Dauerbrenner richtig anpacken
01.12.2023 WohlenMotion von Harry Lütolf, Mitte: Er verlangt Nachprüfung der kantonalen Verkehrszählung im Zentrum von Wohlen
Einwohnerrat und Grossrat Harry Lütolf ist mit dem Resultat der kantonalen Verkehrszählung nicht zufrieden. Er zweifelt Zahlen und ...
Motion von Harry Lütolf, Mitte: Er verlangt Nachprüfung der kantonalen Verkehrszählung im Zentrum von Wohlen
Einwohnerrat und Grossrat Harry Lütolf ist mit dem Resultat der kantonalen Verkehrszählung nicht zufrieden. Er zweifelt Zahlen und Ergebnisse an. Deshalb verlangt er per Motion eine Nachzählung. Und dem Kanton wirft er Befangenheit vor.
Der Antrag von Harry Lütolf ist klar formuliert: «Der Gemeinderat wird aufgefordert, bei den Hauptachsen des Strassenverkehrs auf dem Gemeindegebiet zeitnah eine eigene und verlässliche Verkehrszählung und eine Ermittlung des Anteils des Durchgangsverkehrs durch Abgleich der Fahrzeugkontrollschilder durchzuführen oder durch Experten durchführen zu lassen und die Ergebnisse bis spätestens Ende 2025 der Öffentlichkeit bekannt zu machen.»
Ausführliche Begründung
Ab März dieses Jahres hat das kantonale Departement Bau, Verkehr und Umwelt während zwei Wochen in Wohlen Verkehrszählungen durchgeführt. Am 20. November führte die zuständige kantonale Verwaltungsstelle zusammen mit Gemeindevertretern die öffentliche Informationsveranstaltung im Casino durch.
Anlässlich dieser Veranstaltung wurde Folgendes ausgeführt: «Die Zweckmässigkeitsbeurteilung des Kantons kommt zum Schluss, dass eine Umfahrung des Zentrums von Wohlen kurz- bis mittelfristig keinen Sinn mache.» Mit keiner der vom Kanton geprüften fünf Umfahrungsvarianten sei die Entlastung für das Zentrum von Wohlen genügend hoch.
Wenn es nach der Planung der zuständigen kantonalen Verwaltungsstelle gehen würde, «muss sich unsere Gemeinde noch während Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, mit Zwischenresultaten im kantonalen Richtplan begnügen», so Lütolf.
Aktuell tiefere Werte als im Jahr 2002?
Diese Beurteilung stützt sich auf die neue Verkehrszählung ab. «Die Zahlen dieser neuen Verkehrszählung sind jedoch nicht plausibel», schreibt Lütolf und zieht die Zentralstrasse beim «Manor» als Beispiel heran. Bei diesem Standort werden laut Lütolf bei der aktuellen Verkehrszählung zu allen Tageszeiten und Wochentagen tiefere Werte ausgewiesen als bei der Verkehrszählung im Jahr 2002. «Vor über 20 Jahren sollen dort also mehr Fahrzeuge durchgefahren sein.» Dasselbe Bild zeige sich bei allen anderen Standorten, «wo der Kanton gezählt hat: Entweder liegen die Werte für das aktuelle Jahr tiefer als für das Jahr 2002 oder die Werte sind aktuell nur geringfügig höher als im Jahr 2002.»
Zum Vergleich: Gemäss Statistik des Kantons zählte die Gemeinde Wohlen im Jahr 2002 rund 13 800 Einwohnerinnen und Einwohner. Heute sind es rund 17 500, also ein Plus von 3700 Einwohnerinnen und Einwohnern. Ähnliche Zuwachsraten im selben Zeitraum zeigen sich in allen Gemeinden in der Region.
«Allgemein hat auch der Verkehr in diesem Zeitraum enorm zugenommen. Insbesondere in Wohlen und im ganzen Bezirk. Diese Tatsache ist offenkundig: Kam man im Jahr 2002 in Wohlen bei vielen Kreuzungen noch ohne Wartezeiten von einer Nebenauf eine Hauptstrasse, so muss man heute vielerorts lange warten», schreibt der Motionär.
Es sei auch in Erinnerung gerufen, dass die neue Sädelstrasse Berikon/ Zufikon, die Umfahrung Oberwil-Lieli und die Westumfahrung Zürich mit dem Anschluss bei Birmensdorf erst in den Jahren 2007–2009 dem Verkehr übergeben wurden, also deutlich nach der bereits genannten Verkehrszählung in Wohlen im Jahr 2002. Diese neuen Strassenbauten brachten laut Lütolf mit Sicherheit mehr (Umfahrungs-)Verkehr und demzufolge auch mehr Durchgangsverkehr nach Wohlen. «Komisch nur, dass sich dies nicht in den Werten der Verkehrszählung im Jahr 2023 niederschlägt...»
