Weil Wohlen ein solches Zentrum verdient hat

  15.02.2022 Wohlen

Gespräch mit Jonas Arnet über Kultur in Wohlen

Er ist selber Komponist und Musiker, gleichzeitig aber auch Veranstalter. Und jetzt wollen Jonas Arnet und seine Mitstreiter ein Kulturzentrum in Wohlen realisieren.

Der Verein für Kultur Wohlen setzt sich zum Ziel, die kulturelle Reichhaltigkeit von Wohlen und Umgebung zu stärken und zu fördern. Dazu gehört die Organisation bestimmter Events wie der Sommerbar, des Stoppelfäld oder des Dreiraumkultur. Vor zwei Wochen hat der Verein seine neueste Idee präsentiert: die Nutzung des alten Werkhofs der Bleichi als Kulturzentrum. Im Interview spricht Präsident Jonas Arnet über die Wichtigkeit von Kultur, die Stärken der Wohler Szene und warum Wohlen ein solches Zentrum verdient hat. --chh


«Szene ist klein, aber oho»

Interview mit Jonas Arnet, Präsident des Vereins für Kultur

Vor zwei Wochen hat der Verein für Kultur seine Pläne für das Kulturzentrum «Alter Werkhof» präsentiert. Und dafür viel positives Feedback erhalten. Für Vereinspräsident Jonas Arnet ist das erst der Anfang. «Wir werden auf die Hilfe ganz vieler Leute angewiesen sein», weiss er.

Chregi Hansen

Was ist Ihnen näher: Rockkonzert oder Orchesterwerk?

Jonas Arnet: Ich muss sagen, dass ich nicht das eine dem anderen vorziehen würde. Ich bin auch mit beidem aufgewachsen. Was den ganzen Zirkus um die Klassik oder um den Rock angeht, so finde ich, dass beide voneinander lernen könnten. Das macht es auch schwierig für mich, diese Frage zu beantworten. An Rockkonzerten mag ich das Un-Elitäre, Ungezwungene. An Klassikkonzerten mag ich, dass der Musik sehr aufmerksam zugehört wird.

Theateraufführung oder Kinoabend?

Kann beides sehr bereichernd sein, ich entscheide mich aber klar fürs Theater. Ich mag das Live-Erlebnis und das damit verbundene Knistern bei den Darbietenden und dem Publikum. Live ist immer ein Drahtseilakt und das Risiko, dass etwas nicht perfekt läuft oder sogar gründlich danebengeht, macht es so spannend. Zudem arbeite ich oft für Theaterproduktionen und das bereitet mir stets grosse Freude.

Buchtaufe oder Kunstvernissage?

Weisswein gibt es bei beiden, also auch nicht ganz einfach zu beantworten (lacht). Eher Kunstvernissage. Ich bin ein redseliges Naturell und eine Kunstvernissage verbinde ich noch etwas stärker mit persönlichem Austausch unter den Besuchenden, aber auch mit den Kunstschaffenden.

Open Air oder Hallenstadion?

Wenn mit Open Air Veranstaltungen wie unser Stoppelfäld, das Zamba Loca, das Frischluftkultur, das Openeye usw. gemeint sind, dann klar Open Air. Riesenfestivals wie St. Gallen, Frauenfeld usw. machen mich dagegen weniger an.

Kleinkunst oder Bauernschwank?

Kleinkunst. Wobei auch der Bauernschwank seine Berechtigung hat. Auch wenn es einem selber nichts sagt, muss man sich immer fragen: Wäre es besser, es gäbe das alles nicht? Diese Frage kann ich selten mit «Ja» beantworten.

Was ist für Sie persönlich Kultur?

Ohne Kultur würden wir bloss ein bisschen Stoffwechsel betreiben. Ganz schön langweilig. Kultur ist für mich etwas, was der Mensch schafft, um sich das Leben lebenswert zu machen. Eben das, was über blosse lebensverlängernde und -erhaltende Massnahmen hinausgeht.

Warum ist Kultur für Menschen wichtig?

Hier muss ich mich teilweise wiederholen: Kultur macht den Menschen erst zum Menschen. Mit ihr unterhalten wir uns selber, fordern unseren Geist heraus und schulen diesen damit. Unsere Organe machen, dass wir leben können, Kultur macht, dass wir das auch gerne tun.

Wo konsumieren Sie Kultur in Wohlen?

