Mit Macht gewissenhaft umgehen
31.12.2021 WohlenPolit-Rückblick: Die Sieger und Verlierer bei den Gemeinde- und Einwohnerratswahlen
Das Wahljahr 2021 war spannend. Sowohl im Gemeinderat wie auch im Einwohnerrat gab es Verschiebungen. Innerhalb von zwei Monaten veränderte sich die Gemütslage bei den ...
Polit-Rückblick: Die Sieger und Verlierer bei den Gemeinde- und Einwohnerratswahlen
Das Wahljahr 2021 war spannend. Sowohl im Gemeinderat wie auch im Einwohnerrat gab es Verschiebungen. Innerhalb von zwei Monaten veränderte sich die Gemütslage bei den Parteien, dies betrifft vor allem die FDP und die Mitte. Einen deutlichen Aufschwung verzeichneten die Grünliberalen.
Daniel Marti
Es gab sie durchaus, die Gegensätze. Nicht alles verlief in gewohntem Rahmen bei den Gemeinderatswahlen im September und bei den Einwohnerratswahlen im November. Auch Lokalpolitik kann eben sehr spannend sein. Ganz unterschiedliche Wahltage erlebten vor allem zwei Parteien. Zuerst Siegerin, dann Verliererin. Das war das Schicksal der FDP, der mit der Wahl von Denise Strasser die Rückkehr in den Gemeinderat gelungen ist, danach mussten die Freisinnigen zwei Sitzverluste im Dorfparlament (von sechs auf vier) registrieren. Genau umgekehrt erging es der Mitte, die zuerst einen ihrer zwei Plätze im Gemeinderat räumen musste (Ariane Gregor wurde gewählt, Paul Huwiler nicht), zwei Monate später durfte die Mitte im Einwohnerrat einen Sitzgewinn (von sieben auf acht) feiern.
Stabil hielten sich im Einwohnerrat die Kleinen: EVP (1 Sitz), Dorfteil Anglikon (2) und Grüne (3), die zudem künftig mit Thomas Burkard den Vizeammann stellen dürfen. Einigermassen stabil ist die SP, die zwar im Einwohnerrat einen Sitz einbüsste (von sieben auf sechs), aber in den nächsten vier Jahren mit Arsène Perroud weiterhin den Gemeindeammann stellt. Und die SVP bleibt mit zehn Sitzen im Einwohnerrat (von elf auf zehn) die stärkste Kraft im grossen Dorf, das eigentlich schon lange eine Stadt ist.
FDP und Mitte mit den Gefühlen auf Achterbahnfahrt
Strapaziert wurde also die Gemütslage von FDP und Mitte. Mal jubeln, mal trauern. Wie ist die Gemütslage nun nach einer gewissen Distanz? «Ich habe gemischte Gefühle», gibt FDP-Präsident Thomas Hoffmann zu. «Auf der einen Seite freut es mich, dass die FDP mit Denise Strasser wieder im Gemeinderat vertreten ist und dadurch das liberale Gedankengut direkt in die Geschäfte einfliessen kann. Auf der anderen Seite bin ich enttäuscht, dass wir den Abgang von Denise Strasser und Thomas Geissmann nicht adäquat ersetzen konnten und dadurch zwei Sitze im Einwohnerrat verloren haben. Es zeigt sich einmal mehr, dass in Wohlen nicht nur die Gemeinderats-, sondern auch die Einwohnerratswahlen Persönlichkeitswahlen sind.»
Für Mitte-Präsident Harry Lütolf bestimmt seine Erleichterung den ersten Eindruck. Der Wahlkampf sei zeit- und arbeitsintensiv gewesen. Mit der Erarbeitung eines Leitbildes habe sich seine Partei auf zwei bis drei Legislaturen ausgelegt, so Lütolf. «Für die kommenden Jahre kann meine Partei aus dem Vollen schöpfen. Das macht mich stolz.»
Allerdings entspricht die «Ernte nicht ganz unseren Erwartungen», so Lütolf. Die Abwahl von Gemeinderat Paul Huwiler sei für ihn «immer noch schmerzlich und unverständlich». Den Sitzgewinn bei den Einwohnerratswahlen betrachtet er als «logische Folge unserer soliden, harten Arbeit im Parlament». Dies lasse sich belegen.
