Der Jaguar passt sich an
22.12.2023 Fussball, SportVon Kap Verde zum FC Bremgarten – Wie Adilson Dos Santos die Schweiz erlebt
Die Liebe spülte Adilson Dos Santos aus Kap Verde in die Schweiz. In seiner Heimat war er bei warmen Temperaturen Tourguide. Jetzt arbeitet er bei Kälte auf dem Bau. Und steht mit ...
Von Kap Verde zum FC Bremgarten – Wie Adilson Dos Santos die Schweiz erlebt
Die Liebe spülte Adilson Dos Santos aus Kap Verde in die Schweiz. In seiner Heimat war er bei warmen Temperaturen Tourguide. Jetzt arbeitet er bei Kälte auf dem Bau. Und steht mit 40 Jahren im Tor des FC Bremgarten.
Josip Lasic
Adilson Luis Silva Dos Santos. Das ist der volle Name des sympathischen Typen, der im vorweihnachtlich geschmückten Städtli in Bremgarten über sein Leben erzählt. «Beim FC Bremgarten nennen sie mich einfach Adi», sagt er lächelnd. «In meiner Heimat hatte ich aber einen anderen Spitznamen.» Dort nannte man ihn «Jaguar». «Weil ich im Tor so flink war wie eine Raubkatze», sagt er stolz. Bis Verletzungen dazwischenkamen. Doch trotzdem kann er sich in seinem hohen Fussballalter noch in der 2. Liga der Schweiz behaupten. Dort spielt er für den FC Bremgarten.
Bei der Arbeit die Liebe gefunden
Es eisiger Wind zischt an diesem Dezemberabend durch das Städtli. «An das Wetter habe ich mich noch nicht gewöhnt», lacht er. «In Kap Verde pflegte ich den Touristen zu erzählen, dass wir nur zwei Jahreszeiten kennen. Sommer und Sommer. Hier in der Schweiz ist das anders.» Der 40-Jährige, der in seiner Heimat als Touristenguide arbeitete, spricht Englisch, Portugiesisch, Spanisch und Französisch. Sein Deutsch ist noch ausbaufähig. «Ich habe als Touristenguide den Besuchern die sehenswerten Plätze gezeigt. Da war es stets von Vorteil, mehrere Sprachen zu können.»
Bei seiner Arbeit hat er vor mehreren Jahren eine Begegnung, die sein Leben verändert. Eine portugiesische Familie, die seit Jahrzehnten in Bremgarten wohnt, ist auf Kap Verde in den Ferien. Dos Santos zeigt ihnen das Land – und verliebt sich Hals über Kopf in die Tochter. Mittlerweile sind die beiden verheiratet. Sie ist der Grund, dass er seit etwas mehr als einem Jahr in der Schweiz lebt.
«Man muss sich anpassen»
Jetzt arbeitet der Sportler bei der Rocchinotti AG in Bremgarten auf dem Bau. «Es war eine Umstellung. Vor allem weil ich eine solche Arbeit noch nie vorher gemacht habe. Aber um im Leben voranzukommen, muss man sich anpassen können.» Wo er keine Anpassungsfähigkeit beweisen wollte, war bei seiner Liebe zum Fussball. Die hat er mit in die Schweiz gebracht. Zuvor hat er jahrelang in der höchsten kapverdischen Liga gespielt, dort auch mehrere Titel gewonnen. Zum Nationalspieler hat es aber nie gereicht. Stolz zählt er die Profifussballer auf, die seine Heimat hervorgebracht hat. Nani oder Nelson Semedo sind Stars, die sich aber entschieden haben, für Portugal zu spielen. Aber auch Ulisses Garcia oder die Cousins Gelson und Edimilson Fernandes stammen aus Kap Verde. Alle drei sind Schweizer Nationalspieler.
