Weniger Polemik
25.02.2022 WohlenFDP-Nationalrat Jauslin zur KKW-Technologie
Die FDP Schweiz regt die Diskussion an rund um das Thema Kernkraftwerke in der Schweiz. Matthias Jauslin, Nationalrat aus Wohlen, betrachtet die Technologie sehr differenziert.
Die Stromversorgungssicherheit in der ...
FDP-Nationalrat Jauslin zur KKW-Technologie
Die FDP Schweiz regt die Diskussion an rund um das Thema Kernkraftwerke in der Schweiz. Matthias Jauslin, Nationalrat aus Wohlen, betrachtet die Technologie sehr differenziert.
Die Stromversorgungssicherheit in der Schweiz rückte in den letzten Tagen in den Fokus der Politik. Vor allem die FDP Schweiz besetzt das Thema mit ihrer Resolution «Weniger Polemik, mehr Strom». Neue Technologien bei Kernkraftwerken versprechen eine effektivere Nutzung. Der Weg dorthin ist jedoch sehr lange. Ob neue Reaktorsysteme tatsächlich Marktreife erlangen werden, bleibt abzuwarten. Dies erklärt Nationalrat Matthias Jauslin aus Wohlen, er ist Energie-Experte der Freisinnigen. Jauslin findet es nicht zielführend, «im Zusammenhang mit einer eventuellen Strommangellage über neue Kernkraftwerke zu diskutieren». Dies lenkt laut Jauslin vom Problem ab. Dies sei nämlich der schleppende Zubau von erneuerbaren Energien. Mit neuen KKW können laut Jauslin keine raschen Lösungen präsentiert werden. Wichtig sind die vielen Massnahmen, die in der Resolution der FDP aufgeführt sind. --dm
«Keine falschen Hoffnungen schüren»
Interview mit Nationalrat Matthias Jauslin: Der Entscheid der FDP Schweiz betreffend Kernkraft gibt zu reden
Mit der Energiestrategie 2050 wurde das Ende der Kernkraftwerke in der Schweiz beschlossen. Nun nimmt die FDP das Thema wieder auf. Der Wohler Nationalrat Matthias Jauslin ist Energie-Experte der FDP. Er spricht die Wettbewerbsfähigkeit, die Kosten und die Forschung an. «Zuallererst müssen wir uns von der Panikmacherei verabschieden», sagt er.
Daniel Marti
Die FDP Schweiz sagt Ja zu neuen AKW – allerdings unter gewissen Voraussetzungen. Dies ist das Resultat der Delegiertenversammlung. Oder die Formulierung der Freisinnigen im Originalton: Die neue Generation der Kernkraft-Technologie soll ihren Beitrag an die Versorgungssicherheit leisten können. Die FDP verkauft diese Formulierung als Kompromiss. Trotzdem wurde dadurch die Diskussion rund um die Kernkraft in der Schweiz neu entfacht.
Die FDP nennt den Entscheid der Delegiertenversammlung einen Kompromiss. Trotzdem ist es ein klares Zeichen für neue Kernkraftwerke in der Schweiz. Wie sehen Sie das?
Matthias Jauslin: Ich persönlich finde es nicht zielführend, im Zusammenhang mit einer eventuellen Strommangellage ab 2025 auf neue Kernkraftwerke zu setzen. Es lenkt vom eigentlichen Problem, nämlich dem schleppenden Zubau von erneuerbaren Energien, ab und setzt falsche Prioritäten. Die FDP Schweiz hat sich an der Delegiertenversammlung diesem Standpunkt angepasst und will keine Kernkraftwerke der 3.Generation zulassen. Die offenen Punkte betreffend Abfallproblematik und Restrisiko von Kernschmelzunfällen sind bei dieser Art von Reaktoren nicht gelöst. Ob sich langfristig neue Systeme zur Marktreife entwickeln, bleibt abzuwarten. Doch der Irrglaube, mit neuen KKW rasche Lösungen zu präsentieren, wird ausgeräumt.
Kernkraftwerke wurden mit dem neuen Energiegesetz (Energiestrategie 2050) verboten. Warum will sich die FDP Schweiz über diesen Volksentscheid hinwegsetzen?
Im Zusammenhang mit der Energiestrategie 2050 wurde das Kernenergiegesetz dahingegen ergänzt, dass der Bundesrat keine Rahmenbewilligungen für die Erstellung von Kernkraftwerken erteilen kann. Bestehende Werke dürfen so lange am Netz bleiben, wie das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI deren Sicherheit bestätigt und eine Betriebskonzession vorliegt. Natürlich kann auch der Kraftwerksbetreiber seine Anlage aus wirtschaftlichen Überlegungen stilllegen. Das war ja auch der Grund für die Abschaltung von Mühleberg.
Wie ist es denn nun, war der Entscheid vor fünf Jahren richtig oder falsch?
