Mit direktem Draht nach oben
29.03.2022 WohlenZeitgeschichte Aargau: Gesprächsrunde mit Heidi Widmer aus Wohlen und Fritz-René Müller
Kunst und Religion. Künstlerin und ehemaliger christkatholischer Bischof. Zwei Aargauer Persönlichkeiten, aus dem Freiamt und aus dem Fricktal, die mehr ...
Zeitgeschichte Aargau: Gesprächsrunde mit Heidi Widmer aus Wohlen und Fritz-René Müller
Kunst und Religion. Künstlerin und ehemaliger christkatholischer Bischof. Zwei Aargauer Persönlichkeiten, aus dem Freiamt und aus dem Fricktal, die mehr Gemeinsamkeiten verbinden, als man vermuten könnte. Die Suche nach dem Himmel ist eine solche Verbundenheit.
Daniel Marti
Wegsein war ihr so wichtig wie das Hiersein. So wurde Heidi Widmer von der Moderatorin Ruth Wiederkehr vorgestellt. Und die grosse Wohler Künstlerin war tatsächlich viel unterwegs. Schon in jungen Jahren. Von New York nach Feuerland, Studienaufenthalte in Genf und Rom. Afrika, Sri Lanka. Und bei einer dieser Reisen kam sie auch der Religion näher. In Rom, sie, die junge Künstlerin, traf auf drei junge Theologen. Eine grosse Auseinandersetzung müsse das werden, erhoffte sie sich schon bei der Kontaktaufnahme. «Aber», dachte sie sich, «die wissen, wo Gott hockt.» Sie selber sei ja stets auf dieser Suche gewesen.
Der Himmel ist wohl oberhalb
Ja, wo ist denn Gott? Der Himmel? Diese Frage konnte Fritz-René Müller besser beantworten. Der christkatholische Bischof sass ihr in der Diskussionsrunde im Stadtmuseum erstmals gegenüber. «Gott ist im Himmel, oder dort sollte er sein», sagte Müller. «Und wo ist der Himmel?», fragte Widmer. «Überall. Wohl eher oberhalb.» Und beide mussten schmunzeln, die Künstlerin und der Geistliche verstanden sich auf Anhieb. «Wir haben wohl beide den direkten Draht nach oben», sagte die Wohlerin.
Heidi Widmer war in jungen Jahren ein katholisches Kind. Ausgerechnet während ihrer Zeit in Rom habe sie den Glauben in die katholische Kirche verloren, gab sie zu. Und Fritz-René Müller zeigte Verständnis dafür, denn die christkatholische Kirche akzeptiert den Papst nicht, dafür Frauen in der Kirche. Genau das sei vielleicht die Basis, um die katholische Kirche noch zu retten, meinte die Künstlerin. Und Müller nickte. Seine Kirche kennt das Zölibat nicht.
Lockeres Plaudern mit dem Papst
Heidi Widmer (Jahrgang 1940) und Fritz-René Müller (Jahrgang 1939) verstanden sich in der Diskussionsrunde prächtig, obwohl sie sich erst eine Stunde zuvor kennengelernt hatten. Müller erkannte eben sofort die christlichen Werte, die Heidi Widmer stets verfolgte. Beispielsweise beim Aufenthalt in Sri Lanka, als der Tsunami im Jahr 2004 eine gigantische Katastrophe verursachte. «Ich konnte nicht abreisen, ich musste den Menschen einfach helfen», blickt Widmer zurück. Und sie war damals ständig in Sri Lanka – physisch oder in Gedanken.
Der Weg von Fritz-René Müller war irgendwie auch vorgezeichnet. Schon sein Bezlehrer sah in ihm einen Pfarrer, und seine Eltern sahen das ähnlich. Nur, Müller wollte erst Lehrer werden, studierte dann aber von 1959 bis 1963 Theologie. Und sein Weg als christkatholischer Bischof der Schweiz, von 2002 bis 2009, führte ihn tatsächlich zu Papst Benedikt XVI. Obwohl die christkatholische Kirche keinen Papst akzeptiert, diesen aber als Bischof von Rom sieht, kam es zu einer Audienz. 35 bis 40 Menschen besuchten den Papst, allen widmete er knappe zehn Sekunden. Aber Müller durfte mit ihm rund eine Minute plaudern. «Und danach wollten alle wissen, was wir uns erzählten.» Es war die Sprache, die es ausmachte. Deutsch eben. «Die Sprache ist wichtig», findet Müller, «man muss eben spüren, was man wie in Worte fasst.» Sprache sei ähnlich wie Musik. «Sprache ist faszinierend. Wie die Malerei», sagte Müller. «Auch bei der Malerei muss man sich annähern», ergänzte Widmer. Und sie erklärte, wie ein langer Prozess entstehen könne, «bis sich ein Bild herauskristallisiert».
Beide – Heidi Widmer und Fritz-René Müller – sind Personen, die weit herum gereist sind, die Welt erkundschaftet haben. Wie sie denn immer in Wohlen bleiben konnte, wurde Heidi Widmer gefragt. «War das magnetisch oder Zufall?» – «Früher», sagte Heidi Widmer ganz ehrlich, «habe ich mir nicht vorstellen können, in einem solchen Dorf zu leben.» Aber bei jeder Rückkehr aus dem Ausland habe sie in Wohlen Heimat gefunden. «Und jetzt ist es wunderbar, in Wohlen zu wohnen.»
Die gleichen Wurzeln wie Erika Burkart
Im Freiamt war Heidi Widmer auch immer nahe bei ihrer Freundin Erika Burkart. Die Schriftstellerin war eine ihrer besten Freundinnen – fast 40Jahre lang. Im Jahr 1973 hat Heidi Widmer Erika Burkart einfach besucht. Überraschungsbesuch ohne Ankündigung, sie ist etliche Stunden geblieben. «Dies ergab eine spontane Nähe», erklärt Widmer. «Erika Burkart wollte einfach meine Geschichte hören.»
Vom ersten Besuch an haben beide gemerkt: «Wir gehören zusammen.» Auch die Gedichte von Erika Burkart und die Werke von Heidi Widmer gehören irgendwie zusammen. «Sie haben die gleichen Wurzeln», sagt die Künstlerin.
Die Gemeinsamkeiten hielten ein Leben lang. Bis zum Tod. Erika Burkart ist im April 2010 im Spital in Muri verstorben – in den Armen von Heidi Widmer. «Das war wie ein Wunder. Viele Menschen können das kaum glauben. Aber dieser Abschied war so passend.» Als Heidi Widmer dies im Stadtmuseum in Aarau erzählte, blieb es für ein paar Augenblicke ganz still. Erika Burkart wäre heuer 100Jahre alt geworden – und irgendwie lebt sie dank den Worten von Heidi Widmer weiter.