Fussballbegeistert, wie er ist, landet Dos Santos in der Winterpause des Vorjahres beim FC Bremgarten. Schnell erkämpft er sich den Stammplatz und feiert am Ende der Saison den Aufstieg in die 2. Liga. Jetzt, nach der Vorrunde in der 2. Liga, zieht er Bilanz: «Das Niveau ist deutlich höher als noch in der 3. Liga. Die Teams und Einzelspieler sind viel besser. Ich glaube aber trotzdem, dass mein ehemaliges Team aus Kap Verde jede Mannschaft in der 2. Liga schlagen könnte. Taktisch würden wir vermutlich allen hinterherhinken. Das gebe ich zu. Aber was fussballerische Fähigkeiten und Leidenschaft angeht, ist der Fussball auf Kap Verde top.» Der Keeper hat den Eindruck, dass in der Schweiz Fussball viel stärker ein Hobby ist. «Auch auf Kap Verde sind alles Amateure. Doch irgendwie geben sie mehr Vollgas.»
Offen auf Menschen zugehen
Von den eisigen Gassen im Städtli wird das Treffen ins Restaurant El Mosquito verschoben. Dos Santos braucht Wärme. Und er kommt sofort mit den Angestellten und anderen Gästen ins Gespräch. «Das ist auch etwas, was anders ist als in Kap Verde. Die Menschen scheinen hier verschlossener zu sein», erklärt er. «Ich bin jemand, der andere Leute anlächelt, sie anspricht, egal ob ich sie kenne oder nicht. Meine Frau und meine Schwiegermutter haben mich dabei auch schon gebremst. Sie haben mir gesagt, dass ich beispielsweise nicht einfach fremde Kinder ansprechen oder gar mit ihnen spielen darf. Aber ich habe glücklicherweise bisher nie Probleme deswegen bekommen. Aber mir ist aufgefallen, dass es beispielsweise oft keine Antwort gibt, wenn ich meinen Mitspielern am Morgen früh eine Nachricht schicke, wie es ihnen geht.»
Dennoch konnte er sich gut beim FC Bremgarten integrieren. Captain Tihomir Grabovica und Abwehrspieler Yunus Aslan bezeichnet er als besonders wichtige Bezugspersonen. «Sie haben mir sehr geholfen, Anschluss zu finden. Wann immer ich Fragen habe, egal ob es um Fussball geht oder um sonst etwas. Ich kann zu ihnen gehen.» Ebenso wichtig für ihn ist Offensivspieler Vinicius Dias, der ebenfalls Portugiesisch spricht.
Traineraufgaben und Kinder
Adilson Dos Santos erzählt, dass er eines Tages selbst Trainer sein will. Auf Kap Verde hat er neben Fussball auch Futsal gespielt und durfte dort bereits die Regionalauswahl seiner Insel betreuen. «Ich habe mittlerweile auch schon das erste Trainerdiplom. Und auch Schiedsrichterkurse habe ich besucht. Wenn es um den Ball geht, bin ich dabei.»
Wo seine fussballerische Reise hingeht, ist noch unklar. Mit Bremgarten will er das Maximum herausholen in der Rückrunde der 2. Liga. Im Leben gibt es noch einige Herausforderungen und Abenteuer, die ihm bevorstehen. Seine Eltern und Geschwister will er besuchen, die in den USA leben. Sie haben Kap Verde sieben Jahre vor ihm verlassen. «Neben Tourismus ist das die Haupteinnahmequelle des Landes. Kapverdier, die im Ausland leben und Geld ins Land schicken. Meine Eltern leben und arbeiten jetzt in den USA. Sie haben sich für diesen Weg entschieden.» Und seine Heimat will er ebenfalls besuchen. Das hat er nicht, seit er in die Schweiz gekommen ist. Seine 98-jährige Grossmutter lebt noch dort. Und seine 17-jährige Tochte aus einer früheren Beziehung. Auf die Frage, ob er mit seiner Frau jetzt Kinder hat, antwortet er: «Noch nicht.» Das Leben scheint noch einiges für den Goalie bereitzuhalten, der schon so viel erlebt hat. Doch eines hat der Jaguar bewiesen. Er kann sich anpassen – ob im Tor oder im Leben.