenen Kinder gefragt, wie das für sie war. Ihre Antwort: «Wir kannten nichts anderes.»
Geprägt und miterlebt hat Pius Wiss so manche Veränderung im südlichsten Dorf des Kantons Aargau. In seiner ersten Zeit als Ammann war es der Bau von Gemeindehaus und Feuerwehrlokal oder die Badi-Sanierung. In den letzten 16 Jahren prägten die Schulhaus-Erweiterung und die Turnhallenund Badi-Sanierung das Geschehen. Und natürlich die Deponie Babilon. «Seine» Deponie. Wieder lächelt Pius Wiss. Die Idee dazu hatte der Gemeinderat zwar vor seiner Amtszeit. Von der Planung über die Eröffnung 2018 bis zum Aufgleisen der Erweiterung – all das hat Pius Wiss massgeblich zu verantworten. «Ein Projekt, das der Gemeinde vor allem finanziell viele Vorteile brachte.» Rund drei Millionen Franken sind es alleine für die Einwohnergemeinde. «Darauf bin ich schon stolz», sagt Wiss. Rund die Hälfte wurde in Projekte investiert, sodass Dietwil in Sachen Infrastruktur sehr gut dasteht. Dank der anderen Hälfte konnte der Steuerfuss um sechs Prozente gesenkt werden. «Immer waren nicht alle einverstanden mit der Deponie, aber wir konnten stets Lösungen finden. Ausser vielleicht etwas mehr Staub bekam die Bevölkerung vom Betrieb kaum etwas mit.»
Region stärken, um Gemeinden zu stärken
Dietwil ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. «Seit 1990 hat sich das Dorf anhand der Einwohnerzahl verdoppelt», erzählt Pius Wiss. Aber auch das Amt habe sich verändert. «Der Handlungsspielraum ist kleiner geworden.» Die Möglichkeiten sind beschränkt. «Natürlich hätte ich es lieber anders.» Schliesslich ist Wiss Unternehmer und sich gewohnt, mit Ideen und Innovation vorwärtszugehen. Solche konnte er dennoch einbringen in den vielen verschiedenen Ressorts, die er in den 28 Jahren als Gemeinderat betreute. «Hochbau gehörte nie dazu, aber bei fast allen Gemeindebauten war ich in der Baukommission, nicht selten deren Präsident.» Vorangehen, Verantwortung übernehmen, das liegt ihm.
Das zeigte sich in den letzten Jahren mehr als deutlich in Dietwil, aber auch überregional. Als Präsident des Regionalen Führungsorgans. Als Präsident der Repla Oberes Freiamt. Wiss erklärt: «Im Bezirk Muri gibt es viele kleine Gemeinden. Dass alle alles selber machen, das geht längst nicht mehr. Entsprechend wichtig ist mir die regionale Zusammenarbeit.» Kommt hinzu, dass ihn Raumplanungsthemen per se interessieren. Für Wiss ist klar: «Um Gemeinden zu stärken, muss man die Region stärken.» Das sei nicht einfach. «Aus Perspektive des Kantons sind wir eine Randregion. Aus nationaler Perspektive sind wir mitten im prosperierenden Kuchen.» Bestehen und sich entwickeln könne die Region, wenn sie zusammensteht. Etwa im Kampf um mögliche Einzonungen. «Raumplanung braucht einen langen Atem.» Diesen bewies Wiss auch in der Repla. Seit 16 Jahren sitzt er im Vorstand, an der nächsten GV wird er nach zwölf Jahren als Präsident verabschiedet werden.
Kündete Rücktritt vor vier Jahren an
Engagement im Dorf, Engagement in der Region – wurde es ihm nie zu viel? «Nur punktuell.» Aber über den Kopf gewachsen sei ihm das alles nie. Mit seiner ruhigen Art gelang es ihm stets, den Überblick zu behalten. «Diese ruhige Art ist mein grosses Glück.» Stress merken ihm höchstens seine Nächsten an. Dennoch gibt er sein Amt nun per Ende Jahr weiter. So, wie er es vor vier Jahren angekündigt hat. «Eigentlich sagte ich schon 2010, dass ich maximal eine Legislatur bleibe.» Geklappt hat es nicht. Nun ist der Abschied aber definitiv. Weil Wiss pensioniert ist. Weil er überzeugt ist, dass der Gemeinde neue Ideen guttun. Nur leicht fällt es ihm aber nicht. «Schliesslich kommt der perfekte Zeitpunkt nie. Nie sind alle Projekte abgeschlossen.» Allen voran die Deponie würde er gerne weiter begleiten. Wehmütig wird Pius Wiss deswegen aber nicht. «Ich habe Erfahrung im Aufhören», meint er und lacht.
Dietwil wird ihm aber auch in Zukunft am Herzen liegen. Das Dorf, in dem er aufwuchs. Wo er zu Hause ist. Das er geprägt hat. «Ich werde die Entwicklungen natürlich weiter verfolgen.» Nun freue er sich aber darauf, weniger Termine zu haben. «Auch wenn ich zugeben muss, dass ich davor auch ein wenig Respekt habe.» Gut, dass er im Forstunternehmen des Sohnes weiterhin mitwirken kann. Eine leere Agenda wäre definitiv nicht seins.

