Das Ende der Maschine
12.09.2025 Sport, Radsport, MountainbikeDrama-Ende für Huber
Die letzte Weltmeisterschaft nach 19 Profi-Jahren wäre im Wallis gewesen auf einer seiner liebsten Strecken. Und in zwei Wochen hätte er sich in Einsiedeln für immer von der Profi-Bühne verabschiedet. Doch Urs Huber bleibt ein ...
Drama-Ende für Huber
Die letzte Weltmeisterschaft nach 19 Profi-Jahren wäre im Wallis gewesen auf einer seiner liebsten Strecken. Und in zwei Wochen hätte er sich in Einsiedeln für immer von der Profi-Bühne verabschiedet. Doch Urs Huber bleibt ein schönes Karriereende vorenthalten. Der Freiämter prallt bei einer Trainingsfahrt in einen Baum, prellt sich Rippen und zerrt sich die Bänder. Das Phänomen blickt zurück auf eine wahnsinnige Karriere. --spr
Marathon-Mountainbike: Der Freiämter Urs Huber erlebt ein hochdramatisches Karriereende
Bis zum Mond und fast wieder zurück. Er strampelt 600 000 Kilometer in seiner ganzen Karriere. 19 Jahre lang ist Urs Huber Mountainbike-Profi in der Marathon-Disziplin. 10 Millionen Höhenmeter, 80 Velos und 2000 Hotelübernachtungen später endet seine eindrückliche Karriere – mit einem Unfall.
Stefan Sprenger
Karfreitag im Coronajahr 2020. Noch bevor die Sonne aufgeht, schwingt sich Urs Huber auf sein Velo. Einmal um den Zugersee, nach Thun, über den Brünig, nochmals um den Zugersee. Abends, als die Sonne bereits wieder untergegangen ist, kommt er nach Hause. 534 Kilometer. Es war die längste Fahrt seiner Karriere. Eine Strecke wie vom Freiamt nach Venedig.
Zahlen zum Staunen
Es ist nur eine Zahl von ganz vielen, die einen staunen lassen. Eine kleine Kostprobe: Seit 25 Jahren fährt er Rennen, seit 19 Jahren ist er Profi. Er absolvierte 24 000 Trainingsstunden, erlebte 750 Renntage, dabei legt er 600 000 Kilometer zurück. Als Vergleich: Zum Mond sind es 384 400 km. Dabei bewältigt er 10 Millionen Höhenmeter, verbrennt elf Millionen Kalorien, übernachtet 2000 Mal in einem Hotel. 80 Mal benötigt er ein neues Velo. Er fährt Rennen in 18 Ländern auf vier verschiedenen Kontinenten. «Wenn man das so hört, klingt das schon extrem», sagt er.
Und Urs Huber ist ein Mann, der immer das Extreme sucht. «Deshalb habe ich auch nie Alkohol getrunken. Ich glaube, das käme nicht gut», sagt er laut lachend. Weil er auch keinen Kaffe mag, gibt es beim Treffen in seinem Zuhause in Mettmenstetten Süssmost serviert. «Frisch gepresst, von meinem Hof in Jonen», wie er anfügt. Dort hat er 2022 den Bauernhof von Vater Walter und Mutter Hanni übernommen. Äpfel, Birnen, Rinderaufzucht, Ackerbau. Viel zu tun. Die Eltern unterstützen. «Aber nebst dem Spitzensport war das schon intensiv», sagt Huber.
Benommen im Gras: «Und ich wusste, es ist vorbei»
Doch er wusste auch, dass die Belastung nicht ewig so weitergehen würde. Sein Vertrag mit dem Bulls-Team aus Deutschland endet 2025. Und damit auch seine Profikarriere. Ein letztes grosses Highlight wäre am letzten Wochenende die Weltmeisterschaft an der Grand Raid im Wallis gewesen. Dort, wo Huber Rekordsieger ist. Dort, wo er sich enorm wohlfühlt. Doch so weit kommt es nicht.
Am 30. August startet er noch fit und munter am Nationalpark Bike Marathon in Graubünden. Urs Huber, der am 12. August seinen 40. Geburtstag feierte, zeigt an jenem Rennen, dass er nicht zum alten Velo-Eisen gehört. Er holt sich den 3. Rang.
«Es ist nicht mehr wie früher»
Doch dann geschieht am Mittwoch, 3. September, ein folgenschwerer Unfall. Um 9 Uhr fährt er los. Um vor dem letzten grossen Highlight nichts zu riskieren, habe er sich extra eine ungefährliche Route rausgesucht. In einer Kurve im Kanton Zug, die er schon mindestens 100 Mal gefahren ist, passiert das Unerwartete. «Die Pedale streift den Boden, ich gerate neben die Strasse, verliere die Kontrolle und pralle fast ungebremst mit der Schulter voran in einen Baum.» Rippenprellung, Bänderzerrung, Schmerzen. Am Esstisch stellt er die Szene mit einem Miniaturvelo nach. «Ja, und das wars dann.» An eine Rennteilnahme ist momentan nicht zu denken.
