Austritte machen Sorgen
24.11.2023 WohlenKatholische Kirchgemeinde Wohlen traf sich zur Gemeindeversammlung im Chappelehof
Auch die katholische Kirchgemeinde Wohlen spürt die Folgen des Schlussberichts der Universität Zürich über die zahlreichen sexuellen Missbrauchsfälle im Umfeld der ...
Katholische Kirchgemeinde Wohlen traf sich zur Gemeindeversammlung im Chappelehof
Auch die katholische Kirchgemeinde Wohlen spürt die Folgen des Schlussberichts der Universität Zürich über die zahlreichen sexuellen Missbrauchsfälle im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz.
Walter Minder
Kirchenpflegepräsident Josef Brunner konnte 78 Stimmberechtigte im bereits teilerneuerten Chappelehof-Saal begrüssen. «Heute Nachmittag war es noch ziemlich staubig, aber jetzt gefällt es mir hier.» Speziell bedankte er sich bei Andrea Fuchs, Vorstandsmitglied im Verein St. Leonhard, und beim Chappelehof-Verwalter Andy Bächer, welche die Reinigungsarbeiten erledigt hatten.
Einleitend wies er auf zwei Themen hin, welche die Kirchenpflege in letzter Zeit stark beschäftigt haben: Personelles und Missbrauchsfälle.
Erfreulicherweise ist es gelungen, die personellen Lücken in der Leitung des Pastoralraums Unteres Freiamt zu schliessen. Im Mai startete Bea Schmid als Leitungsassistentin und im August Ignatius Okoli als Leitender Priester. Am 1. Dezember übernimmt Gerhard Ruff die Stelle als Pastoralraumleiter. «Als Ergänzung zum Team wird weiterhin ein Pfarreiseelsorger oder eine Pfarreiseelsorgerin gesucht – wie übrigens auch ein zusätzliches Mitglied für die Kirchenpflege.»
«Wir sind schockiert» – seit September über 100 Austritte
Brunner äusserte sich zu den ans Licht gekommenen rund 1000 Missbrauchsfällen, oft als Spitze des Eisberges bezeichnet, klar und deutlich: «Die Kirchenpf lege ist schockiert über die Ergebnisse der von der Bischofskonferenz initiierten Studie. Es ist für uns unfassbar, dass den Betroffenen von kirchlichen Vorbildern so viel Leid zugefügt worden ist. Wir stehen voll und ganz auf der Seite der Opfer, die Schuldigen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.»
Viele Kirchenmitglieder hätten das Vertrauen in die Institution «Kirche» verloren und sich zum Austritt entschlossen – auch in Wohlen. «Allein seit September haben wir über 100 Mitglieder verloren», so Brunner.
Die von Vizepräsident Hans-Ulrich Pfyffer präsentierte Jahresrechnung 2022 schliesst trotz eines um rund 180 000 Franken unter Budget liegenden Steuerertrags unter anderem dank einem Legat von 50 000 Franken sowie weniger Personalkosten aufgrund unbesetzter Stellen mit einem Plus von rund 60 000 Franken ab. Pfyffer: «Das positive Ergebnis ermöglicht bereits eine erste Abschreibung auf den Sanierungskosten vom Domherr-Meyer-Haus.»
Das Darlehen von einer Million Franken an den Verein St. Leonhard für die Sanierung vom Chappelehof ist in der Bilanz im Anlagevermögen ausgewiesen, entsprechend reduziert sich das Umlaufvermögen. Ursula Hausherr, Präsidentin der Finanzkommission, empfahl im Namen ihrer Kommission die Jahresrechnung 2022 zu genehmigen, was auch einstimmig erfolgte.
Optimistisches Budget 2024 sorgt für Diskussionen
Einleitend erwähnte Pfyffer, dass das Budget 2024 vor Bekanntwerden der Missbrauchsfälle erstellt und daher eher als «optimistisch» zu bezeichnen sei. Er rechne für das laufende Jahr mit bis zu 200 Austritten, was sich auf die Steuereinnahmen auswirkt. Zudem sei der Ertrag aus dem in Diskussion stehenden Baurechtsvertrag mit der Einwohnergemeinde nicht berücksichtigt, «wir wissen ja nicht, ob das Projekt grünes Licht erhält».
Dann machte er einen kurzen Ausblick in die finanzielle Zukunft der katholischen Kirchgemeinde. «Unsere Finanzplanung rechnet ab 2026 mit einem jährlichen Verlust, der uns zu konkreten Massnahmen zwingt, entweder durch Kosteneinsparungen, Ertragssteigerungen oder höhere Steuereinnahmen, beispielsweise durch weniger Gottesdienste oder Mehreinnahmen durch den Verkauf von Liegenschaften.»
