Sabrina Salm, Redaktorin.
Er ist vier, vielleicht fünf Meter hoch. Breit recken sich seine Äste, bieten Vögeln und Insekten ein Zuhause und spenden im Sommer kühlen Schatten. Rund um ihn herum haben fleissige Hände Beete ...
Sabrina Salm, Redaktorin.
Er ist vier, vielleicht fünf Meter hoch. Breit recken sich seine Äste, bieten Vögeln und Insekten ein Zuhause und spenden im Sommer kühlen Schatten. Rund um ihn herum haben fleissige Hände Beete angelegt – Salat, Broccoli, Rüebli. Unter seiner Krone stehen Sitzbank, Stühle und ein Tisch. Fast jeden Sommerabend wurde hier nach getaner Arbeit beisammen gesessen, angestossen, geplaudert und die Ruhe genossen.
Seit über vierzig Jahren wächst dieser Baum an diesem Ort. Einer der ersten, die damals in diesem kleinen Gartenreich gepflanzt wurden. Kaum dreissig Zentimeter war er hoch, als er gesetzt wurde. Er sah spielende Kinder auf der Schaukel, erlebte, wie Kartoffeln vom Hobbygärtner gesetzt und von dessen Hund wieder ausgegraben wurden. Er war stiller Zeuge unzähliger Mittagessen, Geburtstage, Feierabende. Hörte Lachen, spürte Freude. Mit den Jahren wurde er grösser, stärker – und die Welt um ihn veränderte sich. Die Kinder wurden erwachsen, der Hund war nicht mehr da, die Familie wuchs, die Nachbarn wechselten. Doch der Baum blieb. Er trotzte Stürmen, erlebte, wie die Gemeinschaft im Garten immer enger zusammenrückte, wie schöne Tage und lange Abende geteilt wurden.
Nun aber steht er vor einem Umbruch, dem er nicht trotzen kann. Nach über vier Jahrzehnten stellte der Gesetzgeber fest, dass für diesen Gartenbetrieb nie eine Bewilligung existierte. Das Land müsse seinen «natürlichen Ursprung» zurückerhalten. Die Besitzer sind gebunden, müssen die Verträge mit ihren langjährigen Pächtern kündigen. Ob dies schlicht korrektes Verwaltungshandeln ist – oder eine Farce gegenüber Menschen, die jahrzehntelang niemanden störten – spielt keine Rolle mehr. Fakt ist: Die kleine Gemeinschaft muss ihr Paradies verlassen.
Sechs Familien räumen nun bis Ende Oktober ihr Gelände. Ein neuer Schrebergarten? Altershalber und auch, weil es einfach nicht mehr dasselbe sein wird, zur Zeit wohl eher nicht. Für sie war dieser Ort mehr als nur ein Garten.
Ob der Baum bestehen bleibt, ist ungewiss. Man kann nur hoffen, dass er die Renaturierung überlebt. Sonst wäre es ein Schlag, der noch tiefer trifft.