Mit Gedichten Gefühle wecken
28.01.2022 Wohlen«Weltpoesie – Poesiewelten»: Wohler Bezklasse beteiligte sich an Lyrikprojekt
Deutschunterricht: Die meisten Erwachsenen denken dabei wohl an Diktate und Aufsätze. Die Klasse 1e der Bez Wohlen aber hat sich in den letzten Monaten mit dem Schreiben von ...
«Weltpoesie – Poesiewelten»: Wohler Bezklasse beteiligte sich an Lyrikprojekt
Deutschunterricht: Die meisten Erwachsenen denken dabei wohl an Diktate und Aufsätze. Die Klasse 1e der Bez Wohlen aber hat sich in den letzten Monaten mit dem Schreiben von Gedichten beschäftigt. Und dabei auch viele Abstecher in andere Sprachen unternommen.
Chregi Hansen
Die eine oder der andere mag sich vielleicht erinnern. Auf Plakaten, Tischsets und an anderen Orten tauchten letzten Sommer plötzlich Gedichte in verschiedenen Sprachen auf. Zwei Schauspieler waren zudem in Wohlen unterwegs und rezitierten Gedichte. «Lyrical Link» nennt sich das Projekt, welches die vielsprachige Lyrik aus der Schweiz in den öffentlichen Raum tragen will und damals für viel Aufsehen sorgte.
An der Bezirksschule in Wohlen fand das Ganze eine Fortsetzung. Die Klasse 1e von Patrizia Wohler und Melanie Moser beteiligte sich am Schulprojekt «Weltenpoesie – Poesiewelten», welches diese Woche seinen Abschluss fand. «Ich wurde bereits im Frühling angefragt, ob ich da mitmachen will. Ich sagte zu, obwohl ich damals keine Ahnung hatte, worum es genau geht. Und auch noch nicht wusste, welche Schüler und Schülerinnen ich nach den Sommerferien in meiner Klasse haben würde», erzählt Wohler. «Aber ich merkte dann schnell: Das kommt gut.»
Viel Mut bewiesen
Der Auftakt erfolgte im letzten August, als «Lyrical Link» einige Tage in Wohlen haltmachte. Die Schüler und Schülerinnen spazierten durch Wohlen, fanden und studierten Plakate mit Gedichten und deren Übersetzungen, hörten im Park beim Strohmuseum Vivienne Mösli und Ouelgo Téne beim Rezitieren zu, und einige ganz Mutige wagten es sogar, Gedichte in ihrer eigenen Muttersprache vorzulesen. An einem Impulstag einige Zeit später lernten sie den Projektleiter Peter Kuntner und die preisgekrönte Lyrikerin Dragica Rajcic kennen. An diesem Tag bekamen die Kinder und auch die Lehrerinnen eine Einführung in das automatische Schreiben, sie sortierten Texte und schrieben erste kleine Gedichte. «Wir tauchten ein in die Welt der Lyrik. Es war wunderbar. Vor allem, weil die Klasse voll dabei war und sich auf etwas Neues einliess», strahlt Klassenlehrerin Wohler.
Rotes Büchlein als Begleiter und Werke in zehn Sprachen
Seit den Herbstferien arbeiteten die Schüler und Schülerinnen – unterstützt von Kuntner und Rajcic– jede Woche zwei Stunden an ihren Werken. «Wir haben ein rotes Büchlein erhalten, das uns durch diese Zeit begleitete», erzählt Yannik Ackermann, einer der 25 Schüler der Klasse. Zuerst habe man einfach alles aufgeschrieben, was einem in den Sinn gekommen sei, dann habe man angefangen, an den Gedichten zu feilen, verschiedene Formen kennengelernt. «Zu Beginn fiel uns das Schreiben schwer. Aber mit der Zeit hatte man etwas Übung.» Die Klasse stellte sich immer wieder neuen Aufgaben. So erhielten alle Kinder einmal eine Postkarte und mussten dazu ein Gedicht verfassen. Oder sie übersetzten ihre Werke in ihre Muttersprache – und das sind in der Bez 1e einige, die Spannbreite reicht von Albanisch und Türkisch bis zu Englisch und Russisch. Sie übten aber auch, wie man richtig rezitiert. «Es hat uns Spass gemacht», sagt Yannik, «aber es ist auch gut, ist es jetzt fertig.»
Das Projekt sprengte sogar den Deutschunterricht. Kunstlehrer Nicolas Witschi beteiligte sich ebenfalls und liess die Klasse Tuschwerke gestalten, welche die Emotionen ihrer Werke zum Ausdruck brachten. Dabei entstanden ganz wunderbare Zeichnungen. Der krönende Abschluss blieb der Klasse aber versagt. Der geplante Kulturabend mit einem Auftritt vor den Eltern musste aufgrund der aktuellen Situation abgesagt werden. Nun wurde dieser im leeren Schulzimmer durchgeführt und gefilmt, damit die Eltern die Resultate doch zu sehen bekommen.
Nur zwei Klassen im Kanton liessen sich darauf ein
Patrizia Wohler ist froh, konnte die Lesung wenigstens in dieser Form durchgeführt werden. Die Lehrer Nicolas Witschi und Melanie Moser waren an diesem Abend als Kameraleute im Einsatz. «Es ist einfach toll, mit solchen Kollegen zusammenarbeiten zu können», freut sich Wohler, «ohne sie hätte ich mich wohl nicht auf das Experiment eingelassen.» Ihr Dank geht aber auch an die Schulleitung. «Es ist schön, dass solche Projekte möglich sind», sagte Wohler. Und es sei einmalig, dass sich eine Lyrikerin des Formats von Dragica Rajcic auf ein solches Projekt eingelassen hat. «Schade, konnte sie heute Abend nicht dabei sein.»
Begeistert äussert sich auch Projektleiter Peter Kuntner. «Es ist nicht selbstverständlich, dass sich eine Klasse auf ein solches Abenteuer einlässt, obwohl niemand genau wusste, wohin die Reise führt. Wir haben im ganzen Kanton gesucht und nur zwei Klassen gefunden, die mitmachen», erzählt der Kurator und Szenograf. «Lyrical Link» habe die Absicht, die verschiedenen Sprachen sichtbar zu machen, welche in der Schweiz gesprochen werden. «Für Menschen mit Migrationshintergrund ist es schön, hier in der Schweiz Texten in der eigenen Sprache zu begegnen. Umgekehrt ist für die Schweizer Bevölkerung spannend zu sehen, wie sich andere Sprachen präsentieren. Und das nicht nur im China-Restaurant», ist er überzeugt.
«Lyrical Link» soll jetzt andere Kantone erobern
Kuntner wehrt sich dagegen, dass der Lyrik immer der Anstrich des Elitären angeheftet wird. «Gedichte sprechen die Menschen direkt an», sagt er und berichtet, wie die Klasse im Laufe des Projekts beispielsweise von einem richtigen Haiku-Fieber erfasst wurde – Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die heute weltweit verbreitet ist.
Der Projektleiter hat grosse Freude an den Werken der Klasse 1e, die alle in zwei verschiedenen Sprachen vorgetragen wurden. «Fremdsprachigkeit wird in vielen Schulen als Defizit angesehen. Die Kinder können zu wenig gut Deutsch. Ein solches Projekt macht das Potenzial deutlich, welches die Mehrsprachigkeit hat», ist er überzeugt. Und er hofft, dass «Lyrical Link» nach dem gelungenen Start im Aargau bald in anderen Kantonen durchstarten kann. Die Klasse 1e der Bez Wohlen kann dabei als gutes Beispiel dienen.