Huber beschreibt: «So starke Schmerzen hatte ich noch nie in meinem Leben.» Er ist ins Gras gelegen, weil ihm schwarz vor Augen wurde. Trotz Benommenheit realisiert er: «Das ist mein Karriereende. Ich wusste in jenem Moment, dass es vorbei ist. Und, auch wenn es blöd klingt, ich war froh, dass es vorbei ist.» Warum? «Ich liebe das Velofahren. Profi in diesem Sport zu sein, ist ein Privileg. Ein Traum. Ich konnte jahrelang an der Spitze mitfahren, war einige Jahre davon gar der Seriensieger. Aber es ist nicht mehr wie früher. Die letzten Jahre haben an mir gezehrt. Im Team war es manchmal ein Geknorze. Auch ich selbst war nicht mehr derselbe. Ich schaffte es nicht mehr so oft wie früher auf das Podest, hinzu kommt das hohe Alter für einen Spitzensportler und die Belastung mit dem Hof in Jonen.»
Das sind alles Gründe, die ihm seinen vorzeitigen Abschied etwas einfacher machen. Dabei war er so nahe dran. Die WM an der Grand Raid wäre der letzte Höhepunkt gewesen. Am 28. September am Iron Bike in Einsiedeln wäre sein letztes Rennen als Profi gewesen. Viele Menschen aus seinem Umfeld haben sich diesen Termin dick und fett in der Agenda eingetragen und hätten Urs Huber im Ziel gerne den Abschied beschert, den er eigentlich verdient hätte.
Nach dem ersten Rennen hat er keinen Bock mehr
Aber vielleicht passt es auch, wie es ist. Urs Huber ist keiner, der die grosse Bühne sucht oder gerne im Mittelpunkt steht. Auch die sozialen Medien sind ihm ein Graus. Er schreibt seine Rennberichte selbst und stellt sie auf seine Homepage, «was viele Menschen sehr schätzen», wie er sagt. Und er wählt eine Disziplin aus, die nur wenig Beachtung findet. Jahrelang ist er der beste Marathon-Mountainbiker dieses Planeten, doch er ist nur den eingefleischten Sportfans ein Begriff. «Das ist egal. Ich habe einfach immer das getan, was mir Freude macht. Ich durfte zwei Jahrzehnte meinen Traum leben.»
Ein Traum, der als kleiner Junge beginnt. Er sei immer gerne mit dem Velo in die Schule in Jonen gefahren. Als er 14 Jahre alt wurde und alle Kumpels ein Töffli wollten, wünschte er sich ein neues Fahrrad. Als 15-Jähriger startet er erstmals an einem Marathon-Rennen im Prättigau. An jenem heissen Julitag im Jahr 2001 erleidet er starke Krämpfe, ackert sich mit seinem ausgeliehenen Mountainbike aber irgendwie ins Ziel. Und schwor sich dort, dass er sich das nie mehr antun würde. «Ich habe danach das Velo weggestellt und mir gedacht: «Wärst du doch lieber in die Badi gegangen.»
Doch irgendwie lässt es ihn nicht los. Sein Stolz ist angekratzt – und vielleicht pusht ihn auch das Schicksal dazu, dass er nochmals am selben Rennen starten will. Und das tut er. Und dieses Mal hat er ein Jahr lang trainiert. 2002 gewinnt er die Kategorie «Junioren Hobby» – und fährt im Gesamtklassement auf den 59. Rang (von total 2000 Teilnehmern). Der Landwirt-Lehrling ist angestachelt. Fortan ist er ein trainingsfleissiger Sportler. «Ich habe viel und hart trainiert, je extremer, desto besser», sagt Huber und meint, dass er «verrückte Sachen einfach mag».
WM-Medaille öffnet Türen
Verrückt ist auch sein Aufstieg. 2007 ist sein erstes Jahr als Profi. «Ich dachte, ich versuche es einfach mal», erzählt er. Der Gewinn der Bronzemedaille bei der Marathon-WM 2008 ist sensationell – und öffnet viele Türen. Huber erhält Angebote, entscheidet sich aber fürs Stöckli-Team aus der Schweiz. Vielleicht etwas weniger Geld, dafür mehr Herz und Wertschätzung. Huber legt jetzt erst richtig los, feiert viele Siege, Podestplätze, holt Medaillen und Pokale. Es sind so viele, dass er beim Umzug nach Mettmenstetten vor sieben Jahren die meisten weggeworfen hat. 2013 wechselt er zum «Bulls»- Team nach Deutschland, erlebt dort Glanzzeiten mit vielen Siegen bei den wichtigsten Rennen der Welt. Eine Zei-
« Es ist einfach passiert
tung aus Frankreich gab ihm einst den Übernamen «la machine suisse», die Schweizer Maschine.
