Ende einer Ära
31.01.2025 Region Unterfreiamt, TägerigAb in den Ruhestand
Abschied von Gemeindeschreiber
Heute beendet Rolf Meier nach 41 Jahren seine Tätigkeit als Gemeindeschreiber in Tägerig.
Heute Nachmittag wird es im kleinen Dorf Tägerig zu einem Grossaufmarsch ...
Ab in den Ruhestand
Abschied von Gemeindeschreiber
Heute beendet Rolf Meier nach 41 Jahren seine Tätigkeit als Gemeindeschreiber in Tägerig.
Heute Nachmittag wird es im kleinen Dorf Tägerig zu einem Grossaufmarsch kommen. Denn heute endet die Amtszeit von Rolf Meier. Seit dem 1. April 1984 amtete er als Kanzler in dem Dorf, in dem er lebt. Er hat viele Gemeinderäte kommen und gehen sehen, er ist geblieben. Nun geht er in den verdienten Ruhestand. --chh
Heute Freitag tritt Tägerigs Gemeindeschreiber Rolf Meier nach 41 Jahren in den Ruhestand
Dass er praktisch sein ganzes Berufsleben am gleichen Ort verbringen würde, das war so nicht geplant. Aber er bereut es auch nicht. «Für mich hat es gepasst hier, es gab keinen Grund zum Wechseln», sagt Rolf Meier.
Chregi Hansen
Am 1. April 1984 (kein Aprilscherz) nahm Rolf Meier seine Arbeit als neuer Gemeindeschreiber in Tägerig auf. Am 31. Januar 2025, also heute, verlässt er seinen Arbeitsplatz. Fast 41 Jahre hat er sich im Hintergrund für seine Wohngemeinde eingesetzt. Nun geht er in den verdienten Ruhestand. «Der Zeitpunkt ist ideal», sagt er selber.
Rolf Meier ist einer der Letzten seiner Art, das weiss er selber. Dass Gemeindeschreiber während Jahrzehnten an dem Ort arbeiten, wo sie auch wohnen, war früher gang und gäbe. Heute findet man diese Form der Treue nur noch selten. «Wir bilden zwar viele Junge aus», so seine Erfahrung. «Aber viele scheuen sich, Verantwortung zu übernehmen, und sind auch nicht mehr bereit, abends oder auch mal am Wochenende zu arbeiten.» Er sagt das ohne Bitterkeit und ohne kritischen Unterton, es sei halt einfach so.
Nachfolger selber ausgebildet
Darum ist er froh, dass Tägerig mit Tobias Matter aus Künten einen kompetenten Nachfolger gefunden hat. Und erst noch einen, den er selber ausgebildet hat. Das macht es für ihn einfacher, loszulassen. Dies auch, weil Tägerig in den vergangenen Monaten die internen Abläufe und alle wichtigen Dokumente digitalisiert hat. «Darum ist jetzt der ideale Zeitpunkt für den Wechsel», sagt Meier, «denn all das vorhandene Wissen ist gespeichert.»
Das war früher anders. In den 41 Jahren als Gemeindeschreiber hat Rolf Meier viele Gemeinderäte kommen und gehen sehen. Er war die einzige Konstante. Bei geschätzt 1600 Gemeinderatssitzungen war er dabei. Und wie viel Einfluss hat er genommen? «Ich hatte nur eine beratende Funktion. Ich habe nie mitentschieden. Ich habe mich vor allem da eingebracht, wo es um rechtliche Fragen ging. Aber manchmal war ich der Einzige, der die ganze Vorgeschichte kannte, die habe ich dann beigesteuert in der Diskussion», sagt er. Auch wenn er selber im Dorf wohnt, habe er nie im Gemeinderat für persönliche Anliegen gekämpft. «Es ging nie darum, ob es mir was bringt. Sondern ob der Entscheid im Sinne der Bevölkerung ist.» Und ja, es gab – wenn auch sehr wenige – Entscheide, von denen er nicht begeistert war. «Aber dafür musste der Gemeinderat die Verantwortung übernehmen, nicht ich.»
1600 Gemeinderatssitzungen. Das bedeutet nicht nur viele Stunden am Tisch sitzen, sondern noch viel mehr Stunden der Vorbereitung. Und anschliessend des Protokollierens. Was dies betrifft, schätzt Meier den technischen Fortschritt, auch wenn er ab und zu mit der Technik auf Kriegsfuss stand. Früher sass er wirklich mit Stift und Block an der Sitzung, hat mitgeschrieben und das Ganze anschliessend auf der Schreibmaschine getippt. Erst im «Sudel», dann ins Reine. Heute sind die Protokolle quasi geschrieben, bevor die Sitzung beginnt. «Vieles ist digital vorbereitet, die Gemeinderäte können alles einsehen, an der Sitzung wird eigentlich nur noch abgestimmt», erklärt er. Trotzdem seien die Sitzungen noch wichtig. «Jeder Gemeinderat hat seine eigene Sicht auf die Dinge, die er auch einbringt. Die Mitglieder sind auch nicht immer gleicher Meinung. Das ist eben Demokratie.»
