«Das ist beste Standortförderung»
17.05.2024 WohlenDuell rund ums Zentrum
Ist die Aufwertung der Zentralstrasse total wichtig oder völlig unnötig? Darüber streitet man sich in Wohlen. Entschieden wird am 9. Juni an der Urne. Dagegen spricht sich die SVP aus. Die Mitte, SP, Grüne stehen für eine ...
Duell rund ums Zentrum
Ist die Aufwertung der Zentralstrasse total wichtig oder völlig unnötig? Darüber streitet man sich in Wohlen. Entschieden wird am 9. Juni an der Urne. Dagegen spricht sich die SVP aus. Die Mitte, SP, Grüne stehen für eine Verbesserung des Zentrums ein. Nun kommt es zum verbalen Duell zweier Einwohnerräte: Manfred Breitschmid gegen Harry Lütolf. --dm
Das Duell rund um das Projekt Zentralstrasse: Manfred Breitschmid (SVP) gegen Harry Lütolf (Mitte)
Sie wird intensiv diskutiert. Die Aufwertung der Zentralstrasse bewegt die Menschen. Zwei Einwohnerräte stellen sich dem Duell. Harry Lütolf (pro) gegen Manfred Breitschmid (kontra). Mitte gegen SVP. Lütolf spricht vom Jahrhundertprojekt, Breitschmid von einer Fehlplanung.
Daniel Marti
Der Abstimmungskampf wird sehr emotional geführt. Es geht jedoch nur um ein knapp 700 Meter langes Strassenstück. Warum nur diese Emotionen?
Manfred Breitschmid: 14 Jahre Stau auf der Zentralstrasse und im Kopf, da macht sich jetzt einiges an Luft frei.
Harry Lütolf: Die Wortführer im Nein-Lager sind am Überbeissen. Zudem wird aus den Reihen der SVP geflunkert. Es ist grotesk, wie schnöde 6,9 Millionen Franken von Bund und Kanton für eine deutliche Aufwertung unseres Dorfzentrums ausgeschlagen werden, weil es angeblich zu teuer sei und nichts bringe. Ein paar Wochen vorher haben wahrscheinlich dieselben Leute jährlich wiederkehrende Ausgaben von gegen fünf Milliarden Franken für eine 13. AHV-Rente gutgeheissen.
Das Projekt Aufwertung der Zentralstrasse war nie als grosse Lösung des Wohler Verkehrsproblems angepriesen worden. Trotzdem gehen die Erwartungen auch in diese Richtung. Geht man da von falschen Erwartungen aus?
Harry Lütolf: Ja, man geht von falschen Erwartungen aus. Die Zentralstrasse ist eine Kantonsstrasse und der Kanton hat dort das Sagen. Es wird dort nie Tempo 30 und nie einen Einbahnring geben. Und bis das Zentrum mit einer Umfahrung vom Durchgangsverkehr befreit wird, verstreichen noch Jahrzehnte. Darauf warten ist also keine Option, zumal das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Jetzt geht es um die einmalige Chance, unser aller Zentrum aufzuwerten. Übrigens flunkert die SVP auch bei der Frage des Tempos. Sie gaukelt vor, es sei der Plan gewesen, auf der Zentralstrasse das Tempo zu reduzieren. Und das ausgerechnet aus dem Departement eines FDP-Regierungsrates. Eine lächerliche Behauptung.
Manfred Breitschmid: Was verstehen die Projektverfasser und Befürworter unter Aufwertung? Die Zentralstrasse ist eine der beiden Verkehrsachsen durch Wohlen mit 11 000 Autos pro Tag und das wird viele Jahre so bleiben. Hauptziel dieser Strasse: Sicherheit und gut abfliessender Verkehr.
Konkret: Welcher entscheidende Punkt ist der grosse Vorteil des Projekts?
Manfred Breitschmid: Dass die Wohlerinnen und Wohler über diese Vorlage abstimmen können nach 14 Jahren Planungsdauer.
Harry Lütolf: Wir haben die einmalige Chance, für lediglich 1,6 Millionen Franken unser Zentrum zum ersten Mal in unserer Dorfgeschichte wesentlich aufzuwerten. Die Restkosten übernimmt zu rund 60 Prozent der Bund und der Kanton oder müssten in den nächsten Jahren von unserer Gemeinde sowieso aufgewendet werden. Stichwort Sanierung der Kanalisationsleitungen und der Bushaltestellen.
Nochmals konkret: Was ist der grosse Nachteil?
Manfred Bretischmid: Velospur weg, Fahrspur schmäler, Trottoir breiter und dafür noch mehr Velos und Trottinetts im Fussgängerbereich, Kurzzeitparkplätze für Einkäufe in der oberen Zentralstrasse weg. Sicherheit für Fussgänger und Fahrradfahrer bleiben auf der Strecke.
Harry Lütolf: Es gibt keine Nachteile. Nur logische und notwendige Kompromisse, die in der Summe allen in diesem Dorf Vorteile bringen. Zu den Vorteilen zählen der neue Flüsterbelag, die verbesserte Verkehrsführung insbesondere beim Knoten Bremgarter-/ Zentralstrasse, mehr Sitzgelegenheiten für eine Rast. Last but not least: Es wird mehr Bäume und Bepflanzungen geben; das ist nicht nur schön, es hilft auch gegen die Sommerhitze dort.