In der angeregten Diskussion wurden der hohe Beitrag an die Landeskirche ebenso wie Notwendigkeit und Nutzen des Pastoralraums Unteres Freiamt mit seinen sechs Kirchgemeinden infrage gestellt. Kirchenpflegepräsident Josef Brunner: «Der Beitrag an die Landeskirche ist abhängig von unserem tiefen Steuerfuss. Und die Auflösung des Pastoralraums ist für uns keine Option, zum einen werden dadurch die herausfordernden kirchlichen Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt, zum anderen liegt eine Auf lösung in der Kompetenz des Bistums.» In der Abstimmung sagten 75 Stimmberechtigte Ja zum Budget 2024, der Antrag auf einen unveränderten Steuerfuss von 17 Prozent wurde diskussionslos genehmigt.
Sanierung Domherr-Meyer-Haus gut unterwegs
Kirchenpflegemitglied Italo Valentino informierte über die Sanierung vom Domherr-Meyer-Haus, in deren Rahmen zudem das Gesellehüsli im April abgerissen worden ist. «Die Jungwacht konnte im März ihre neuen Räumlichkeiten im Keller vom Emanuel-Isler-Haus beziehen, wo es ihr sehr gut gefällt.» Das Kostendach von rund 3,5 Millionen Franken soll gemäss Valentino eingehalten werden können. Die vier Wohnungen sind im Frühling bezugsbereit, das Atelier wird vom bisherigen Mieter weitergeführt, «nur die Nutzung der Ladelokalitäten im Erdgeschoss ist noch nicht klar».
Co-Leitung vom Pastoralraum
Arlette Bär, Vertreterin der Pfarrei Wohlen im Vorstand vom Pastoralraum, zeigte sich überzeugt, dass die Arbeit innerhalb des Pastoralraums aufgeteilt werden muss, «es braucht einen Leitenden Priester und einen Pastoralraumleiter».
Anschliessend stellte sich der ab 1. Dezember verantwortliche Leiter Dr. Gerhard Ruff motiviert den Stimmberechtigten vor. «Das Modell einer Co-Leitung überzeugt mich, denn heute gehen die Personalressourcen leider oft schneller zurück als die finanziellen.» Seine offizielle Wahl erfolgt im Rahmen einer Urnenwahl im 1. Quartal 2024.
Unter «Verschiedenes» wies ein Stimmbürger darauf hin, dass heute katholische Priester unter einem Generalverdacht und darum unter psychischem Druck stünden, «auch wenn sie während dreissig Jahren seriös gearbeitet haben». Ein anderer gab der Kirchenpflege den Tipp «Tue Gutes und sprich darüber». «Wenn wir die Austrittswelle stoppen wollen, müssen wir aufzeigen, wie wertvoll kirchliche Arbeit für die Gesellschaft ist.» Dem schloss sich Brunner zustimmend an: «Wir müssen uns besser verkaufen.»
Dann bedankte sich Paul Huwyler, Präsident vom Verein St. Leonhard, dass die Kirchgemeindeversammlung den sanierten Chappelehof-Saal sozusagen eingeweiht hat.
Doppelkindergarten im Farn geplant
Baurechtsvertrag mit der Gemeinde bringt Geld in die Kasse
Der Gemeinderat spricht in seiner kürzlich präsentierten Standortstrategie für die Schulraumplanung davon, dass Kindergärten künftig bei den Primarschulen platziert werden sollen. Das gilt auch für einen geplanten neuen Schulstandort im Farn, wobei aber das dafür vorgesehene Grundstück erst noch umgezont werden muss, was für die Jahre 2030/31 geplant sei.
Vor diesem Hintergrund ist der Gemeinderat an einem Baurechtsvertrag mit der katholischen Kirche interessiert. Es geht um eine rund 1500 Quadratmeter grosse Parzelle beim Blauring- und Jungwachthaus an der Lindenbergstrasse 45, die in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen liegt. Hier besitzt die katholische Kirchgemeinde ein Grundstück von rund 8500 Quadratmetern, wovon aktuell 7400 landwirtschaftlich genutzt werden.
Kirchenpflegepräsident Josef Brunner: «Wir gehen für eine Laufzeit von 50 Jahren von einer Einmalentschädigung von 150 bis 200 Franken pro Quadratmeter aus, das heisst von zwischen 230 000 und 300 000 Franken.»
In der Diskussion wurde der Vorschlag gemacht, dass der einmalige Erlös in die Teilrückzahlung der Hypothek für das Domherr-Meyer-Haus investiert werden soll. Zudem kam aus der Versammlung der Wunsch, dass bei den Gesprächen mit der Gemeinde auch die Umzonung der restlichen knapp 5000 Quadratmeter angesprochen wird. Brunner weiter: «Wir werden eine mögliche Umzonung in die Gespräche mit dem Gemeinderat einbringen.»
Ein Stimmberechtigter stellte die angedachte Einmalzahlung infrage. Vizepräsident Hans-Ulrich Pfyffer: «Lieber einmal 300 000 Franken in der Kasse als während 50 Jahren jährlich 6000.» Einstimmig erhielt die Kirchenpflege die Vollmacht, mit der Einwohnergemeinde einen entsprechenden Baurechtsvertrag abzuschliessen. --wam