Die Zustimmung zur Energiestrategie 2050 war richtig und ist zu akzeptieren. Schon damals hielt aber der Bundesrat fest, dass Forschungsreaktoren nicht unter diese Bestimmung fallen und deren Bau bewusst offengehalten wird. Die ständige Mär eines Technologieverbots im Zusammenhang mit der Kernenergie ist daher falsch.
Warum? Können Sie das erklären?
Der Bund unterstützt eine technologieoffene Forschung. Dazu laufen mehrere Programme. Gesamthaft flossen 2021 431,72 Millionen Franken in die Energieforschung, alleine 52,4Millionen davon in das nukleare Forschungsgebiet. Die Schweiz beteiligte sich auch via EU-Forschungsprojekte im Zusammenhang mit Kernenergie am internationalen Fusionsenergieprojekt ITER. Leider hat der Bundesrat das Rahmenabkommen beerdigt und wir haben uns so indirekt von diesem Projekt verabschiedet. So oder so ist der Bundesrat verpf lichtet, der Bundesversammlung regelmässig Bericht über die Entwicklung der Kerntechnologie zu erstatten. Dies wird erstmals Ende 2022 der Fall sein. Damit bleibt die Möglichkeit einer neuen Lagebeurteilung und der politischen Meinungsbildung auch in Zukunft gewährleistet.
Was genau ist denn an der neuen KKW-Technologie so viel besser als an der bisherigen Generation?
Die Forschung geht davon aus, dass mit neuer Technologie eine effektivere Nutzung der Brennelemente, ein höherer Sicherheitsstandard und eine kürzere Halbwertszeit des nuklearen Abfalls erreicht werden können. Schon 2001 haben sich die führenden Atom-Nationen zu einem Forschungsverbund zusammengeschlossen. Aktuell koordinieren 14Industrieländer ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in diesem «Generation IV International Forum» (GIF). Sechs Reaktorsysteme werden als geeignet erachtet, um die Entwicklungsziele zu erreichen. Marktreif ist kein einziger. Bis zur kommerziellen Stromerzeugung werden wohl noch Jahrzehnte vergehen.
Die Schweiz hat immer noch kein Endlager für Atommüll, radioaktiven Abfall. Sollte nicht zuerst dieses Problem endlich gelöst werden, bevor über den Bau von neuen Kernkraftwerken debattiert wird?
Debattieren darf man immer. Nur sollten wir keine falschen Hoffnungen schüren. Aber ja, wir haben die Pendenz des Abfalls noch nicht definitiv gelöst. Mit der NAGRA, dem technischen Kompetenzzentrum für die Entsorgung radioaktiver Abfälle, ist eine seriös arbeitende Organisation am Werk. Ein Standortvorschlag der NAGRA wird noch dieses Jahr erwartet. Gemäss Fahrplan soll dann der Bundesrat 2029 den Entscheid zur Rahmenbewilligung für das Tiefenlager treffen und 2031 ist eine allfällige Referendumsabstimmung vorgesehen. Möglicher Baustart wäre somit 2045. Ich bin überzeugt, dass die Arbeiten mit einer kaum zu übertreffenden Gewissenhaftigkeit durchgetaktet sind. Aber solange diese Pendenz besteht, wird das Schweizer Volk kaum einem Neubau eines neuen Kernkraftwerks zustimmen.
Noch ein Kritikpunkt: Der Bau eines KKW ist sehr teuer, der Rückbau verursacht auch immense Kosten. Der aktuelle Rückbau des KKW Mühleberg kostet Milliarden und dauert rund zehn Jahre. Hat die FDP Schweiz diese Faktoren bei ihrem Entscheid pro Kernkraft auch berücksichtigt?
Selbstverständlich sind diese Faktoren zu berücksichtigen. Es war ja schon 1969, also bei Inbetriebnahme von Beznau 1, immer klar, dass solche Kraftwerke nur eine begrenzte Lebensdauer haben und anschliessend zurückgebaut werden müssen. Die Betreiber der Kernkraftwerke sind verpflichtet, alle aus dem vorangegangenen Betrieb und dem Rückbau anfallender radioaktiven Abfälle sicher in geologischen Tiefenlagern zu entsorgen und sämtliche damit verbundenen Kosten zu tragen. Diese Rückbaukosten werden über einen durch die Kernkraftwerksbetreiber finanzierten Stilllegungs- und Entsorgungsfonds getragen und durch eine unabhängige Organisation überprüft. Das Projekt Mühleberg liefert den zuständigen Kommissionen auch die notwendigen Fakten und Zahlen, um die theoretischen Werte praktisch zu erhärten. Ich denke, die Finanzierung haben wir im Griff.
