Die Antwort im Paradies
26.11.2021 Region UnterfreiamtWie sich der Villmerger Paolo Iodice den Jakobsweg zur Heimat des Herzens machte
Auf der Suche nach seinem persönlichen Pfad liess sich Paolo Iodice von Geschichten des Jakobswegs inspirieren. Vor drei Jahren begann sein erstes Kapitel als Pilgerer. Heute weiss er: ...
Wie sich der Villmerger Paolo Iodice den Jakobsweg zur Heimat des Herzens machte
Auf der Suche nach seinem persönlichen Pfad liess sich Paolo Iodice von Geschichten des Jakobswegs inspirieren. Vor drei Jahren begann sein erstes Kapitel als Pilgerer. Heute weiss er: «Es gibt kein Zurück.»
Maja Njagojevic
«Bist du glücklich?», fragte ihn damals Vito, den er unterwegs kennengelernt hatte. In diesem Moment merkte Paolo Iodice, dass er sich bisher noch nie mit dieser Frage beschäftigt hatte. 2018 trat der Villmerger eine Reise an, die sein Leben verändern würde. Niedergeschlagen von einem Burn-out, suchte der 48-Jährige eine neue Definition seines Glücks. Zu seiner Überraschung fand er dies in einem Buch, welches er ohne Hintergedanken gekauft hatte. In «Ich bin dann mal weg» schildert Komiker Hape Kerkeling seine Eindrücke und Gedanken vom Jakobsweg. «Jedes Mal, wenn ich mich über die Route informiert habe, ging es mir gut», musste Iodice feststellen.
Begegnungen, die prägten
So begann die Geschichte von seiner Suche nach Ruhe und Frieden, die er auf dem Jakobsweg finden möchte. In drei Wochen überquerte er Berge sowie Gewässer und begegnete den schönsten Naturlandschaften, die er so nie zuvor gesehen hatte. Vom Start in León trennten ihn 422 Kilometer bis zum sogenannten «Kilometer 0» in Finisterre. «Das ist ein mystischer, spezieller Ort», erinnert sich Iodice zurück. «Dort treffen sich die Pilger nach ihrer Reise und sind somit fertig. Dort endet alles und alles fängt wieder von vorne an.»
«Eine normale Person geht nicht auf den ‹Cammino› – aber was ist heute schon normal?», fragt sich der Villmerger lachend. Er hat den Jakobsweg schon drei Mal bewältigt – und ein letztes Mal ist nicht in Sicht. «Es braucht keinen Schicksalsschlag, um den Jakobsweg zu machen. Man lernt dort sich und andere Personen als Menschen kennen», erklärt Paolo Iodice. Am Herzen liegen ihm seine Bekanntschaften aus Italien und Spanien, mit denen er die Reisen seines Lebens geteilt hat. Von Vito, der ihm die einleitende Frage gestellt hatte, konnte Iodice prägende Lebensweisheiten mitnehmen. «Vito ist ein tiefgründiger und feinfühliger Mensch. Für mich ist er wie ein Mentor. Wir reden bei unseren Pilgerreisen über das Leben und er hat immer eine gute Antwort», beschreibt ihn der dreifache Vater mit einem Lächeln. Eine Vaterfigur ndet er in Julian, der den Jakobsweg schon 20-mal gemacht hat. Das Trio hat einen besonderen Wunsch, um die gemeinsamen Erinnerungen und Erfahrungen zu würdigen: «Julian hat einen grossen Bauernhof. Wir möchten gerne unter einem Baum einen grossen Tisch und Stühle aufstellen und dort mit all unseren Freunden vom ‹Cammino› ein Abendessen organisieren.»
Der Schutzengel
Eindrucksvoll war auch der diesjährige Jakobsweg, den Iodice seinem verstorbenen Vater gewidmet hat. Getrieben von seiner Willenskraft, begegnete der Villmerger 30 Kilometer vor Schluss einem prägenden Unglück. «Ich musste ins Spital, da ich eine schwere Prellung erlitten habe. Die Ärzte haben mir geraten, die Reise abzubrechen», erinnert er sich. Doch Aufgeben war für ihn keine Option. Den letzten Abschnitt seiner Pilgerreise bewältigte er mit 14 Kilogramm Gepäck – und mit Krücken. «Ich weiss selber nicht, wie ich das geschafft habe. Da habe ich gelernt, dass alles möglich ist», sagt der Villmerger überzeugt.
Hoffnung und Kraft erhielt er dank einer wundervollen Begegnung und der tatkräftigen Unterstützung einer Dame aus der Kirchenpflege, die er bis heute als seinen «Schutzengel» bezeichnet: «Ich habe in einer Kirche übernachtet. Sie hat mich weinend gesehen, da ich dachte, dass ich den ‹Cammino› abbrechen muss. Daraufhin hat sie mich zwei Tage lang aufgepäppelt, während ich dort trainiert habe, mit meiner Verletzung und dem Rucksack zu laufen. In solchen Momenten lernt man die kleinen Dinge im Leben schätzen.»
Geteilte Freude ist doppelte Freude
Das nächste Abenteuer steht ebenfalls schon vor der Tür. Der Online-Medien-Berater trainiert zurzeit für den grossen Jakobsweg von rund 1000 Kilometern Länge, den er im kommenden Juli meistern möchte. Trotz der aufwendigen Vorbereitung ist ihm klar, dass er auf seiner Reise überrascht wird. «Ich habe jedes Mal etwas Neues über mich gelernt», hält der frühere Fussballgoalie stolz fest, «Am besten geht man ohne Erwartungen dorthin. Es ist wie eine Wundertüte: Man weiss nicht, was man genau bekommt, aber ich weiss, dass es etwas Schönes ist.»
Unterstützt wurde er tatkräftig von seinem Umfeld, darunter auch seinem Arbeitgeber, der ihm die Reise ermöglicht und ihn voller Begeisterung begleitet hatte. Nun möchte er sein Glück an andere weitergeben. Sein persönliches Ziel ist es nämlich, eine Spendenaktion aus seinem Vorhaben zu machen und den Erlös an Kinder in Santiago zu spenden. Der «Cammino» führte Paolo Iodice zu seiner glücklichsten Version von sich selbst. Wenn man ihm nun die allererste Frage stellen würde, ob er glücklich ist, wird die langersehnte Antwort kommen: «Ja.»