«Das passiert nur einmal im Leben»
11.06.2025 Zufikon, Region Bremgarten, FilmGefühl der Verantwortung
Filmemacherin Maja Tschumi
Dieses Jahr erhielt Maja Tschumi den «Prix de Soleure» für ihren Film «Immortals». Der Dokumentarfilm beleuchtet das Leben von verschiedenen Personen während den ...
Gefühl der Verantwortung
Filmemacherin Maja Tschumi
Dieses Jahr erhielt Maja Tschumi den «Prix de Soleure» für ihren Film «Immortals». Der Dokumentarfilm beleuchtet das Leben von verschiedenen Personen während den Protesten von 2019 und 2020 in Bagdad im Irak und der Zeit danach. Maja Tschumi wuchs in Zufikon auf und besuchte die Kantonsschule in Wohlen. Für «Immortals» schrieb sie das Drehbuch und führte Regie. «Ich mache solche Filme aus einem Gefühl der Verantwortung, unsichtbare Kämpfe sichtbar zu machen», vermutet sie. «Zudem fand ich heraus, dass ich mit Risiken, die sich beim Dreh in solchen Ländern ergeben, gut umgehen kann.» Ideen habe sie genug. --rwe
Filmemacherin Maja Tschumi gewann für ihren Dokumentarfilm «Immortals» den «Prix de Soleure»
Grosse Ehre für die in Zufikon aufgewachsene Regisseurin Maja Tschumi. Kürzlich erhielt sie den mit 60 000 Franken in der Schweiz am höchsten dotierten Filmpreis «Prix de Soleure» für «Immortals». Für sie ist das eine grosse Ehre und eine ganz konkrete Hilfe. Die Wurzeln für ihr Tun ortet Tschumi im Freiamt.
Roger Wetli
«Dieses Geld ist ein riesiges Polster für weitere Projekte», unterstreicht Maja Tschumi die Bedeutung des «Prix de Soleure». «Ein Dokumentarfilm fordert im Vorfeld immer sehr viel Recherche, um die Formulare für die Anträge für Fördergelder mit konkreten Filminhaltsangaben auszufüllen. In dieser Zeit verdiene ich mit dem künftigen Film noch nichts.» Gleich, wenn nicht sogar höher als das gewonnene Preisgeld sieht sie die Bedeutung des «Prix de Soleure». «Das wirkt sich bei mir wie ein Karrierebooster aus. Ich bin dadurch in der Branche viel bekannter geworden. Das wird mir künftig meine Arbeit wohl deutlich vereinfachen.» Die neuen Kontakte führten wohl zu weiteren Aufträgen. Wobei sich Tschumi aktuell auf die grössere Bekanntmachung ihres neuen Films «Immortals» konzentriert und gleichzeitig das nächste Projekt vorantreibt. «Ein solcher Film beschäftigt mich von der ersten Idee bis zur Vollendung rund fünf bis sechs Jahre. Das braucht volle Konzentration.» Nur kleinere Projekte lägen daneben noch knapp drin.
Besonders freut sich Maja Tschumi, dass sie im Zuge des Preisgewinns an die Zürcher Hochschule der Künste eingeladen wurde, um dort über die Zusammenarbeit mit den Leuten vor Ort im Irak zu sprechen. Denn «Immortals» spielt genau in diesem Land. Er handelt von den Auswirkungen der Proteste vor fünf bis sechs Jahren.
Freiamt als Ursprung des Schaffens
«Der Samen für solche Filme gedieh bei mir wohl in meiner Jugendzeit im Kuzeb in Bremgarten», sinniert Maja Tschumi. In Basel geboren, zog ihre Familie zuerst mehrmals um, bevor sie in Zufikon sesshaft wurde. Tschumi war damals sechs Jahre alt. Sie besuchte die Primarschule in Zufikon, die Bezirksschule in Bremgarten und danach die Kantonsschule in Wohlen. «Diese Zeit im Freiamt hat mich sehr geprägt. Ich erlebte hier meine krassen Teenagerjahre», schaut sie zurück. Während ihrer Kantizeit herrschte gerade Krieg im Irak. Ihr Interesse an Politik und grossen Fragen wurde durch ihren Philosophielehrer weiter gefördert.
«Geprägt hat mich aber auch die Heavy-Metal-Szene, zu Beginn der 2000er-Jahre sehr stark war im Freiamt. Zum Beispiel erinnere ich mich noch an die Band Arise», lacht sie. Für den Abspann von «Immortals» engagierte sie einen libanesischen Musiker. «Bald stellten wir fest, dass er einst in seinem Heimatland in einer Black-Metal-Band gespielt hat. Das verbindet», stellt die Filmemacherin fest. Sie versichert: «Im Abspann ist jetzt aber normale Filmmusik zu hören.» Die zwei irakischen Protagonistinnen des Films leben heute in Berlin. Dasselbe gilt für Maja Tschumi. «Berlin ist neben München und Köln die wichtigste deutsche Filmstadt. Wobei Berlin noch stärker international ausgerichtet ist, was mir bei meinen Dokumentarfilmen hilft.»
