Verliebt in das Velofahren

  12.07.2024 Wohlen

Sommerserie Influencer: Eine Viertelmillion Menschen (ver-)folgen Debora Brunold auf Instagram

In der Veloszene ist sie ein Superstar. 265 000 Menschen folgen ihr in den sozialen Medien. Ihren Job bei der Spitex hat sie gekündigt und lebt nun von den Einnahmen auf Instagram. Doch das florierende Business hat für die Wohlerin Debora Brunold auch starke Schattenseiten.

Stefan Sprenger

Sie hat die Aufmerksamkeit nicht gesucht – und doch gefunden. «Ich will eigentlich nur Velo fahren», sagt Debora Brunold. Millionen schauen ihre Videos und Bilder an, die sich fast ausnahmslos um das Radfahren drehen. Wenn sie an einem Event in der Szene ist, dann wird sie ununterbrochen angesprochen, sie muss Selfies machen, die Menschen werden in ihrer Umgebung nervös. «Ich fühle mich ein bisschen wie Beyoncé der Veloszene», sagt die 29-Jährige, die heute in Sins lebt.

«Man wird davon nicht reich»

Ihren Job bei der Spitex hat sie erst reduziert, dann gekündigt. «Es ist ein Privileg», sagt sie. Brunold ist eine Influencerin (zu Deutsch: Beeinflusserin). Ihre grosse Anhängerschaft ist für Unternehmen in der Szene attraktiv. Sie wird gebucht für Events oder um Produkte und Dienstleistungen zu bewerben. So verdient sie aktuell ihren Lebensunterhalt. «Wer hätte das gedacht?», fragt sie rhetorisch und antwortet selbst: «Ich sicher nicht.»

Ihr grosser Erfolg hat auch Schattenseiten. Denn sie steht unter stetem Druck, dass sie genügend Inhalte auf Instagram stellt – und auch genug verdient. «Anders, als viele meinen, wird man davon nicht reich», erklärt sie.

Debora Brunold spricht über die positiven Aspekte ihrer Arbeit als Influencerin, davon gibt es viele. Doch eben, die negativen Dinge sind auch da. Und in diesen Tagen ist sie etwas nachdenklicher als sonst. «Ich bin gerade an einem Punkt angelangt, wo ich mir viele Gedanken mache», sagt sie und zeigt sich im Gespräch erfrischend offen. «Die negativen Kommentare, die es manchmal gibt, nagen an mir. Und auch, dass das Privatleben und das öffentliche Leben, das ich auf Instagram teile, oft miteinander verschmelzen – und das gefällt mir nicht.» Debora Brunold ist eigentlich eine Frau aus dem ländlichen Freiamt, die einfach nur das getan hat, was sie liebt: Velo fahren. Doch diese Leidenschaft hat grosse und wohl auch etwas unkontrollierbare Ausmasse angenommen.


Sommerserie Influencer: Debora Brunold verdient ihren Lebensunterhalt mit Velofahren – ihr folgen 265 000 Menschen

Eine Viertel Million Menschen sehen ihr täglich zu, wie sie ihren Alltag bestreitet. Und dieser dreht sich hauptsächlich um das Velofahren. Debora Brunold ist Bike-Influencerin. Sie spricht über die Vorteile, die Schattenseiten – und über Selbstzweifel.

Stefan Sprenger

Ein Foto auf der Kirchentreppe in Wohlen. Debora Brunold lächelt in die Kamera. Ein Herr, Mitte 50, pirscht sich an den Journalisten und die Influencerin ran und schiesst mit dem Handy heimlich ein Foto. Als er bemerkt wird, sucht er schnell das Weite. Eine schräge Szene. «Das passiert mir öfter, als mir lieb ist», sagt Brunold. Sie zieht die Aufmerksamkeit irgendwie auf sich. Die Frau hat etwas Spezielles an sich, und es sind nicht nur ihre auffälligen Tattoos am ganzen Körper. Als sie zum Treffen mit ihrem weissen Bike angefahren kommt, drehen sich die Leute auf der Strasse nach ihr um. Im Restaurant nimmt sie ihr Bike mit an den Platz, wieder schauen ihr die Menschen hinterher. Ihr Velo kostet etwa so viel wie ein Kleinwagen, «und ich habe kein Schloss dabei», erklärt sie.

«Es ist nicht alles Chilli Vanilli»

Und nun sitzt sie da, mit Bike und Cola. Genau vor drei Jahren war sie am selben Ort, führte ein ähnliches Gespräch. Auf Instagram folgten ihr im Jahr 2021 rund 15 000 Menschen. Brunold, die in der Pflegi in Muri ihre Lehre machte, arbeitete damals bei der Spitex. Heute ist vieles anders. Auf Instagram hat sie 265 000 Follower, das sind über 17 Mal mehr als damals. Den Job als Pflegefachfrau hat sie erst reduziert und vor einem Jahr gekündigt. Heute lebt sie von ihren Einnahmen in den sozialen Medien. Vor drei Jahren sagte sie: «Ich bin gespannt, wo das noch hinführt.» Heute meint sie: «Es ist viel passiert.»

