ibw-Chef zu den hohen Gaspreisen
29.10.2021 WohlenDer Gaspreis geht durch die Decke – und die Kundschaft muss tief in die Geldtasche greifen. Um 73 Prozent steigt der Gaspreis rückwirkend auf den 1. Oktober. Dies bescherte der IB Wohlen AG sogar einen Auftritt in der Nachrichtensendung «10 vor 10». Peter Lehmann, ...
Der Gaspreis geht durch die Decke – und die Kundschaft muss tief in die Geldtasche greifen. Um 73 Prozent steigt der Gaspreis rückwirkend auf den 1. Oktober. Dies bescherte der IB Wohlen AG sogar einen Auftritt in der Nachrichtensendung «10 vor 10». Peter Lehmann, Geschäftsleiter der ibw, erklärt im Interview die unbequeme aktuelle Lage. Eine Trendwende kann er nicht versprechen.
«Strategie laufend optimieren»
Der Gaspreis explodiert: ibw-Geschäftsleiter Peter Lehmann nimmt im Interview Stellung
Satte 73 Prozent Preisanstieg beim Gas. Sogar die Nachrichtensendung des Schweizer Fernsehens «10 vor 10» machte die ibw zum Thema. «Wir möchten jetzt nicht in Panik geraten», sagt ibw-Geschäftsleiter Peter Lehmann. Der auch betont, dass die Beschaffungspolitik stets überprüft werden müsse.
Daniel Marti
Eine Erhöhung des Gaspreises um 73 Prozent und erst noch rückwirkend: Hatten Sie viele negative Reaktionen?
Peter Lehmann: Wir haben bisher rund ein Dutzend Rückmeldungen erhalten. Natürlich waren die Kundinnen und Kunden nicht gerade erfreut über den Preisanstieg, aber sobald wir die Hintergründe genauer erläutern konnten, war in den meisten Gesprächen auch viel Verständnis spürbar.
Hätte dieser Anstieg nicht stufenweise erfolgen können oder gar müssen? Beispielsweise über drei Etappen auf diese 73 Prozent hoch.
Wir sind nicht sicher, ob sich eine solche «Salamitaktik» bewährt hätte. Nehmen wir an, die Gaspreise steigen in den nächsten Monaten weiter: Wann wäre denn der richtige Zeitpunkt, die Preiserhöhung umzusetzen? Wir haben uns daher entschieden, die Karten sofort auf den Tisch zu legen – und wir werden wie versprochen auch umgehend reagieren, wenn sich die Marktsituation wieder beruhigt.
Eine stufenweise Erhöhung hätte die Rechnung der ibw, die ja finanzielle Reserven hat, ein wenig verschlechtert, die ibw aber kundenfreundlicher aussehen lassen …
Wir betonen, dass die Marge der ibw mit den aktuellen Preisanpassungen nicht erhöht wird. Es entspricht auch nicht unserer Geschäftspolitik, finanzielle Reserven im grossen Stil anzuhäufen. Dies würde weder von der Eigentümerin noch von den Kundinnen und Kunden goutiert. Zudem würden solche «Ausgleichstöpfe» letztlich zu versteckten (Quer-)Subventionierungen führen; wir möchten jedoch sowohl alle Kunden als auch alle Energien gleich behandeln.
Der Gasbezug wird sehr teuer. Der Anstieg beträgt 120 Franken monatlich bei einem Einfamilienhaus. Das sind knapp 1500 Franken im Jahr. Haben Sie keine Angst, dass ein Teil der Kundschaft die Rechnungen nicht mehr zahlen kann?
Wir beobachten bei unseren Kundinnen und Kunden eine gute Zahlungsmoral – nicht erst seit der Tiefpreisphase der vergangenen Jahre, sondern schon vorher. Sollte es bei einzelnen Kundinnen und Kunden zu Engpässen kommen, sind wir wie üblich bereit, gemeinsam und konstruktiv Lösungen zu finden. Voraussetzung ist jedoch, dass die betroffenen Kundinnen und Kunden frühzeitig das Gespräch mit uns suchen.
Was sagen Sie der Kundschaft, die erst kürzlich auf eine Gasheizung umgestellt oder kürzlich eine Gasheizung ausgewechselt hat? Pech gehabt? Verpokert? Falsche Beratung?
Nichts von alledem. Nach der langen Tiefpreisphase musste ein Preisanstieg eines Tages kommen, aber dass die Marktpreise für Erdgas derart «explodieren» würden, konnte niemand voraussehen. Vergessen wir zudem nicht, dass die Energiepreise derzeit allgemein im Steigen begriffen sind und nicht nur Gas betroffen ist. Wenn der Ausschlag abgeklungen ist, wird auch Gas übers Ganze gesehen wieder konkurrenzfähig sein.