Das Freiamt besucht Tschumi aber nach wie vor regelmässig. Ihre Zwillingsschwester lebt in Bremgarten und einige alte Freunde in der Region. «Jedes Mal, wenn ich mich in der Schweiz aufhalte, bin ich sicher einmal in Bremgarten – so etwa kürzlich am Ostermarkt», schwärmt sie.
Zwei Leben gerettet
Für «Immortals» reiste Maja Tschumi deutlich weiter. Sie drehte im Irak. «Das war eine Herausforderung. Sicherheitsbedenken begleiteten mich oft und die Dreharbeiten waren auch eine psychische Herausforderung. Ich musste zuerst lernen, richtig mit dem Regime umzugehen. Dabei halfen mir die Leute vor Ort, mit denen ich eng kollaborierte.» Es gebe im Irak viele Wege, wenn man wisse wie. «Der Irak ist eine Demokratie, was Freiheiten gibt.» Doch für junge Aktivistinnen und Aktivisten sei das Leben gefährlich: «Während des Drehs ist eine Person gestorben, die der Crew nahestand. Das hatte aber nichts mit dem Film zu tun. Wir haben ihm den Film gewidmet.»
Maja Tschumi konzentriert sich auf das Positive, das sie erlebt hat. «Wir konnten dank dem Film das Leben von zwei Personen retten. Das bedeutet mir alles. So was passiert einem nur einmal im Leben.»
Wieso sie, als gut behütete Mitteleuropäerin solche Risiken eingeht, kann die Zufikerin nur vermuten. «Es liegt an meinem Gerechtigkeitssinn und einem Gefühl der Verantwortung, unsichtbare Kämpfe sichtbar zu machen. Zudem fand ich heraus, dass ich mit solchen Risiken gut umgehen kann.» Wenn sie Ungerechtigkeit sehe, suche sie einen Weg, sie als Geschichte zu verfilmen. «Das gibt auch viel zurück. So macht mein Leben Sinn. Diese Mühen sind es wert.» Sie ist sich bewusst, dass der «Prix de Soleure» für «Immortals» im Irak keine Bedeutung hat. Lange wusste Tschumi auch nicht, ob der Film überhaupt im Irak gezeigt werden darf. «Jetzt wurde er auf BBC arabic im Irak ausgestrahlt. Und er soll auch in die Kinos kommen», freut sie sich. «Immortals» habe aber auch an vielen anderen Festivals weltweit sein Publikum gefunden. «Es wäre schön, wenn er in einigen Open-Air-Kinos im Sommer noch laufen würde. Dort könnte auch jeweils jemand aus der Crew vorbeigehen und ein paar Hintergründe dazu erzählen. Die Arbeit zu diesem Film ist definitiv noch nicht fertig. Dabei hilft mir jetzt hoffentlich der ‹Prix de Soleure›.»
Naturschutz kontra Schutz internationaler Handelsroute
Mit der gleichen Energie treibt sie ihren nächsten Dokumentarfilm voran. Dieser soll auf einer jemenitischen Insel im Arabischen Meer spielen. «Er wird von einer Frau handeln, welche sich für den Naturschutz auf ihrer Insel einsetzt. Denn trotz Status eines Unesco-Naturerbes soll dort eine grosse Militärbasis gebaut werden, um die internationalen Frachtschiffe vor den Angriffen der Huthis zu schützen.» Im Zentrum stünden Kollateralschäden, die durch Krieg verursacht würden. Maja Tschumi arbeitet dieses Mal in Co-Regie mit einer jemenitischen Filmemacherin, die Tschumi in Berlin getroffen hat. «In diesem Monat reise ich zum ersten Mal auf die Insel. Ich bin gespannt, wohin mich diese Dokumentation führt.»
Maja Tschumi
1983 geboren schloss Maja Tschumi 2013 einen Master in Philosophie und Literatur an der Universität Zürich ab. Sie schrieb die Bücher und führte die Regie für verschiedene Kurzfilme. Ihr erster Langfilm erschien 2022 und heisst «Rotzloch». Auch für «Immortals» schrieb sie das Buch und führte Regie. Diese Dokumentation zeigt die Stimmung nach den Protesten von 2019 und 2020 in der irakischen Hauptstadt Bagdad. Beleuchtet wird unter anderem die junge Frau Milo. Sie merkt, dass sie Privilegien geniesst, wenn sie sich als Mann verkleidet. Doch für ihre Teilnahme an den Demonstrationen zahlt sie einen hohen Preis.