An ganz verschiedenen Orten: Ich liebe den Sternensaal, bald werde ich wieder einmal ins Kantiforum gehen, wenn der Monti in Wohlen gastiert, gehe ich vorbei, das Gleiche gilt für den Kulturpalast, im Dezember war ich im Monti’s Variété und habe das sehr genossen, und viele habe ich jetzt sicher noch vergessen. Ah, und den Wochenmarkt habe ich natürlich aufs Äusserste abgefeiert. Häufig bin ich aber auch selber auf irgendeine Art und Weise involviert und deshalb sowieso dort anzutreffen.

Und wie beurteilen Sie die Kulturszene in Wohlen?

Klein, aber oho. Quantitativ können wir mit Städten wie Aarau und Baden nicht mithalten. Qualitativ muss sich die Wohler Kulturlandschaft aber nicht verstecken – im Gegenteil: Wenn Kultur in Wohlen geschieht, tut sie das häufig auf sehr gutem Niveau. Es sind natürlich oftmals die Gleichen, die etwas anreissen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das anderswo nicht auch so ist. Es ist hier halt ein Kuchen, aber die wenigsten verbinden mit diesem Wort ja etwas Negatives. Wenn mit Kuchen die Roulade meiner Grossmutter gemeint ist, kommt das einer Bestnote gleich. Dass in Wohlen im Moment vieles neu entsteht und dann auch gut besucht wird, zeigt, dass es kulturellen Aufschwung gibt.

Wie gut ist die finanzielle Unterstützung der Gemeinde?

Dass Wohlen finanziell nicht gerade auf sehr grossem Fuss leben kann und deshalb auch für die Kultur am Ende nicht viel übrig bleibt, ist kein Geheimnis. Das Geld aber, das es für Kultur zu verteilen gibt, ist immerhin relativ unkompliziert zu beantragen und gerade die Kulturkommission zeigt sich nicht knauserig.

Wo gibt es Nachholbedarf?

Was besser laufen könnte, ist die Durchmischung. Wohlen weist eine grosse demografische Bandbreite auf, und es wäre wünschenswert, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen würden sich mehr durchmischen und sich gerade auch kulturell gegenseitig inspirieren. Und noch was: Es hat zwar nicht direkt mit der Kultur in Wohlen zu tun: Wo wir ein Risiko sehen, ist die Tatsache, dass aufgrund der nicht optimalen ÖV-Anbindung die Leute zur späten Stunde nicht mehr von Wohlen nach Hause kommen. Wenn uns dieser Umstand der Besucher und Besucherinnen beraubt, ist das wirklich schade.

Was halten Sie vom neuen Kulturkonzept?

Das Kulturkonzept finde ich gut und intelligent formuliert. Man mag ihm die offenen und teilweise unkonkreten Formulierungen vorwerfen, ich halte aber genau das für dessen Stärke. Nur so kann ein Konzept, das über einen gewissen Zeitraum Bestand und Aktualität haben soll, der Schnelllebigkeit unserer Zeit gerecht werden und Interpretationsspielraum für die Ausführenden offen lassen. Das ist etwas anderes, als wenn wir vom Verein für Kultur Wohlen ein Konzept für eine kulturelle Zwischennutzung des alten Werkhofs verfassen. Dort wollen wir ja eine konkrete Idee umsetzen. In diesem Kontext sind konkrete Forderungen sinnvoll. Es würde aber wenig Sinn machen, wenn solche konkreten Forderungen in einem Kulturkonzept formuliert würden.

Was motiviert Sie und Ihre Freunde, sich so für die Kultur in Wohlen einzusetzen?

Wir fühlen uns mit Wohlen verbunden. Ich habe während meines Bachelor-Studiums in Bern gelebt und habe dort merken dürfen, dass es mich ja trotzdem beinahe jedes Wochenende zurück nach Wohlen zieht. In Bern hatte ich nie das Gefühl, dass es mich dort braucht oder dass irgendwas ohne mich nicht funktionieren würde. Hier in Wohlen fühlte ich mehr Verantwortung der Kulturszene gegenüber. In unseren Kreisen war man immer der Überzeugung, dass rumjammern nichts bringt und man seines eigenen Glückes Schmied sein sollte. So haben wir halt begonnen, Kultur so zu veranstalten, wie wir sie uns vorstellten und wie wir das Gefühl hatten, dass sie zu Wohlen passt. Ich habe Freude daran, zuerst etwas kultivieren zu müssen, bevor man ernten kann. Und das geht bei uns, glaube ich, vielen so.