Es gibt auch die Gewerbebetriebe. Der Rüeblilandbeck hat in der Nachrichtensendung «10 vor 10» gejammert. Er muss die Gaspreiserhöhung der Kundschaft weitergeben, also werden seine Produkte künftig mehr kosten. Wieder trifft es den Normalbürger …
Die Erhöhung der Gaspreise ist ja keine isolierte Aktion der ibw auf Kosten der Bevölkerung, sondern sie widerspiegelt letztlich eine gesamtökonomische Entwicklung. Aber klar – ein allgemeiner Anstieg des Preisniveaus ist nie erfreulich; auch die ibw spürt es natürlich, wenn sie Material und Dienstleistungen teurer einkaufen muss.
Anderes Beispiel einer Firma in der Region. Für diese macht die Gaspreiserhöhung fast 30 000 Franken aus. Wohlverstanden im Monat. Können Sie sich vorstellen, dass der Firmeninhaber bei Ihrer Mitteilung der Gaspreiserhöhung schockiert ist?
Die Angaben sind zu vage, als dass man den Fall konkret kommentieren könnte. Es gilt stets zu berücksichtigen, welchen Anteil die Energiekosten am Gesamtumsatz eines Unternehmens ausmachen. In unserem Versorgungsgebiet sind uns keine Firmen bekannt, deren Prozesse extrem energieintensiv sind wie beispielsweise bei einem Stahlwerk. Für besonders energieintensive Unternehmen sind zudem weniger die absoluten Zahlen massgebend, sondern die Frage, ob ihre Energiekosten im Vergleich zu ihrer – in der Regel ausländischen – Konkurrenz wettbewerbsfähig sind. Dies ist einer der Gründe, weshalb die Gasverbund Mittelland AG (GVM), die Energielieferantin der ibw, eine Beschaffungsstrategie verfolgt, die sich nahe am Markt orientiert.
Wie sieht es hier grundsätzlich aus mit der Unterstützung von einheimischem Gewerbe?
Selbstverständlich bieten wir auch der von Ihnen genannten Firma das Gespräch an, um Lösungen zu suchen – allenfalls auch, um ihre Energieversorgung allgemein zu optimieren. Und wir möchten festhalten, dass die ibw das hiesige Gewerbe auch weiterhin unterstützt: So haben wir 2020 Aufträge im Wert von 6,9 Millionen Franken an regionale Firmen vergeben. Solange es wirtschaftlich vertretbar ist, werden wir an dieser Geschäftspolitik nichts ändern.
Wie uns ein Experte erklärt hat, ist der Gaseinkauf auch ein Termingeschäft. Man kann Gas weit im Voraus einkaufen. Im vergangenen April und Mai war der Gaspreis auf einem Tiefstand. Warum hat man da nicht Gas zu einem günstigen Tarif bestellt für den jetzt kommenden Winter?
Im Nachhinein ist man bekanntlich immer schlauer. Grundsätzlich verfolgt die Gasverbund Mittelland AG eine Beschaffungspolitik, die sich an Marktpreisen orientiert, damit die Endkunden international konkurrenzfähig sind. Ein Teil des Erdgases wird jeweils langfristig eingekauft, wodurch Preisschwankungen ein Stück weit geglättet werden können. Ein anderer Teil wird je nach Marktsituation beschafft – und zweifellos hat die GVM auch zum von Ihnen genannten Termin Erdgas gekauft.
Wurde schlichtweg ein Termingeschäft verpasst?
Auf lange Sicht wäre es gefährlich, immer nur auf Tiefstpreise zu spekulieren. Denn letztlich muss man irgendwann kaufen, und wenn man ständig auf den optimalen Zeitpunkt wartet, geht der Schuss am Ende hinten raus. Das ist am Erdgasmarkt letztlich nicht anders als etwa beim Handel mit Rohstoffen oder Aktien.
Auch für die Industriekunden kann separat Gas eingekauft werden. Wurde das ebenfalls zu Zeiten von günstigen Tarifen verpasst?
Für Industriekunden ist es letztlich wichtiger, im internationalen Vergleich konkurrenzfähige Energiepreise zu haben. Daher sollten sich auch die Erdgaspreise möglichst am Markt orientieren.
Alle Betriebe und Kunden, die dem Gasverbund Mittelland angeschlossen sind, müssen stark mit den Preisen hinauf. Hat etwa der Gasverbund Mittelland versagt?