Huber kann vom Sport leben. Der Bauernsohn aus Jonen ist zwei Jahrzehnte lang ein angesehener Spitzensportler. Ob im Einzel oder als Duo, ob Eintagesrennen oder Etappen: Wer gewinnen wollte, musste an Urs Huber vorbei. «Eine steile Karriere war nie mein Ziel. Es ist einfach passiert. Ich habe einfach gemacht.»
Der grösste Erfolg: Sekunden-Sieg gegen Sauser
Was war sein schönster, wichtigster, emotionalster Sieg? Im Kopf von Urs Huber rattert es. «Schwierig. Ich habe so viele wunderbare Erinnerungen», meint er. Und er kann sich dann doch entscheiden. 2014. Sein vierter Sieg am Grand-Raid-Rennen. Besonders war dieser Erfolg, weil Christoph Sauser – Weltmeister und Medaillensieger an Olympia – im Vorfeld des Rennens angekündigt hatte, dass er unbedingt gewinnen will. «Ein Jahr zuvor habe ich ihn geschlagen, da entschied aber das Material. 2014 wollte er Revanche. Es war ein heftiger Kampf zwischen uns. Doch am Ende habe ich gewonnen, weil ich physisch ein bisschen stärker war.» Nach sechs Stunden und fünf Minuten fährt Urs Huber als Erster ins Ziel. Neun Sekunden hinter ihm kommt Christoph Sauser.
Sein letztes Rennen als Profi hat er gefahren. Ein Abschiedsrennen gibt es aufgrund der Verletzung nicht mehr. Urs Huber freut sich, nun mehr Zeit für seine Freundin zu haben – und allgemein auf ein entspannteres Leben. «Druck, Stress, Leistung. Das Leben als Spitzensportler war manchmal auch zu viel. Der Rennkalender hat mein Leben bestimmt. Dennoch will ich mich nicht beklagen, ich habe jede Minute genossen.» Was bleibt, sind tausend wunderbare Erinnerungen und ein Versprechen: «Ich werde auch in Zukunft Velo fahren.» Die Maschine rattert weiter – einfach nicht mehr so schnell.
Der unglaubliche Marathon-Mann
Urs Huber (Jahrgang 1985) lebt mit seiner Freundin in Mettmenstetten. 2022 hat der gelernte Landwirt den elterlichen Hof in Jonen übernommen. «Dort wird auch die Zukunft sein», sagt er.
Urs Huber war fast zwei Jahrzehnte lang Profi im Marathon-Mountainbike. Und er war jahrelang Seriensieger und kaum zu bezwingen. Am Grand Raid, dem ältesten Marathon-Mountainbikerennen der Welt, wo er mit sechs Erfolgen Rekordsieger ist, nennt man ihn den «König des Wallis». Er siegte 2008, 2011, 2013, 2014, 2016 und 2019 an der Grand Raid.
Über 100 Siege
Seine Erfolge sind kaum aufzuführen. Wir versuchen es dennoch und listen hier «nur» die wichtigsten Siege im Marathon und in Cross-Country-Etappenrennen auf. Im Jahr 2008 holt er Bronze an der Welt- und Europameisterschaft. 2011, 2014, 2016, 2018 und 2019 wurde Huber Schweizer Marathon-Meister. Sechs Mal beendet er das Jahresklassement von swiss cycling auf dem 1. Rang. 2016 holt er den Gesamtsieg Absa Cape Epic in Südafrika. In Australien holt er sich fünf Mal den Gesamtsieg an der Crocodile Trophy. Im Jahr 2011 und 2023 gewinnt er an der Maxxis Bike Transalp. Die Rocky Mountain Marathon Series holt er sich 2009 und 2010. Die iXS swiss bike classic gewinnt er sechs Mal. Weitere Siege: Garmin Bike Marathon, zwei Mal die Bike Marathon Classics, iXS Euro Bike Extremes, vier Mal die MTB Alpine Cup, fünf mal die Tankwa Trek, vier mal gewinnt er das Bike Festival in Riva del Garda, den Nationalpark Bike Marathon in Graubünden gewinnt er 2008, 2011, 2016, 2019, 2021, 2022 und 2023. Die Swiss Bike Masters gewinnt er zwei Mal, ebenso am Monte Generoso. Wer alle Siege und Podestplätze will, der kann auf www.urshuber.ch nachschauen. --spr