Das Gejammer ist bekannt: Wohlen hat kein attraktives Zentrum oder überhaupt kein Zentrum. Wie kann denn Wohlen zu einem attraktiven Zentrum mit Bahnhofstrasse und Zentralstrasse kommen?
Harry Lütolf: Zumindest Aussenstehende empfinden Wohlen als hässlich und das hat viel mit unserem trostlosen Dorfzentrum zu tun. Die Zentralstrasse und unser Postplatz sind das Zentrum. Das kann man nicht ernsthaft in Abrede stellen und wird durch unsere Zonenordnung so bestätigt. Die Abstimmungsvorlage vom 9. Juni wird das Zentrum mit Sicherheit attraktiver machen. Das ist beste Standortförderung. Bei einem Nein würde es für Jahrzehnte beim Gejammer bleiben.
Manfred Breitschmid: Das Gejammer kennen wir auch beim Kanton. Wir haben keine Hauptstadt wie Luzern, Basel, Zürich oder Bern. Wohlen, die viertgrösste Gemeinde im Kanton, lebt von den schönsten Quartieren im Freiamt, die historisch gewachsen sind, und unserer Bünz, die für Lebensqualität pur steht. Das haben auch die Störche wieder entdeckt. Tragen wir Sorge dazu.
Es wird kritisiert, dass bei der Lösungsfindung das Gewerbe nicht oder zu wenig einbezogen wurde. Was hätte das Gewerbe bewirken können oder müssen?
Manfred Breitschmid: Es ist in der Zwischenzeit Stil in Wohlen, dass Betroffene über die Medien orientiert werden. Das kann es nicht sein. Mitwirkung und Teilhabe sehen anders aus. Für einen positiven Projektverlauf wäre dies matchentscheidend.
Harry Lütolf: Das Gewerbe war in Arbeitsgruppen einbezogen. Das Gegenteil zu behaupten, wäre gelogen. Apropos gelogen: Dazu zählt die Behauptung, es würden zwölf Parkplätze wegfallen, was dem Gewerbe schade. Tatsächlich kommen auch neue Parkplätze dazu. In der Summe resultiert ein Minus von sechs Parkplätzen; vier davon müssen beim Postplatz den behindertengerechten Bushaltestellen weichen.
Die Kosten: Bei der Vorlage, über die das Volk abstimmen kann, geht es um 4,6 Millionen Franken. Bund (2 Millionen) und Kanton (4,9 Millionen) steuern Wesentliches bei. Die SVP spricht von 12 Millionen Franken Ausgaben. Ist das nicht etwas unseriös, denn Bund- und Kantonszuschüsse sind etwas Positives, zumal diese Gelder gesichert sind und alle Wohler auch Bundes- und Staatssteuern zahlen?
Harry Lütolf: Ein weiterer Punkt, bei dem die SVP flunkert. Weil sie vorgaukeln möchte, mit einem Nein würden rund 12 Millionen gespart. Tatsächlich würden nur 1,6 Millionen eingespart, wenn auf die Aufwertung unseres Dorfzentrums verzichtet würde. Die Gelder von Bund und Kanton würden bei einem Nein einfach an andere Gemeinden und deren Projekte gehen; diese werden sich freuen und nichts ist gespart. Zudem müssen wir in naher Zukunft die Kanalisation und Bushaltestellen entlang der Zentralstrasse und beim Postplatz ohnehin für rund 3,7 Millionen zulasten der Gemeinde sanieren. Dann aber ohne Bundes- und Kantonsbeiträge.
Manfred Breitschmid: Es kann doch nicht sein, dass es egal ist, was ein Projekt kostet, nur weil Bund und Kanton mitfinanzieren. Wir zahlen alle Gemeinde-, Kantons- und Bundessteuern. Bei unserem geplanten Schuldenberg von über 150 Millionen muss man die Kosten und den Nutzen dem Projekt Zentralstrasse gegenüberstellen. Auf die 5,3 Millionen für Verpflichtungskredite Zentralstrasse/Postplatz und Sanierung/Erneuerung Kanalisationsleitungen können wir verzichten. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Sollte Wohlen Nein sagen, verzichtet man tatsächlich auf die 6,9 Millionen Franken von Dritten. Wer das kann, dem geht es gut. Aber so ist es ja nicht …
Harry Lütolf: Was soll man da sagen? Ein Nein wäre ein Schildbürgerstreich sondergleichen. Es war ja unsere Gemeinde, die bei Bund und Kanton für diese Aufwertung angeklopft und geworben hat. Es folgte ein enormer Aufwand von Fachspezialisten auf allen Ebenen. Wir würden zur Lachnummer der Nation, wenn wir nach 14 Jahren Planung unser eigenes Projekt auf der Zielgeraden abschiessen.