Sie sind Teil einer Gruppe, die seit Jahren konstant neue Projekte kreiert. Was schweisst die Gruppe zusammen?

Dass wir eine Gruppe sind, ist ganz wichtig zu erwähnen. Ich stehe jetzt zwar hier Red und Antwort, tue das aber im Namen ganz vieler anderer Personen, die genauso viel Elan versprühen. Das hier ist keine One-Man-Show und soll es auch nicht sein. Uns schweisst wohl die Überzeugung zusammen, dass Wohlen eine lebendige Kulturszene braucht und verdient. Zudem sind wir zum Teil schon seit Jahren befreundet und haben schon manches zusammen ausgeheckt.

Aber wieso haben Sie extra einen Verein gegründet?

Eigentlich wollten wir anfangs nur ein neues OK für das Festival Dreiraum zusammenstellen. Im Geiste dieses Festivals schwingt bereits der Kerngedanke des Vereins für Kultur mit, nämlich die Vernetzung. Denn auch dort planen verschiedene Kulturlokale ein gemeinsames Festival. So dachten wir uns, wir könnten ja einfach gerade einen neuen Verein gründen, der allgemein Ideen dieser Art eine Plattform bietet.

Was sind die Stärken des Vereins?

Stark macht uns, dass man getrost nicht in allem stark sein muss und es trotzdem funktioniert. Denn dadurch, dass wir Leute mit sehr unterschiedlichen Begabungen sind, ergänzen wir uns sehr gut und alle sind irgendwo stark. Oftmals wird man in seinem Elan ausgebremst, wenn man kulturell etwas auf die Beine stellen will. Manch eine gute Idee ist wohl schon verpufft, weil es zu mühsam war, jemanden für die Finanzen zu finden, eine gute Website zu erstellen oder eine angemessene Versicherung abzuschliessen. Wir bieten diese Strukturen an und räumen so vielen kreativen Geistern einige Hürden aus dem Weg. Das Innovative an dieser Idee ist wohl die Stärke des Vereins.

Es gab in Wohlen immer wieder Gruppen von jungen Menschen, die eine Zeit lang Anlässe organisierten. Ihr habt jetzt sogar einen Verein gegründet.

Es ehrt mich sehr, wenn Leute in uns gewissermassen den Geist der legendären Wohler 70er-Jahre wiedererkennen. Es ist kein Zufall, dass die Schallplatte «Let’s have a good time!» von «NH3» schon etliche Male durch meine Wohnung dröhnte und zu meinen absoluten Lieblingsplatten gehört. Die Vereinsgründung erschien uns als sinnvoll, weil unser Vorhaben ja noch nirgends erprobt wurde und somit ein gewisses Risiko in sich birgt. Wir hatten das Gefühl, dass ein Verein uns als Privatpersonen am besten diesem Risiko entzieht.

Schafft es der Verein, auch Leute ausserhalb des festen Kerns anzulocken?

Der Verein zählt zirka 120 Mitglieder. Darunter sind ganz verschiedene Leute, die nicht alle aus unserem «festen Kern» stammen. Der Vorstand besteht zwar hauptsächlich aus Leuten aus diesem Kern und es sind auch viele Gründungsmitglieder noch immer im Vorstand. Aber wir sind stets sehr erfreut, wenn unser Verein in der breiten Öffentlichkeit bekannt wird, und freuen uns sehr über neue Mitglieder. Egal ob als Passivmitglieder, die einfach interessiert an unseren Aktivitäten sind, wie auch als tatkräftige Kulturakteure und -akteurinnen. Und wir sind bemüht, in Zukunft als Vorstand vermehrt an öffentlichen Anlässen präsent zu sein. Corona hat dieses Vorhaben etwas erschwert, aber am Wohler Adventsmarkt konnten wir ein erstes Mal einen Stand führen. Wir konnten dort auch neue Mitglieder anwerben.

Bisher war der Verein jeweils verantwortlich für einzelne Events. Mit dem Plan, ein Kulturzentrum zu eröffnen, erklimmt er eine ganz neue Dimension. Was macht Sie optimistisch, dass das klappt?

