Anhaltendes Unverständnis
30.04.2024 Auw, Region OberfreiamtAlt-Bundesrat Ueli Maurer sprach am «Kamingespräch» der Verfassungsfreunde
Die Verfassungsfreunde versammelten sich zum Informationsabend. An diesem stand vor allem das Thema Corona im Fokus. Präsident Roland Bühlmann, Alt-Bundesrat Ueli Maurer ...
Alt-Bundesrat Ueli Maurer sprach am «Kamingespräch» der Verfassungsfreunde
Die Verfassungsfreunde versammelten sich zum Informationsabend. An diesem stand vor allem das Thema Corona im Fokus. Präsident Roland Bühlmann, Alt-Bundesrat Ueli Maurer und Journalist Philipp Gut sprachen über die Verfehlungen der Lockdown-Politik, falsche Fakten und den toxischen Einfluss der Medien.
Celeste Blanc
Es ist 19.30 Uhr, der Parkplatz vor der Mehrzweckhalle ausnahmslos besetzt. Hauptsächlich aus den Kantonen Aargau, Zürich und Luzern, aber auch aus der ganzen Schweiz – etwa Basel, Bern, St. Gallen, Glarus oder dem Tessin – ist man heute Abend angereist. Gemütlich pilgert man gemeinsam zur Halle. «Jo was, Du bisch au do?», hört man eine junge Frau mit freudiger Stimme sagen, die einer anderen die Hand schüttelt. «Natürlich, wenn de Ueli scho do isch», erwidert diese.
Alt-Bundesrat Ueli Maurer, er ist das Aushängeschild des «Kamingesprächs», zu dem die Freunde der Verfassung eingeladen haben. Das dominierende Thema: die Corona-Pandemie. Was für viele Menschen mittlerweile zur Vergangenheit zählt, ist an diesem Abend in Auw mehr als präsent. Davon zeugt nicht nur der Inhalt des später stattfindenden Talks, sondern auch einige Merchandise-Stände im Eingangsbereich der Halle. «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» wird mit Tassen, Stiften und Aufklebern geworben. Hinter dem Tisch steht ein junger Mann, der Interessierten erläutert, warum man die Stopp-Impfpflicht-Kampagne am 9. Juni annehmen solle.
Professionell inszeniert
An diesem lauen Aprilabend geniessen viele der Anwesenden ihren Apéro im Freien. Es wird geraucht, mit Most und Bier angestossen, gelacht. Und diskutiert – über Corona hauptsächlich. Eigentlich ist die Stimmung friedlich. Und dennoch ist die Polizei mit einem Wagen präsent, was einen fahlen Beigeschmack hinterlässt.
Zwischen den Menschen hindurch bewegt sich ein gleissendes Licht. Gerichtet ist dieses auf Roland Bühlmann. Mit Mikrofon und Kameramann ausgestattet, schlendert der Präsident der Verfassungsfreunde über das Gelände und erzählt von der anstehenden Veranstaltung. «Treten wir ein in die volle Halle», meint er mit charmantem Lächeln in Richtung Kamera. Und Bühlmann übertreibt nicht: Die Mehrzweckhalle in Auw, sie ist bis auf einzelne freie Plätze sehr gut besucht. Rund 400 Leute sind anwesend.
Was beim Betreten der Halle sofort auffällt: Die ganze Aufmachung ist professionell inszeniert. Während auf der Bühne drei Sessel um eine flackernde Kamin-Attrappe nur darauf warten, benutzt zu werden, leuchten Studiolampen die Bühne perfekt aus. Im hinteren Teil der Halle ist eine Ton- und Filmanlage aufgestellt: Über die Bildschirme flimmern Bühlmanns Live-Aufnahmen im Foyer. «Wieso sind sie heute Abend hier?», hört man Bühlmann fragen, der zu einem älteren Herrn herantritt.
Währenddessen sind draussen vor der Tür Kampfansagen zu hören: In gewohnt rebellischer Manier setzt sich «Mass-Voll»-Präsident Nicolas Rimoldi in Szene: Er werde heute Abend Ueli Maurer an den Pranger stellen, sagt er lässig mit Bier und Zigarette in der Hand vor laufender Kamera. Aufgenommen wird dies von Stefan Theiler von «Transition TV». Ein Online-Kanal, der sich gemäss Homepage als Ergänzung zu der allgemeinen «einseitigen und tendenziösen Berichterstattung» positioniert und über Fakten berichtet, die «in der in Schieflage geratenen Berichterstattung» der «Hauptmedien» keinen Platz finden.
Massenhypnose ist ausgebrochen
Nicht nur das Politische, sondern auch das Gesellige soll an diesem Abend nicht zu kurz kommen. Dem Apéro bei Wienerli mit Brot folgt Komiker Hugi, der in seinem Programm unter anderem mit Zaubertricks WC-Papier herzaubert – und damit den Humor der Leute trifft. Lockere Stimmung bei kecken Sprüchen, Musik und Zaubereien, die tatsächlich beeindrucken.