Selbstkritik und «destruktive Kräfte»
Wie erklären die beiden Parteipräsidenten die krassen Unterschiede? Also den Weg vom Sieger zum Verlierer und umgekehrt. «Es ist mir zu wenig gelungen, eine Einwohnerratsliste mit in Wohlen bekannten Gesichtern zu stellen», übt Thomas Hoffmann Selbstkritik. «Neben den vier Bisherigen traten vor allem jüngere, in Wohlen noch weniger bekannte Personen an.» Er sei jedoch davon überzeugt, «dass wir mit dieser jüngeren Liste und unserer Politik in vier Jahren im Einwohnerrat wieder zu den Wahlsiegern gehören».
Für Harry Lütolf spielen verschiedene Faktoren mit. Er nennt den Unterschied im Wahlsystem. «Majorzwahlen haben eine andere Dynamik als Proporzwahlen.» Weiter werden Gemeinderäte laut Lütolf weniger als Parteivertreter wahrgenommen, als dies bei Parlamentariern der Fall sei. Die Marke «Die Mitte Wohlen» habe zudem bei den Gemeinderatswahlen weniger zum Wahlentscheid der Stimmbürgerschaft beigetragen. «Dass wir unsere Doppelvertretung im Gemeinderat nicht halten konnten, war sicher kein Misstrauensvotum gegenüber der Partei.» Und es seien «destruktive Kräfte am Werk» gewesen, diese hätten auf die Abwahl von Paul Huwiler hingewirkt. «Anders die Stimmung bei den Einwohnerratswahlen. Hier wurden die Leistungen und das Engagement der Mitte-Fraktion erkannt. Die Mitte-Fraktion zeichnete sich immer wieder durch genaues Hinschauen aus und scheute sich nicht, die Anträge des Gemeinderates immer wieder kritisch zu hinterfragen.»
Bei Kompromissen ist die Mitte die erste Wahl
Mit dieser Strategie konnte die Mitte die Position als zweitstärkste Partei stärken. Genau auf dieses Ziel habe man hingearbeitet, so Lütolf. Neu hat die Mitte einen Wähleranteil von 19,3 Prozent, dies ist ein Zuwachs von 1,3 Prozent. «Für die Mitte hat dies Strahlkraft über Wohlen hinaus.» Und Harry Lütolf wählt deutliche Worte: «Auf die Gefahr hin, als Prahlhans wahrgenommen zu werden: Die Mitte hat diesen Wahlsieg bei den Einwohnerratswahlen verdient.»
Dank dem Erfolg bei den Einwohnerratswahlen ist die Mitte noch wichtiger geworden, wenn es um eine bürgerliche Mehrheit geht. Wird diese Mehrheit auch spielen im Einwohnerrat? Mitte-Präsident Lütolf: «Man kann es drehen und wenden, wie man will: In den kommenden vier Jahren wird ohne die Mitte im Parlament nichts gehen. Das ist eine grosse Verantwortung und wir werden mit dieser neuen Machtstellung gewissenhaft umgehen.» Nur der Mitte könne es gelingen, nach links und rechts im politischen Spektrum «Kompromisse zu schmieden». Man werde die Wahlziele im Parlament einfordern «und wir werden damit noch mehr Erfolg haben als in der auslaufenden Legislatur. Auch weil unsere Widersacher im Parlament glücklicherweise geschwächt wurden und uns mit unseren Ideen weniger auflaufen lassen können.»
Hoffnung auf bürgerliche Mehrheit – auch im Gemeinderat
Das klingt nach Kampfansage. Nicht unbedingt, denn die FDP sorgt für eine Auffrischung im Gemeinderat und setzt auf die bürgerliche Mehrheit. «Ich erhoffe mir, dass sich der Gemeinderat mit der bürgerlichen Mehrheit, die Mitte zähle ich jetzt auch dazu, wieder auf die überwiesenen Vorstösse fokussiert», sagt Thomas Hoffmann. Er nennt dabei die Optimierung und das Controlling der Gemeindefinanzen sowie die ertragsgenerierenden Projekte, wie das Isler-Areal, das Merkur-Areal und die Vermarktung der Gewerbegebiete.
