Das Mystische vor der Haustür
29.08.2023 BremgartenPflanzen und Geschichten
Die Stiftung Reusstal lud zur Exkursion rund um den Erdmannlistein ein. Dabei erzählte Stiftungs-Geschäftsführer Josef Fischer allerhand über die Moore, Moränen und menschlichen Geschichten. --red
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Pflanzen und Geschichten
Die Stiftung Reusstal lud zur Exkursion rund um den Erdmannlistein ein. Dabei erzählte Stiftungs-Geschäftsführer Josef Fischer allerhand über die Moore, Moränen und menschlichen Geschichten. --red
Inspirierende naturkundliche Führung zwischen Reuss- und Bünztal
Der Wald zwischen Wohlen und Bremgarten ist geprägt durch eiszeitliche Hinterlassenschaften. Die Stiftung Reusstal lud ein zu einer gehaltvollen Exkursion zu faszinierenden Waldmooren und sagenumwobenen Findlingen.
Kaum war man dem Zug entstiegen, hielt Exkursionsleiter Josef Fischer gleich neben der Station Erdmannlistein einen botanischen Suchauftrag für die erwartungsfrohen Besucher bereit. In einem kleinen Gehege – zum Schutz vor Wildbiss – waren vereinzelte bereits verblühte Fruchtstände der schweizweit bedrohten «Borstigen Glockenblume» (Campanula cervicaria) zu bestaunen. Diese hatte sich jedoch im Überlebensdrang auch ausserhalb des Zauns schon versamt. Dann stieg Fischer aber sofort ein und veranschaulichte anhand von Kartenmaterial das Hauptthema des Rundgangs.
Was die letzte Eiszeit beschert hat
Nach der letzten Eiszeit vor 15 000 Jahren, in welcher Gletscher die Landschaft modelliert hatten, entstanden im Mittelland die grossen Seen. «Sand, Geröll und Gesteinsbrocken wurden auf dem Buckel des Gletschers mitgeschleppt wie auf der Ladebrücke eines langsamen Lastwagens», erklärt Fischer. Sie blieben auf dem Weg nach unten an den seitlichen Rändern und am unteren Ende des Gletschers liegen und bildeten kleine und grössere Hügelzüge. «Solche Geröllhügel am Gletscherrand nennt man Moränen.» Zwischen den Moränen gab es Dellen oder Mulden, wo Moore entstanden. Auf wasserundurchlässigen Böden bildeten sich Seen und an den Ufern siedelten sich Pflanzen an. Starben diese Pflanzen ab, sanken sie auf den Grund. Anders als an Land verrotten Pflanzen unter Wasser kaum. Mit der Zeit sammelten sich immer mehr Pflanzenreste am Seeboden an. Die abgestorbenen Pflanzenreste bildeten über die Jahre eine immer dicker werdende Schicht, die man Torf nennt.
Ein Meter Torf in tausend Jahren
Am Torfmoos, dem ersten Moor auf der Exkursionsroute, blendete Fischer – ein Büschel weiches Bleichmoos in den Händen – zurück aufs Schicksal der Moore im letzten Jahrhundert. Seit etwa 1950 versuchte man auch im Aargau, den Mooren – verächtlich auch Sümpfe genannt – den Garaus zu machen, indem man das Wasser mittels Gräben abführte, um sie in produktive Wälder oder Agrargebiete zu verwandeln. Solches geschah auch am Torfmoos auf einer Fläche von knapp 4 Hektaren. Als Holz war Fichte am gefragtesten, weil sie leicht zu verarbeiten war. In der Mulde des Torfmooses stehen als Zeugen des Eingriffs in die Natur noch immer kahle Fichtengerippe, die hier früher angepflanzt wurden. 1994 jedoch begann ein Renaturierungsprojekt zwischen dem Kanton Aargau und Wohlen, welches den gesetzlich verankerten Moorschutz in der Schweiz umsetzt. «Eine Massnahme sind höhenverstellbare Stauwehre; sie regulieren den Wasserstand im Graben und in der Fläche.» So besteht die berechtigte Hoffnung, dass die Torfschicht aus abgestorbenen Pflanzenresten wieder wachsen kann, allerdings sehr langsam: einen Meter in 1000 Jahren.