Es schlägt 20.30 Uhr, als es dann endlich so weit ist: Moderator Philipp Gut bittet Ueli Maurer auf die Bühne. Begleitet wird dies von grossem Applaus. Der Beifall, er soll an diesem Abend anhalten – hauptsächlich dann, wenn Maurer sich kritisch gegenüber den Corona-Massnahmen und den vermeintlichen Verfehlungen der Politik, Medien und Wissenschaft äussert. Diese stünden in einem «toxischen Verhältnis», meint Maurer. Während sich die «Mainstream-Medien» und die Politik in ihrer Panikmache gegenseitig «aufgegeilt»» hätten, wurde von der Wissenschaft bewusst mitgemischt: Auf «Pseudo-Zahlen» basierend haben die Taskforce, verschiedene Gremien, aber auch die Sanitätsdienste der Armee ihre Empfehlungen abgegeben, auf deren Grundlage der Bundesrat seine wöchentlichen Entscheidungen gefällt habe. Maurer kritisiert: «Das hat zu einer Massenhypnose und Massenpanik in der Bevölkerung geführt, und andere Meinungen sind in dieser Zeit regelrecht ausgeschaltet worden.»
Mehrheitsentscheide hintersinnt
Es scheint, je derber die Kritik an Bundesbern ist, desto mehr löst sie Zustimmung bei den Anwesenden aus. Man identifiziert sich offensichtlich mit dem Gesagten – immer wieder wird zustimmend genickt, hier und da ist ein lautes «Jawohl» zu hören.
Die Anwesenden, sie fühlen sich in ihrer Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, von der Politik, aber auch von der Gesellschaft verurteilt und ausgestossen. Eine Frustration, die man teilweise sogar nachvollziehen kann. Und doch: Stringent sind die Argumente nicht. Dem Umstand, dass die Massnahmen im Schweizer föderalistischdemokratischen System durch die Mehrheit der Kantone und des Volkes mitgetragen wurden, führt nach wie vor zu Unverständnis. Die angeklagte Intoleranz, welche die Anwesenden von der Mehrheit im Land erfahren haben wollen, wird nun umgekehrt. Dazu fragt eine 25-jährige Anhängerin von «Mass-voll»: «Bei jeder weiteren Massnahme dachte ich nur: Wo ist der Menschenverstand hin? Haben auch Sie gedacht, dass die Menschen wirklich so dumm sind?». Antwort Ueli Maurer: «Wenn Sie mich so fragen: Ja, die Mehrheit der Menschen ist so blöd – und hat daran geglaubt.»
Nicht alle kritischen Punkte, die an diesem Abend diskutiert werden, können als gänzlich haltlos abgstempelt werden: Dass eine Stigmatisierung der Ungeimpften stattgefunden hat oder dass man hinsichtlich der Strafuntersuchung zu den «Corona-Leaks» zwischen Alain Bersets Kommunikationschef Peter Lauener und Ringier-Boss Marc Walder nicht vom Fleck kommt, ist berechtigt. Und dennoch: Eine ausgewogene Diskussion zwischen Gut, Maurer und Bühlmann findet nicht statt. Auch werden bedenkliche Tendenzen offensichtlich. Etwa dann, wenn ein Alt-Bundesrat die Mehrheit des Souveräns als einfältig und meinungslos impliziert und die politische Entscheidungsfindung der Exekutive anprangert, die sich auf «nicht evidenzbasierte Fakten» stützt. Mit solchen Anschuldigungen wird definitiv die Souveränität des politischen Systems untergraben. Und – entgegen der Forderungen der Freunde, verfassungsmässige Rechte zu schützen – der demokratische Mehrheitsentscheid in einseitiger Haltung hinterfragt.
Kampfansage zum Schluss
Gleich verhält es sich bei der Schlussdiskussion. Die Regierung habe sich nicht richtig informiert, wird angeprangert. Ein Mediziner argumentiert, dass seine Berufskollegen, obwohl fachlich top, dem Irrtum der Politik unterlegen sind. Und dann macht Nicolas Rimoldi seine Kampfansage wahr: Er prangert Ueli Maurer vor laufender Kamera von «Transition TV» an, während der Corona-Pandemie ein Teil des Netzwerkes gewesen zu sein. Dass Ueli Maurer kurz zuvor unter grossem Applaus gefordert hatte, dass die Politik und die Gesellschaft sich bei den Ungeimpften für die Diffamierung und den Ausschluss aus der Gesellschaft entschuldigen sollten, kehrt Rimoldi nun gegen ihn: «Sie sagen, es brauche eine Entschuldigung von der Gesellschaft. Doch wann werden Sie, Ueli Maurer, zu Kreuze kriechen?» Und Ueli Maurer krebst beinahe zurück: «Ich versuche es nun zu korrigieren. Damals waren die Infos, die der Bund hatte, zu dieser Zeit nicht unlogisch.»
Nach gut anderthalb Stunden ist der Kaminabend Geschichte. Ueli Maurer setzt sich mit Philipp Gut und Roland Bühlmann wieder in die erste Reihe, geniesst den zweiten Teil von Hugis Unterhaltungsprogramm. Anschliessend kommt es noch zum einen oder anderen Gespräch.
So auch draussen, an diesem Abend. Die Menschen stehen zusammen, diskutieren über das Gesagte. Teilweise mit fragwürdigen Inhalten, etwa die Aussage, dass Geimpfte und Ungeimpte keine sexuellen Beziehungen hätten mehr eingehen dürfen. Wie dumm die Mehrheit ist, auf offensichtlich falsche Nachrichten reinzufallen. Und dann war da noch dieser eine Herr. Er zieht an seiner Zigarette und meint zu seiner Begleitung, dass es zum Glück vorbei sei. «Ich fühlte mich als Randständiger, weil ich mich nicht impfen wollte. Das war wirklich eine unschöne Zeit.»