Bei der Energiestrategie-Vorlage vom Jahr 2017 wurde festgehalten, dass Kernkraftwerke nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Gilt diese Feststellung nach fünf Jahren als überholt?
Über die Wettbewerbsfähigkeit streiten sich die Fachleute und die Politik. Tatsache ist, dass das aktuell im Bau befindliche Kraftwerk Flamanville 3 in der Normandie ursprünglich auf 3,4 Milliarden Euro veranschlagt wurde. Dabei handelt es sich um ein Werk der Generation 3plus. Mittlerweile geht der französische Staatskonzern EDF als Bauherr von 12,7 Milliarden Euro Baukosten aus. Die Inbetriebnahme war auf 2012 geplant, heute rechnet man mit einer Fertigstellung Mitte 2023. Ohne staatliche Hilfe lässt sich ein solches Kraftwerk definitiv nicht betreiben.
Was muss geschehen, dass in der Schweiz die Stromgrundversorgungssicherheit garantiert werden kann?
Zuallererst müssen wir uns von der Panikmacherei verabschieden. Solche Machenschaften werden derzeit sogar medienwirksam und durch Lobbyisten befeuert. Das finde ich ungeheuerlich. Selbstverständlich will niemand einen Blackout, aber ein solcher steht uns auch nicht unmittelbar bevor. Hingegen wird es immer auch technisch bedingte Stromunterbrüche geben. Solche ungeplanten Abschaltungen sind nicht auszuschliessen. Die grosse Herausforderung wird in Zukunft die Netzstabilität sein und diese kann nur im Europäischen Netzverbund gewährleistet werden.
Aber wie sieht es mit der Grundversorgungssicherheit effektiv aus?
Die Strommangellage ist tatsächlich ein anderes Thema. Das würde heissen, dass Strom nur im reduzierten Mass zur Verfügung stehen würde. Dazu haben wir in der FDP Schweiz ein gutes Papier erarbeitet, das die notwendigen Massnahmen kurz-, mittel- und langfristig aufführt. Für mich stehen kurzfristig mehrere Massnahmen im Vordergrund: Konzentration der Kräfte beim raschen Zubau von erneuerbaren Energien, gesicherte Integration in den europäischen Strommarkt, f lexibleres Preisschild für Strom in Anlehnung an Angebot und Nachfrage, strategische Speicher- und Produktionsreserve für Systemstabilität schaffen, wobei ich Gaskraftwerke nicht ausschliesse, Energieeffizienz erhöhen, indem Verbrauchsreduktionen und mögliche Lastabwürfe honoriert werden, sowie intelligente Stromnetze und Eigenverbrauchsgemeinschaften fördern. Gegenwärtig arbeitet die Kommission Urek-S an einem Gesetzesentwurf, der genau solche Themen aufnimmt.
Die Resolution der FDP Schweiz trägt den Titel «Weniger Polemik, mehr Strom». Wer betreibt Polemik rund um die Stromgrundversorgungssicherheit?
Das rechte Parteispektrum schreit nach einem Stromgeneral, dem sofortigen Bau von KKW und stellt die Klimaziele infrage. Auf der anderen Seite torpedieren Interessengruppierungen mit Einsprachen sinnvolle Ausbauprojekte bei Wasser und Wind. Die Mitwirkung an mehrheitsfähigen Lösungen wird verweigert oder bekämpft. Mit solchen Ablenkungsmanövern erreichen wir das Gesamtziel, nämlich die deutliche Reduktion unseres ökologischen Fussabdruckes, nicht.
Resolution
Die FDP Schweiz hat am 12. Februar eine Resolution zur Stomversorgungssicherheit verabschiedet. Darin bekräftig sie, dass sie pragmatische Lösungen präsentieren will, «die unsere Versorgungssicherheit gewährleisten und unsere Lebensqualität sicherstellen. Das erreichen wir durch die Stärkung der inländischen Stromproduktion im Sinne der Eigenversorgung in Kombination mit der vollständigen Einbindung in den europäischen Strommarkt.» Die Lösungen sollen zudem im Einklang stehen mit den Schweizer Klimazielen, und die Wirtschaft müsse fit für die Zukunft gemacht werden.
Persönlich
Matthias Jauslin nimmt seit 2015 Einsitz im Nationalrat. Seit 2019 ist er Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK), von 2015 bis 2019 war er Mitglied der Staatspolitischen Kommission. Zudem politisierte er für die FDP von 2009 bis 2015 im Grossrat. Von 2013 bis 2017 war er Präsident der FDP Aargau. Von 2007 bis 2013 war er Wohler Gemeinderat. Seine bevorzugten Themen sind KMU, Umwelt und Infrastrukturen, Energie, Geothermie, Luftfahrt. Jauslin (Jahrgang 1962) ist Inhaber und Geschäftsleiter der Jost Wohlen AG, dies ist ein Elektroinstallationsbetrieb.