Torf als geschätztes Brennmaterial
Solche naturschützerischen Überlegungen waren früher kein Kriterium, die Menschen hatten es auf den Torf abgesehen. «Wenn er getrocknet ist, brennt er nämlich ziemlich gut und diente so lange Zeit als Heizmaterial.» Über die Jahre trockneten die Menschen zum Beispiel in Norddeutschland und Irland riesige Moorflächen aus, um immer mehr Torf abzubauen. Das Ensemble von Moorgebieten und Steinanordnungen am Wagenrain hat die Menschen seit jeher beeindruckt. Denn Moore haben auf den Menschen auch eine mystische, bisweilen unheimliche Wirkung. Man denke nur an Hülshoffs Ballade «Der Knabe im Moor»: «O schaurig ist’s, übers Moor zu gehen.» In diesem Kontext berichtete Josef Fischer von Irrlichtern, die entstehen, wenn sich Methan entzündet, das aus der organischen Substanz des Untergrunds entweicht. Im Winter bildete dieses Gas jeweils entflammbare Blasen in der Eisschicht der Moorseen. Auch von der Moorleiche eines wilden Munis, der den Zaun zu einem Moor durchbrochen hatte und dort elendiglich versunken war, erzählte Fischer.
Warum Moore so wichtig sind
Ein Exkursionsteilnehmer aus Bremgarten wollte wissen, weshalb Moore so eine grosse Bedeutung haben. Der Leiter meinte dazu: «Moore sind zunächst ein bedeutender biodiverser Lebensraum für viele seltene Tierund Pflanzenarten. Und auch für den Klimaschutz spielten sie eine eminent wichtige Rolle.» Die Pf lanzen im Moor nehmen nämlich das klimaschädliche Kohlendioxid – kurz CO2 – aus der Luft auf und wandeln es in Kohlenstoff um. Sterben die Pflanzen ab, bleibt der Kohlenstoff im Torf gespeichert.
Die weltweit noch erhaltenen Moore speichern doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen. Und das, obwohl Moore einen deutlich kleineren Teil der Erde bedecken als Wälder.
Der Bettlerstein inszeniert seinen Auftritt
Am Cholmoos traf die Gruppe auf eine Lichtung mit parkähnlichem Moor, nicht ganz naturnah gestaltet mit etlichen hybriden Seerosen, aber auch gelbe Teichenziane stachen ins Auge. Ein Eisvogel markierte mit einem Pfiff seine Präsenz, ein Fischreiher lauerte auf Beute, die üppig vertreten war. Unübersehbar die Riesenampfern am Ufer, stolz präsentiert vom Tourenleiter. Seine Route führte dann zum Bettlerstein, zwar weniger bekannt als der Erdmannlistein, aber dennoch eindrücklich wegen seiner Schieflage. Diesmal war der Anblick aber besonders spektakulär, weil eine vom letzten Sturm entwurzelte mächtige Buche beim Fall auf die obere Felskante zersplittert war. Der Bettlerstein wurde übrigens oft auch als Chindlistein angeschaut und man erklärte den Kindern, dass die Hebamme dort die Neugeborenen herhole.
Wie in Neuseeland gefühlt
Eindeutig am moosigsten war aber das Forenmoos. Es war den Teilnehmern ein wahres Vergnügen, sich auf dem leicht federnden weichen Untergrund unter glucksenden Geräuschen aufs Moor vorzuwagen. Neben Riesenfarnen und vermoosten Baumstämmen fühlte man sich fast wie der Herr der Ringe in Neuseeland. Selbst ein Grasfrosch gab sich in seinem Lieblingshabitat die Ehre.
Eine kleine Teilnehmerschar, angereist aus dem ganzen Kanton, folgte der spannenden, sehr informativen Exkursion, kompetent und sympathisch geleitet von Josef Fischer. Er rückte mit dieser Zeitreise zurück zur Natur die Stiftung Reusstal ins beste Licht. Weil es hier um die Zukunft unserer Natur geht, hätte der Anlass zweifellos noch mehr Zustrom verdient. --as