Lieber in kleiner Gemeinde tätig
41 Jahre hat er die Geschicke seiner Gemeinde wenn nicht mitentschieden, dann zumindest mitgeprägt. Dass er so lange am gleichen Ort bleiben würde, war nicht geplant. Das Ergreifen dieses Berufs hat sich hingegen früh abgezeichnet. Seine Schnupperlehre hat er auf der Gemeindekanzlei in Mellingen absolviert. Rolf Meier erinnert sich noch gut. «Es war kurz vor dem Rohbaufest für das Hallenbad. Der Gemeindeschreiber wollte mich testen und liess mich die Einladungen tippen. Weil ich das Zehnfingersystem schon beherrschte, ging das gut.» Offenbar hat er Eindruck hinterlassen, jedenfalls wurde ihm anschliessend die Lehrstelle angeboten. 1979 folgte der Lehrabschluss, die Zeit bis zur RS absolvierte er auf dem Betreibungsamt in Wohlen, wo er den Schuldnern die Forderungen teilweise persönlich mit dem Velo vorbeibrachte. «In dieser Zeit kannte ich mich in Wohlen fast besser aus als in Tägerig», lacht er.
Nach der RS folgte eine Stellvertretung in Aristau, dann kehrte er nach Wohlen zurück. Doch der Abstecher ins Reusstal hat ihm deutlich gemacht, dass er lieber in einer kleineren Gemeinde tätig sein will.» Nicht alles, was gross ist, ist per se besser. In kleineren Orten arbeitet man oft effizienter, vieles lässt sich einfacher regeln, es geht schneller vorwärts», ist er überzeugt. Er wurde erst Gemeindeschreiber-Stellvertreter in Hägglingen. Als aber sein Vorgänger in Tägerig seine Stelle überraschend kündigte, ergriff er die Chance und wechselte erneut. «Im Dorf kannten sie mich. Sie wussten also, wen sie wählten.»
Im Dorf bestens verankert
Bereut hat das Dorf die Wahl nie. Umgekehrt er auch nicht. «Ich würde den Beruf wieder ergreifen», sagt Rolf Meier mit einem Lächeln im Gesicht. Und auch den Arbeitsort. Am gleichen Ort leben und arbeiten zu können, das sei doch Lebensqualität. «Ich könnte mir nicht vorstellen, jeden Tag nach Zürich zu pendeln», gibt er offen und ehrlich zu. Probleme mit der Abgrenzung hatte er nie. Es kam zwar vor, dass er in der Beiz oder beim Spazieren mal auf Gemeindethemen angesprochen wurde. Dann hat er die Betroffenen einfach darum gebeten, sich am nächsten Tag auf der Kanzlei zu melden. «Das wurde akzeptiert.» So war es ihm problemlos möglich, sein Hobby als Mitglied des örtlichen Musikvereins zu pflegen und anschliessend im Restaurant zusammen ein Bier zu trinken. Rolf Meier, der als Primarschüler mit seiner Familie nach Tägerig kam, ist im Dorf bestens verankert. Und akzeptiert.
In den vergangenen Jahren hat sich sein Beruf stark verändert. Viele Aufgaben mussten kleinere Gemeinden abgeben. Beispielsweise das Vormundschaftswesen. Darüber war Rolf Meier nicht unglücklich. «Man wurde teilweise schon mit schwierigen Schicksalen konfrontiert», sagt er. Anderes hat er ungern aufgegeben. Etwa das Zivilstandsamt. Mehr als 100 Paare hat er verheiratet, für ihn immer wieder wunderbare Erlebnisse. Stark verändert hat sich auch das Tempo, wie sich Informationen verbreiten. «Früher habe ich die Gemeindenachrichten auf der Schreibmaschine getippt und per Post an die Zeitungen geschickt. Tage später sind sie dann erschienen. Heute werden sie, teilweise eine Stunde nachdem ich eine Mail gemacht habe, im Internet veröffentlicht oder im Regionalradio ausgestrahlt.» Ob dieses Tempo immer sinnvoll ist, bleibe dahingestellt.