Mit Handydaten kaum nahe an der Wahrheit
An der Informationsveranstaltung im Casino habe man auch erfahren können, dass der Kanton den Durchgangsverkehr, der vom Kanton aktuell um oder unter 30 Prozent veranschlagt wird, nicht mittels Abgleich der Fahrzeugkontrollschilder ermittelte. «Vielmehr habe man die Handydaten der Verkehrsteilnehmer ausgewertet und glaubt damit, der Wahrheit nahezukommen. Es ist jedoch höchst fraglich, ob allein mit Handydaten der Anteil des Durchgangsverkehrs im Zentrum von Wohlen zuverlässig errechnet werden kann. Viel zuverlässiger wäre es, an den verschiedenen Dorfausgängen die Fahrzeugkontrollschilder mit den Tages- und Uhrzeiten zu erfassen.»
Der Motionär ist sich bewusst, dass eine eigene Nachprüfung der kantonalen Verkehrszählung für die Gemeinde mit höheren Kosten verbunden ist. «Diese Kosten sind jedoch gerechtfertigt. Die Verkehrsbelastung in Wohlen ist seit ein paar Jahren ein politischer Dauerbrenner und stellt immer mehr Bürgerinnen und Bürger unzufrieden. An vielen Stellen in Wohlen ist zu bestimmten Tageszeiten kein Durchkommen mehr.»
«Wohlen ist nicht Sins, Mellingen oder Zurzach»
Eine Reduktion des (Durchgangs-) Verkehrs in Wohlen entlastet «weit mehr Menschen als in jenen Gemeinden, wo Umfahrungen durch den Kanton bereits realisiert wurden. Wohlen ist auch in dieser Hinsicht nicht Sins, Mellingen oder Zurzach», so Lütolf weiter.
Bei einem solch wichtigen Politikum sei es die Pflicht der Gemeinde, die Verkehrszählung des Kantons zu hinterfragen. Man müsse einsehen: Der Kanton sei hier Partei. «Er misst selber den Verkehr und ermittelt selber den Anteil des Durchgangsverkehrs, um dann mit diesen Werten die Zweckmässigkeit einer Umfahrung zu bejahen oder zu verneinen.»
Derselbe Kanton müsste dann auch die hohen Kosten einer Umfahrung übernehmen, wenn die kantonale Zweckmässigkeitsbeurteilung für eine solche Umfahrung sprechen würde. «Mehr parteiisch, befangen und mit Eigeninteressen belastet kann man wohl nicht sein!» --dm
Zentralstrasse: Verkehr hat nicht zugenommen…?
Was sagt überhaupt Nicolas Mühlich, Projektleiter von der Abteilung Verkehr, zu den Vorwürfen von Harry Lütolf? «Der Kanton führt die Verkehrserhebungen nicht selbst durch, sondern unabhängige und darin spezialisierte Ingenieur- respektive Planungsbüros», betont er. Weiter seien die Verkehrszahlen transparent und können online abgerufen werden.
Laut Mühlich fehlt auf der Zentralstrasse eine kontinuierliche Zeitreihe, die eine genaue Analyse der Verkehrsentwicklung ermöglichen würde. Er möchte nur auf Fakten verweisen. Der durchschnittliche Tagesverkehr 2023 beträgt rund 11 000 Motorfahrzeuge pro Tag; im Jahr 2002 waren es 10 770 Mfz/Tag, im Jahr 1992 wurden 12 150 Mfz/ Tag gemessen. «Das heisst», folgert Mühlich, «der Verkehr hat auf der Zentralstrasse über die letzten 20 bis 30 Jahre nicht zugenommen.»
Warum die Verkehrsbelastungen auf der Zentralstrasse in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht zugenommen haben, das könne er nur vermuten. Er könnte sich vorstellen, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen, «beispielsweise dass Fahrten auf andere Verkehrsmittel verlagert wurden». Er nennt den öV, Fuss- und Veloverkehr. Zudem könnten gewisse Fahrten auf andere Achsen verlagert worden sein, beispielsweise auf die Bünzstrasse oder auf die Nutzenbachstrasse. Aber auch Homeoffice könnte eine Rolle spielen.
Zum Durchgangsverkehr: Es sei richtig, «dass keine Nummernschilderhebung durchgeführt wurde. Die Grössenordnung von 30 Prozent erscheint aber plausibel – im Vergleich mit älteren Nummernschilderhebungen, zu den ausgewerteten Handydaten und im Vergleich zum Durchgangsverkehr anderer Aargauer Gemeinden.»
Zu den geforderten kommunalen Verkehrserhebungen will sich Projektleiter Nicolas Mühlich allerdings nicht äussern. Das müsse der Gemeinderat entscheiden, sagt er abschliessend. --dm