Manfred Breitschmid: Gehen Sie im Ausverkauf Kleider kaufen, die nicht passen, aber dafür billiger sind? Mit Bestimmtheit nicht. Das Projekt Zentralstrasse ist eine Fehlplanung und von gestern.
Geht man nach den Leserbriefen und der spürbaren Stimmung im Volk, gibt es ein Nein. Manfred Breitschmid, wie will die SVP diesen Trend ins Ziel bringen, wohl ganz locker?
Manfred Breitschmid: Die Befürworter sind gut unterwegs mit dem Griff in unseren Geldbeutel. Man darf den Tag nicht vor dem Abend loben. Wir müssen bis zum letzten Tag für zweimal Nein kämpfen.
Harry Lütolf, Wie will das Referendumskomitee diesen Trend in einen Erfolg verwandeln?
Harry Lütolf: Jede Stimmbürgerin und jeder Stimmbürger hat jetzt die einmalige Chance in ihrem Leben, ihr geliebtes Wohlen über Generationen hinweg aufzuwerten. Für nur gerade 1,6 Millionen Franken Mehrkosten zulasten der Gemeindekasse. Mein Komitee ruft insbesondere die jüngere Stimmbürgerschaft dazu auf, ein Ja in die Urne zu legen. Dieser Teil der Stimmbürgerschaft wäre bei einem Nein am längsten mit dem Fortbestehen eines trostlosen Dorfzentrums konfrontiert.
Der Verein «Schöner Wohlen» positioniert sich im Abstimmungskampf – und wird teilweise an den Pranger gestellt. «Schöner Wohlen» hat jedoch durchwegs positive Absichten und ist oder wäre doch ein Gewinn für Wohlen. Wie sehen Sie das?
Manfred Breitschmid: Ja, dieser Verein wäre für Wohlen ein Gewinn gewesen. Die Verantwortlichen haben den Verein in kurzer Zeit als linke Partei positioniert. Die Chance, sich als Vermittler für die gute Sache zwischen den Fronten zu bewegen, wurde vertan. Schade.
Harry Lütolf: Die Angriffe aus den Reihen der SVP sind eine absolute Sauerei. Die SVP ist offensichtlich der Meinung, zugezogene Schweizerinnen und Schweizer sollen gefälligst die Klappe halten. Stimmbürger zweiter Klasse also. Man muss dazu noch wissen: Viele dieser Vereinsmitglieder sind gute Steuerzahler. Mit dem frechen Gehabe der SVP vertreibt man auch diese noch. Zudem: Der Verein würde geradezu gegen seinen Vereinszweck verstossen, wenn er sich hier nicht im befürwortenden Sinn eingebracht hätte.
An der Zentralstrasse müssen auch bei einem Nein früher oder später diverse Arbeiten trotzdem erledigt werden (Bushaltestellen, Belag, Kanalisation und Beleuchtung). Das wird kosten – dann jedoch ohne Gelder von Kanton und Bund. Dann kann aus diesem Blickwinkel betrachtet die Aufwertung der Zentralstrasse doch kein Sparprojekt sein …
Harry Lütolf: Ich kann mich nur wiederholen: Wir würden zur Lachnummer der Nation, wenn wir unser eigenes Projekt auf der Zielgeraden abschiessen und die Bundes- und Kantonsbeiträge in den Wind schlagen.
Manfred Breitsschmid: Gemäss Aussagen von Fachspeziallisten kann mit der Erneuerung der Kanalisationsleitungen noch zugewartet werden. Bauarbeiten sind geplant auf unseren Hauptverkehrsachsen: Freiämterstrasse eineinhalb Jahre, Baubeginn demnächst, anschliessend zwei Jahre Zentralstrasse, gehen wir von total vier Jahren aus. Mir graut bei dem Gedanken, wenn ich an die Verkehrsteilnehmer, das Gewerbe und den Handel denke.
14 Jahre Planungszeit. Ist das zu lange für ein Projekt dieser Art oder ist es höchste Zeit, dies nun endlich umzusetzen?
Harry Lütolf: Das Tempo wurde vom Kanton vorgegeben. Es lohnt sich nicht, sich darüber zu ärgern. Tatsache bleibt: Bund und Kanton übernehmen rund 60 Prozent der grösstenteils unumgänglichen Investitionen. Aber nur jetzt. Darüber stimmen wir ab.
Manfred Breitschmid: Was sind 14 Jahre für den Kanton? Die Umfahrungsstrasse für Wohlen wurde schon 1830 das erste Mal geplant und wie wir wissen, werden auch in Zukunft immer noch Autos gezählt. Wohlen hat gemäss Aarau zu wenig Durchgangsverkehr. Bitte, jetzt nicht lachen.
In einem Punkt seid Ihr Euch einig: Es ist gut, dass das Stimmvolk darüber an der Urne abstimmen kann …
Harry Lütolf: Zweifellos. Umso mehr, als die Abstimmung im Einwohnerrat mit nur einer Stimme Unterschied ausfiel und es hier für unser Wohlen um ein Jahrhundertprojekt geht.
Manfred Breitschmid: Das Volk hat immer das letzte Wort und das gilt es zu respektieren.