«Jeden Tag das Beste geben»
14.01.2022 BremgartenHelene Seiler blickt zurück auf das Wirken in einem Bremgarter Traditionsbetrieb
Die Metzgerei Stierli erhält ab dem kommenden März neue Betreiber. Urs Stierli zieht sich altershalber zurück. Damit endet in Bremgarten auch die lange Ära einer ...
Helene Seiler blickt zurück auf das Wirken in einem Bremgarter Traditionsbetrieb
Die Metzgerei Stierli erhält ab dem kommenden März neue Betreiber. Urs Stierli zieht sich altershalber zurück. Damit endet in Bremgarten auch die lange Ära einer Familiendynastie.
Marco Huwyler
Die Stierli-Metzgerei ist eine Institution in Bremgarten. Seit nunmehr drei Generationen vertreibt die Familie mit dem für ihr Metier so passenden Namen Fleischwaren in der Altstadt. Seit über 100 Jahren. Nun bricht ein neues Kapitel an.
Die Metzgerei an der Marktgasse 33 wird zwar auch künftig so heissen, doch betrieben wird sie ab März erstmals nicht mehr von einem Stierli. Der 64-jährige Urs Stierli zieht sich altershalber zurück. Dies war schon seit Längerem geplant. Aufgrund des krankheitsbedingten Ausfalls des bisherigen Inhabers wurde die Übergabe jedoch um einige Monate vorgezogen.
Aus diesem Grund kann sich der lang jährige Bremgarter Metzger auch noch nicht selbst zu seinem Lebenswerk äussern. Doch seine Partnerin gibt gerne Auskunft und weiss manches zu berichten. Seiler wurde von Stierli einst vor 20 Jahren als Mitarbeiterin eingestellt. «Und irgendwann hats dann gefunkt bei uns», lächelt die Fleischfachfrau.
«Chum, mer gönd id Würscht»
Als Seiler bei Stierli zu arbeiten begann, wurde in Bremgarten noch geschlachtet. «Nur Schweine nicht», erzählt sie. «Die wären zu laut gewesen. Das wollte Urs den Anwohnern in der Altstadt nicht zumuten.» Mit den Jahren hat man dies dann ausgelagert und sich ganz auf die Produktion von Fleisch- und Wurstspezialitäten konzentriert. Auf Letztere ist das Stierli-Personal besonders stolz. Die Würste aus Eigenproduktion sind weitum als speziell fein bekannt. «Wir haben zum Teil Kunden aus der Innerschweiz, die extra deswegen zu uns kommen», berichtet Seiler. Die Stierli-Würste werden von den Metzgereibetreibern jeweils am Wochenende auch auf dem Grillstand neben dem Spittelturm zubereitet, der unter Fleischliebhabern der Region Kultstatus geniesst. «Chum, mer gönd no id Würscht» ist in Bremgartens Gässchen an sonnigen Samstagen ein oft gehörter Satz.
Kundenbindung schaffen
Seiler und Stierli sind ein Paar, das bis heute voller Leidenschaft für seinen Betrieb lebt und arbeitet. «Es kam nicht selten vor, dass wir auch zu Hause noch lange über Geschäftliches diskutierten, bis Urs dann mal sagte: ‹Jetz isch aber Fiirabig›», erzählt Seiler lächelnd. Doch das sei nicht schlimm, schliesslich habe man die Arbeit immer gerne gemacht. «Es ist ja normal, dass man dann oft über das redet, was einen gemeinsam beschäftigt und wofür man brennt. Ich bin mir sicher, dass zum Beispiel Fussballer auch zu Hause über Fussball diskutieren.» Diese Hingabe für den Betrieb ist für Seiler auch ein Teil des Erfolgsgeheimnisses der Metzgerei, die in Zeiten des Lädelisterbens bis heute immer gut rentierte. «Man muss authentisch sein und jeden Tag sein Bestes geben. Nur so schafft man Kundenbindung», meint Seiler. «Von nichts kommt nichts. Es braucht Einsatz und Ideen.»