Schnell wird klar, die Welt in den sozialen Medien hat ihre Vorteile. Aber auch ihre Schattenseiten. «Es ist nicht alles Chilli Vanilli», wie sie es ausdrückt. Aber sie wolle zuerst über die guten Dinge reden. Die kreative Freiheit, die Flexibilität, das Privileg, die Welt zu bereisen und ihre Leidenschaft zu zeigen – und damit Geld zu verdienen. Ihre Chancen, mit namhaften Marken zusammenzuarbeiten, Velo-Anlässe zu besuchen, neue Leute zu treffen. «Persönlich bin ich in den letzten Jahren sehr gereift. Ich musste viel Selbstdisziplin lernen und auch, wie ein Online-Business funktioniert.» Denn obwohl sie reingerutscht ist in ihr Influencer-Dasein, hat sie es forciert. Aufgrund ihrer Fan-Gemeinschaft auf Instagram wird sie von diversen Velomarken als Werbeträgerin angefragt. Sie erhält Kleider, Utensilien oder Geld, wenn sie ein Bild für die jeweilige Marke zu Werbezwecken postet. Für alles lässt sie sich aber nicht einspannen. «Ich muss dahinterstehen, ich bleibe mir treu», sagt sie.

46 Stunden pro Woche am Handy

Jedenfalls so gut es geht. Denn mittlerweile ist sie selbstständig und muss dafür sorgen, dass auch genügend Geld reinkommt. «Ich verdiene als Influencerin etwas weniger als vorher in der Pflege», sagt sie. In der Branche sind rund 7000 Franken pro Monat (brutto) üblich. Es war ein festes Einkommen. Ihre Werbeverträge jetzt sind meist nicht langfristig. «Es kommt und geht. Es ist keine sichere Basis.» Und so muss sie immer dranbleiben.

Wie sehr sie dafür ackert, zeigt nur schon ihre Bildschirmzeit. Bis zu 46 Stunden pro Woche ist sie am Handy. «Eine Arbeitswoche mit Überstunden», sagt sie. Dabei bearbeitet sie Bilder und Anfragen. «Als ich damit angefangen habe, fühlte es sich nicht nach Arbeit an. Jetzt aber schon, ich habe viel mehr Struktur in meinem Alltag. Ich muss.» Und – ein sehr spannender Fakt – obwohl sie Bike-Influencerin ist, sitzt sie aus Zeitgründen mittlerweile weniger auf dem Velo als damals, als sie einen festen Job bei der Spitex hatte. Auch deshalb sagt sie: «Manchmal vermisse ich mein altes Leben, meinen alten Job.» Gut möglich, dass sie irgendwann wieder weniger am Handy und mehr auf dem Velo sein wird, weil sie wieder in der Pflege anfängt.

Selbstzweifel – auch wegen üblen Kommentaren

Würde sie anderen Menschen raten, auch Influencer zu werden? Debora Brunold, eine sehr selbstreflektierte Person, muss für einmal etwas länger überlegen. «Irgendwie ja. Irgendwie nein.» Man müsse der Typ dafür sein. Ist sie das? «Ich bin reingerutscht», meint sie. «Gesucht habe ich es nicht.»

Manchmal muss sie mit Firmen diskutieren. Über die Art der Zusammenarbeit, über Geld. «Das mag ich nicht», sagt sie. Sie will eine Inspiration sein. Sie will anderen Frauen Mut geben. Sie will ihre Leidenschaft zeigen, kreativ sein. Sie erhält von ihren 265 000 Followern viele positive Feedbacks. Eine Wertschätzung. «Das ist wunderbar. Das freut mich extrem. Das ist auch einer der Hauptgründe, wieso ich es tue. Ich will andere Menschen positiv beeinflussen und bereichern.»

Doch sie kriegt auch die Abgründe des Internets zu spüren. Sie gibt viel von ihrem Leben preis. Oftmals denkt sie sich: «Was denken die Leute?» Es sind Selbstzweifel einer selbstbewussten Person. Angesichts des Umstandes, dass 265 000 (und mehr) Menschen ihre Inhalte sehen, macht man sich eben so seine Gedanken. Manchmal erntet sie fiese und oberflächliche Kommentare zu ihren Bildern. «Deine Tattoos sind hässlich» oder «Du bist so dünn, iss endlich etwas». Es gäbe noch weitaus üblere Beschimpfungen. «Ich habe damit aufgehört, diese Kommentare zu lesen. Ich will den negativen Dingen nicht zu viel Raum geben.»