Und irgendwie erhofft sich Hoffmann, dass er seine FDP wieder auf Vordermann bringen kann. «Vier Einwohnerratsitze und ein Gemeinderatssitz sind für die FDP eindeutig zu wenig. Fünf bis sechs Sitze mit einem Gemeinderatssitz muss das Ziel in vier Jahren sein», rechnet er vor. Das will er mit einer starken Parteibasis und bekannten Personen auf der Liste erreichen.
«Mitreden und aktiv mitgestalten»
Die Grünliberalen – die Sieger des Wahljahres 2021
Bei den Gemeinderatswahlen von Ende September waren die Grünliberalen noch im Niemandsland. Irgendwo ohne grosse Ambitionen, dachte man. Kurz darauf sah die Welt ganz anders aus. Die Grünliberalen trumpften mit einer starken Liste für die Einwohnerratswahlen auf, erklärten ein ambitioniertes Ziel, und Ende November war das Resultat nicht einmal mehr eine so riesige Überraschung. Sie verdoppelten ihre Sitzzahl, von drei auf sechs.
Stolz auf das Erreichte
Die GLP ist mittlerweile bereits in aller Munde. Und die Stimmung ist bestens. «Die Gemütslage ist nach wie vor sehr gut. Ich bin stolz auf das erreichte Wahlresultat und freue mich auf die neue Legislatur, die wir in doppelter Stärke in Angriff nehmen können», sagt Simon Sax auf Anfrage. Sax ist seit April 2012 im Einwohnerrat, der diplomierte Spital- und Treuhandexperte ist der starke Mann der Grünliberalen. Er steht auch am Ausgangspunkt des Wahlerfolges.
Wohlen fit machen für die Zukunft
Wie lautet seine Erklärung für den Aufschwung heute? Sax: «Wir haben im Einwohnerrat bisher seriöse Arbeit geleistet und konnten uns so einen guten Ruf erarbeiten. Ich bin überzeugt, dass unsere Liste mit vielen in Wohlen bekannten Persönlichkeiten ein weiterer wichtiger Baustein zum aktuellen Erfolg war. Wir waren im Wahlkampf präsent, konnten die Wählerinnen und Wähler mit unseren Inhalten und Aktionen ansprechen.» Zusätzlich habe es sicher auch geholfen, «dass sich die GLP schweizweit im Aufwärtstrend befindet».
Und was kann man oder darf man erwarten von den Grünliberalen? «Wir wollen mitreden und aktiv mitgestalten», sagt Simon Sax. «Die Sachgeschäfte wollen wir konstruktiv angehen und vorwärtsbringen. Zudem möchten wir vermehrt eigene Anliegen einbringen.»
Eine weitere Ausrichtung ist ebenfalls bestens bekannt: Die Grünliberalen wollen «Wohlen fit machen für die Zukunft». Schöne Aussichten. Laut Homepage ist es das erklärte Ziel der Grünliberalen, dazu beizutragen, «dass Wohlen eine attraktive Gemeinde für Mensch und Wirtschaft wird und bleibt». --dm
Die Zahl
Zum Wahlherbst gehört auch eine Zahl und dazu eine unerfreuliche Feststellung. Bei der Wahl des Gemeindeammanns gab es 1001 vereinzelte gültige Stimmen (bei der Vizeammannwahl waren es fast 500). Aber ausgewiesen, wer denn diese Stimmen erhalten hat, wurde nichts. Der Gemeindeschreiber wollte das so – obwohl er als Aktuar des Wahlbüros nichts zu befehligen hat. Rechtlich ist das Nichtausweisen der vereinzelten gültigen Stimmen zulässig. In Wohlen waren es satte 1001 – nirgends im Kanton gab es eine so hohe Zahl. Das Wahlbüro wollte dann eine nachträgliche Deklaration vornehmen. Aber Wohlens Verwaltung wollte nicht, liess Aarau den Stopp aussprechen. Ein fahler Nachgeschmack bleibt ewig: Wer 1001 gültige Stimmen nicht deklarieren will, kann kein Demokrat sein oder er will etwas verbergen. --dm