Der Kampf um die Eigenständigkeit
Rolf Meier hat sich stets für sein Dorf und seine Einwohner eingesetzt. Und er ist, das gibt er zu, auch ein wenig stolz auf seine Mitbürger. «Sie haben es akzeptiert, dass wir eine Zeit lang den höchsten Steuerfuss des Kantons hatten. Weil sie gesehen haben, dass sie dafür auch einen Gegenwert erhalten, dass die Gemeinde sinnvoll investiert», erklärt er. Es mache keinen Sinn, den Steuerfuss tief zu halten und dafür den Unterhalt zu vernachlässigen. Damit verschiebe man die Probleme einfach in die Zukunft. «Es ist uns in Tägerig gelungen, die Stimmbürger zu überzeugen. Manchmal brauchte es mehrere Anläufe. Aber wir waren immer transparent und ehrlich.» So auch in der Debatte um eine mögliche Fusion, als an der «Gmeind» alle Vor- und Nachteile feinsäuberlich präsentiert wurden. Und sich die Stimmbürger dann mit grossem Mehr für die Eigenständigkeit entschieden haben. Für Rolf Meier das richtige Votum. «Solange es gelingt, die freien Stellen und Ämter zu besetzen, so lange sollten wir diesen Weg weitergehen», sagt er.
Der langjährige Kanzler sah sich stets als Dienstleister. Und hat diese Philosophie auch seinen Mitarbeitenden eingeimpft. Die Gemeinde ist für die Einwohner da, nicht umgekehrt. Trotzdem gibt es auch Fälle, in denen er nicht tätig wurde. Beispielsweise bei Nachbarschaftsstreitigkeiten. «Wenn es um wachsende Sträucher auf der Grenze oder um Lärmimmissionen geht, dann sollen die Betroffenen selber in einem ersten persönlichen Gespräch eine konstruktive Lösung suchen», so seine Haltung. Auch im Sozialbereich konnte er ab und zu hart sein. Einfach nur Geld fordern, ohne etwas dafür zu tun, das entspricht nicht seiner Einstellung. Darum wurden Bezüger von Sozialhilfe wiederholt zu Arbeiten innerhalb der Gemeinde aufgeboten. Oder auch mal in der Zivilschutzanlage unterbracht, wenn sie das für die Miete gedachte Geld auf andere Art ausgegeben haben und darum die Wohnung verloren. Das sind zwar keine einfachen Entscheide, aber unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung absolut zu befürworten, findet er. «Wer Leistungen von einer Gemeinde verlangt, muss auch Leistung bringen», so seine Devise.
Feiern mit der Miss Schweiz
Und da ist noch die Sache mit der Miss Schweiz. 2001 wurde mit Jennifer Ann Gerber eine junge Frau aus dem Dorf zur schönsten Schweizerin gekürt. Kurz vor der Wahl wurde der Gemeindeschreiber gefragt, ob man wohl eine Feier vorbereiten soll. Meier hat abgewunken, es habe ja noch 15 andere Kandidatinnen, die Chance auf den Titel sei wohl klein. Dass er sich geirrt hat, realisierte er, als er an diesem Samstagabend von einem Klassentreffen zurückkam und am Dorfeingang ein Plakat entdeckte mit der Aufschrift «Willkommen, Miss Schweiz». Der grosse Empfang der «Königin» fand dann eine Woche später statt. Mit dabei im OK: Rolf Meier.
41 Jahre lang hat er seine Arbeit im Gemeindehaus verrichtet. «Natürlich gab es andere Angebote. Aber für mich gab es keinen Grund zum Wechseln. Die Chemie zu den Gemeinderäten und Mitarbeitenden hat immer gestimmt. Wenn das anders gewesen wäre, dann wäre ich sicher nicht so lange geblieben», sagt er. Doch so sehr er seine Arbeit auch mag und so sehr er seiner Gemeinde verbunden ist, so fällt ihm das Loslassen jetzt leicht. «Ich freue mich auf mehr freie Zeit. Auf Velotouren und Wanderungen mit meiner Frau. Auf vermehrte Reisen.» Natürlich bleibt er dem Musikverein treu. Und auch an den «Gmeinden» wird er weiterhin dabei sein. Einfach nicht mehr am Tisch ganz vorne, sondern irgendwo hinten.
Ganz neu ist dieses Gefühl für ihn nicht. Bevor er Gemeindeschreiber in seinem Dorf wurde, hat er einst als junger Mann im Namen der «Musig» einen Budgetantrag gestellt. Und war damit erfolgreich. «Es war meine allererste Gemeindeversammlung, die ich besucht habe», schmunzelt er. Solche Anträge wird man von ihm in Zukunft nicht erwarten können, er will sich aus den politischen Diskussionen heraushalten. Wenn aber sein grosses Wissen benötigt wird, dann darf man ihn ruhig kontaktieren. Ganz wird Rolf Meier aus dem Leben Tägerigs also nicht verschwinden. Und das ist auch gut so.