Nähe zu Heimat und Familie ist ihr wichtig

Viel lieber spricht sie über die Liebe. Vor vielen Jahren hat sie sich einmal in einen Velorennfahrer verliebt. Der Mann ist längst aus ihrem Leben verschwunden, das Velo ist geblieben. Eine ganz grosse Liebe ist daraus geworden. «Verliebt in ihr Velo, das wäre doch ein passender Titel für diesen Text», meint sie lachend. Auch wenn sie pro Woche rund 300 Kilometer auf dem Velo sitzt, sagt sie nach wie vor: «Ich bin ein Sportmuffel.» Sie fährt einfach gerne mit dem Bike, sie geniesst die Natur, die Sinne, die Welt. «Es gibt mir so viele schöne Momente.» Hier im Freiamt ist sie auch unterwegs. Es ist ihre Heimat. In Wohlen ist sie aufgewachsen, hier ging sie zur Schule. Danach lebte sie in Zufikon, Niederwil und Dottikon. Heute ist sie in Sins zu Hause. Die Nähe zur Heimat ist ihr sehr wichtig. Denn nebst dem Velo ist ihr die Familie heilig. Ihre Grosseltern leben in Anglikon, ihr Vater arbeitet bei der Notter AG in Wohlen und wohnt in Uezwil, ihre Zwillingsschwester Denise lebt in Hägglingen. «Sie sind stolz, sagen sie jedenfalls», meint sie lachend. «Mein Umfeld steht voll hinter mir.»

«Alles ist flach. Hilfe.»

Das Leben schreitet voran. In wenigen Tagen wird sie 30 Jahre alt. Sie macht sich Gedanken. Auch, weil sie weiss, dass ihr Influencer-Dasein nur temporär ist. Was hat sie noch für Ziele im Leben? Schnell ist das Gespräch beim Thema Kinder. Ihre Schwester wurde vor Kurzem Mutter, sie wurde Tante. «Das löste schon etwas aus. Mit diesem süssen Kind Zeit zu verbringen, gibt mir viel.» Allerdings: «Einen Kinderwunsch habe ich nicht unbedingt. Manchmal wäre es aber schön, wenn ich ein Ziel im Leben hätte. Wie beispielsweise ein Kind. Aber eigentlich ist alles gut, so wie es ist.»

Brunold führt mit ihrem Freund eine Fernbeziehung. Sie haben sich vor über einem Jahr bei einem Foto-Shooting für eine Velo-Kleidermarke kennengelernt. Sie war das Model, er war der Fotograf. Ihr Freund lebt in Holland. «Dort möchte ich nie leben. Es fahren zwar sehr viele Menschen Velo, doch es ist alles flach. Hilfe.» Sie mag es lieber hügelig. Schon Hunderte Pässe in Europa oder Südamerika hat sie mit ihrem Bike erklommen. Die Berge in Frankreich haben es ihr am meisten angetan.

3,2 Millionen Menschen schauen sich ihr Bild an

Eine Frage, die sich aufdrängt: Wieso folgen Debora Brunold eine Viertel Million Menschen auf Instagram? «Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung.» Vielleicht ist es, weil sie Abenteuer erlebt, die viele gerne erleben würden? Vielleicht weil sie ein Leben führt, von dem viele junge Menschen träumen? Vielleicht ist es einfach nur der Algorithmus von Instagram? Ihr Aussehen? Ihr Lachen? Ihre Tattoos? Alles zusammen? «Wirklich. Ich weiss es nicht». Ihr erfolgreichstes Bild entstand in Frankreich, als sie einen Pass überquerte. 3,2 Millionen Menschen sehen sich das Foto an, 100 000 klicken «gefällt mir». Wieso ausgerechnet dieses Bild? Wieder sagt sie: «Keine Ahnung.»

Debora Brunold erzählt von wundervollen Begegnungen bei Rad-Events. Dort wird sie erkannt, ist ein kleiner Star. Sie gibt Autogramme, posiert für Selfies, redet mit ihren Fans. «Die Menschen bedanken sich. Es ist alles sehr positiv. Einige sagen, ich sei für sie eine Quelle der Inspiration. Das ist für mich wundervoll und ein Antrieb, um weiterzumachen.» Und dennoch ist beim Gespräch zu spüren, dass sie sich in einer Art Selbstfindungsphase befindet. Das teilt sie auch mit den Followern auf Instagram. Eine Viertel Million Menschen lesen vor wenigen Tagen, wie sie die positiven und negativen Aspekte ihres Daseins als Influencerin und öffentliche Person ehrlich schildert. Sie reflektiert. Sie schätzt ein. Debora Brunold ist ein fröhlicher Mensch, lächelt sehr oft. Aber dennoch spürt man gewisse Zweifel am Influencer-Leben. Sie wiederholt einen Satz, den sie schon vor drei Jahren sagte: «Ich bin gespannt, wo das alles hinführt.» Auf Instagram ist ihre Quintessenz so passend, dass es sich auch als Schlusssatz für diesen Text eignet «Am Ende will ich nur etwas: Velo fahren.»


Sommerserie Influencer

Influencer sind Personen, die in den sozialen Medien (Instagram, Facebook, Tiktok usw.) eine grosse Reichweite haben. Der Begriff «Influencer» kommt vom englischen Verb «to influence» (zu Deutsch: beeinflussen). Viele Influencer nutzen ihren Bekanntheitsgrad, um Informationen zu verbreiten oder um Unternehmen zu bewerben, zum Beispiel als Marken- oder Produktbotschafter. Einige können davon leben. Auch die Region Freiamt hat einige spannende Influencer. In dieser Sommerserie porträtiert die Redaktion diese Menschen und erzählt ihre Geschichte. --red


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