Im Moment herrscht verständlicherweise viel Euphorie und wir behaupten selbstbewusst, dass wir das hinkriegen. Als wir vor zwei Wochen mit diesem Projekt an die Öffentlichkeit gingen, hat das eine riesige Welle von positiven Rückmeldungen losgetreten. Wir sind uns aber auch bewusst, dass enorm viel Arbeit auf uns zukommt und dass es – wenn die Anfangseuphorie mal verf logen ist – auch viel Durchhaltewillen brauchen wird. Es ist klar, dass wir auch in Sachen Professionalisierung einen nächsten Schritt machen müssen. Und noch eines ist klar: Wir werden auf die Hilfe ganz vieler Leute angewiesen sein. Leute, die unser Vorhaben unterstützen und irgendwie etwas zum Gelingen der Idee und somit zur Attraktivität Wohlens beitragen wollen.

Warum braucht Wohlen überhaupt ein Kulturzentrum?

Wohlen leidet meiner Meinung nach etwas gar fest und zu Unrecht an mangelndem Selbstwertgefühl. Man macht sich kleiner, als man ist, und Unkenrufe wie «Vergiss das, wir sind hier immer noch in Wohlen …» sind omnipräsent. Dabei wohnen so viele gute Leute hier und es lebt sich so gut in dieser Gemeinde, die das Potenzial hat, die Vorzüge des Urbanen mit denen des Ländlichen zu vereinen. Wohlen soll auch von aussen wieder mehr positive Resonanz erhalten und deshalb steht dieser Gemeinde ein Kulturzentrum mit überregionaler Ausstrahlung gut an.

Was ist Ihre Vision, wie soll der Betrieb in diesem neuen Kulturzentrum zwei, drei Jahre nach der Öffnung aussehen?

Es soll florieren und ein Klima des Austausches und der Partizipation herrschen. Konzertbesucher und -besucherinnen sollen Kunstschaffenden, Bands und Bargästen die Klinke in die Hand geben. Der Name «Alter Werkhof Wohlen» soll sich rumgesprochen haben und wir erfreuen uns grosser Beliebtheit.

Die Vorstandsmitglieder sind alle jung. Wer garantiert, dass die meisten nicht plötzlich wegziehen und das Ganze abgebrochen werden muss?

Garantieren kann das niemand. Aber Projekte wie diese, die massgeblich zur Attraktivität dieser Gemeinde beitragen, minimieren dieses Risiko und können sogar neue Leute nach Wohlen locken. Eine Tendenz in diese Richtung ist bei Leuten in unserem Alterssegment auszumachen.

Wann wird Eröffnung gefeiert?

Einen Termin nennen können wir noch nicht. Zuerst müssen wir der Umnutzung wegen ein Baugesuch stellen und den positiven Bescheid abwarten. Hier erhoffen wir uns natürlich, nicht gross auf Gegenwind zu stossen. Wir peilen aber den Winter 2022/2023 an.

Und wer soll unbedingt im Kulturzentrum auftreten?

Es ist noch gar nicht klar, wer das Booking machen wird, deshalb will ich diesbezüglich keine falschen Erwartungen heraufbeschwören. Man wird vom Programm aber erwarten können, dass durchaus auch mal mit der grossen Kelle angerührt wird.

Wenn Sie als Präsident die Möglichkeit hätten, für die Eröffnung das ganze Programm selber zu bestimmen, was würde die Gäste an diesem Abend erwarten?

Passend wäre da auf jeden Fall ein drei Generationen übergreifendes Wohler Programm. Drei Bands aus der Region Wohlen, die sämtliche Altersgruppen ab dem ausgangsfähigen Alter abdecken. Ein Name, den ich mir hier vorstellen kann, ist im Verlauf dieses Interviews bereits mal gefallen. Diese Idee betrifft aber nur die Eröffnung, nachher sollen dann natürlich auch Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Schweiz auftreten und vielleicht kann man auch mal eine internationale Band auf deren Tournee aus dem umliegenden Ausland abfangen. Aber wie gesagt: Wir wissen noch nicht, wer schliesslich das Programm gestalten wird, das hier habe ich jetzt einfach mal frei assoziiert.

Die Zwischennutzung ist vorerst für fünf Jahre bewilligt. Und dann?

Dann schauen wir, und hoffentlich gibt es noch genügend Leute mit genügend Schnauf, die weiterziehen, sofern es die Situation zulässt. Das heisst, sofern die Gemeinde keine anderen Nutzungspläne des Areals geltend macht und das Projekt ein Erfolg ist. An die Abmachung mit der Gemeinde wollen wir uns auf jeden Fall halten.


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