Migros-Zusammenarbeit als Glücksfall
Eine Idee, die sich auszahlte für die Metzgerei Stierli, ist bis heute die Zusammenarbeit mit der Migros. «Urs hat sich eines Tages dafür beworben, den Lieferservice ‹Le Shop› mit regionalen Fleischprodukten zu beliefern», erzählt Seiler. Beim Detailhandelsriesen stiess er damit auf offene Ohren. «Am Anfang waren es vielleicht vier bis fünf Artikel. Über die Jahre sind dann immer mehr dazugekommen.» So wurde die Belieferung der Migros mittlerweile zu einem wichtigen Standbein der Altstadt-Metzgerei und vermittelt dem Betrieb Sicherheit in Zeiten, während denen es mit der Lauf kundschaft vielleicht einmal nicht so gut läuft.
Zeiten wie diejenige, die vom Coronavirus geprägt ist – könnte man meinen. Doch die Pandemie hat der Stierli-Metzgerei nicht viel anhaben können. «Der Lieferservice ist zwar etwas eingebrochen, als viele Veranstaltungen abgesagt werden mussten, doch im Tagesgeschäft hatten wir sogar leicht mehr Kunden», berichtet Seiler. «Ich denke, dass die Leute weniger in grossen Supermärkten und unter Menschenmassen einkaufen wollten. So kamen sie lieber zu uns.»
Auch sonst findet die Fleischfachfrau, dass die Pandemie durchaus auch ihre guten Seiten hatte. «Zum Beispiel durften zeitweise nur zwei Kunden gleichzeitig in den Laden. Die daraus resultierenden Wartezeiten nutzten die Menschen, um draussen miteinander ins Gespräch zu kommen, sich Dinge zu berichten und sich auszutauschen. Man nimmt sich wieder mehr Zeit und redet miteinander. Ich finde das schön.»
Überhaupt ist der Kontakt mit den Menschen etwas, das Seiler an ihrem Beruf besonders schätzt. «Ich begleite so ganze Generationen von Menschen durchs Leben und beobachte, wie sich die Gelüste verändern», erzählt sie. Generell denkt Seiler, dass die Menschen heute weniger, dafür bewusster Fleisch essen als noch in ihren Anfängen. «Und man isst wieder vielfältiger und braucht wieder mehr verschiedene Teile eines geschlachteten Tieres als noch vor 20 Jahren. Ich finde das eine gute Entwicklung.»
Qualität vor Quantität
Seiler und Stierli selber essen gerne Fleisch. «Aber nicht nur», betont die Metzgerin. «Es gibt auch fleischlose Tage bei uns. Und wenn es Fleisch gibt, dann müssen es nicht gleich ganze Berge sein. Qualität geht über Quantität.» Deshalb will die 58-Jährige auch nach dem Ausscheiden ihres Mannes unter den neuen Besitzern in der Metzgerei Stierli einkaufen. «Der Stadtrat hat mit der Nachfolge eine sehr gute Lösung gefunden. Es ist schön, zu sehen, dass der Betrieb weiterlebt und in Bremgarter Händen bleibt.» Die neuen Betreiber vom «Kauffmann Partyservice» können zu Beginn auch noch auf die Dienste Seilers zählen. «Ich werde Ende Februar ein Teilzeitpensum übernehmen», berichtet sie. So sei ein reibungsloser Übergang gewährleistet, was ihr und Stierli gleichermassen ein Anliegen sei.
Viele Ideen für die kommende Zeit
Dennoch wird dies wohl eine Übergangsphase bleiben. Denn das langjährige Metzgerpaar freut sich auf den neuen Lebensabschnitt. «Wir werden lernen, in den Tag hinein zu leben», lächelt Seiler. «Und ich denke, dass wir uns auch sozial engagieren. Wir hatten kein schlechtes Leben. So können wir der Gesellschaft etwas zurückgeben.»
Auch für die Zeit zu zweit haben die beiden bereits Ideen. Spaziergänge mit dem jungen Hund Lucy, mehr Zeit mit den Enkelkindern, Reisen nach Skandinavien, die Anschaffung eines Wohnmobils – die Pläne sind vielfältig. Als Erstes muss nun jedoch Urs Stierli vollständig genesen. «Das ist natürlich das Allerwichtigste. Und dafür nehmen wir uns auch die nötige Zeit.»