Nein – was in den letzten Wochen an den internationalen Märkten abging, ist beispiellos. Die Marktteilnehmer wurden vom Ausmass sowie von der Plötzlichkeit der globalen Verwerfungen überrascht. Aber klar – die Gasverbund Mittelland AG wird die Ereignisse sicher zum Anlass nehmen, ihre Beschaffungspolitik zu überprüfen; die ibw wird sich, soweit es ihr möglich ist, dahingehend einsetzen.
Die ibw beobachtet ja auch den Schweizer Markt. In der Ostschweiz gibt es momentan kaum Anstiege bei den Gaspreisen, oder nicht in dem Masse wie bei der ibw. Warum schaut man dort besser für den Kunden?
Die Erdgas Ostschweiz AG, die Sie ansprechen, hat einen tieferen Anteil an Industriekunden als die Gasverbund Mittelland AG. Dies erlaubt ihr, weniger nahe am Markt zu agieren als die GVM, und in den vergangenen Jahren waren die Preise der Erdgas Ostschweiz AG, EGO, denn auch in der Regel höher als diejenigen der GVM. Erste Signale von Unternehmen, die der EGO angeschlossen sind, weisen übrigens darauf hin, dass auch sie ihre Preise weiter erhöhen müssen.
Es ist auf dem internationalen Markt immer noch so: Was an Gas bestellt wird, wird auch geliefert?
Aus Sicht der ibw können wir bestätigen, dass wir das bei der Gasverbund Mittelland AG bestellte Erdgas stets erhalten haben. Inwieweit unsere Vorlieferanten zuweilen Engpässe überbrücken müssen, können wir nicht im Detail beurteilen. Aber klar – wenn etwa eine norwegische Gasplattform revidiert werden muss, muss sich ein Einkäufer nach anderen Quellen umsehen.
Die neue Pipeline «Nord Stream 2» von Russland nach Europa könnte zu einer Entspannung führen, heisst es. Wie entscheidend könnte sich diese Entspannung auf den kleinen Schweizer Markt auswirken, etwa in Prozenten für eine Preissenkung?
Prozentzahlen zu nennen, hiesse Kaffeesatz lesen. Ohnehin gilt es zu bedenken, dass sich der Erdgaspreis nicht nur aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ergibt, sondern dass bei dieser längst globalen Commodity stets auch ein gerüttelt Mass an Spekulation mitschwingt. So schnell, wie die Preise nun gestiegen sind, so schnell können sie auch wieder sinken.
Gibt es weitere Hoffnungsschimmer, dass die Preise purzeln? In der Regel im Frühling …
Haben wir in Westeuropa einen milden Winter, wird sich die Situation sicher entspannen. Da wir aber nicht wissen, was die kommenden Monate bringen, sind wir mit unserer Wortwahl vorsichtig – wir möchten keine Versprechungen machen, die wir nicht halten können.
Bei der Bekanntgabe der ausserordentlichen Preiserhöhung sagten die ibw-Verantwortlichen, dass sie vom Ausmass und von der Schnelligkeit der Preiserhöhung überrascht wurden. Mit mehr Weitsicht und Termingeschäften hätte diese Überraschung verhindert werden können, sagt ein Experte. Können Sie versichern, dass bei den nächsten tieferen Preisständen Gas für den Winter 2022/2023 eingekauft wird?
Dem Vorwurf der mangelnden Weitsicht möchten wir entgegenhalten, dass die Gasverbund Mittelland AG einen Teil ihres Erdgases mehrere Jahre im Voraus einkauft. Dieses Vorgehen hat sich in der Vergangenheit bewährt, und auch wenn wir über die aktuelle Situation und ihre Auswirkungen auf unsere Kundinnen und Kunden keineswegs glücklich sind, so möchten wir nun doch auch nicht in Panik geraten und die bisherige Strategie komplett über den Haufen werfen. Der Markt lässt sich bekanntlich nicht schlagen. Aber wie bereits erwähnt: Die ibw wird sich bei der GVM dafür einsetzen, die Beschaffungsstrategie laufend zu optimieren.
Darum geht es
Anfang September orientierte die ibw, dass die Strompreise im nächsten Jahr nahezu stabil bleiben, bei den Erdgaspreisen aber eine erwartete Korrektur nach oben eintritt. Per 1. Oktober steigen die ibw-Arbeitspreise für Erdgas um 2,7 Rappen pro Kilowattstunde. Dies entspreche einer Erhöhung um 29,5 Prozent, hiess es damals.
Mitte Oktober war diese Nachricht bereits Makulatur. Wie die ibw mitteilte, ist eine weitere ausserordentliche Preiserhöhung notwendig. Aufgrund der rasant steigenden Energiepreise sah sich die ibw gezwungen, ihre Erdgaspreise rückwirkend per 1. Oktober stärker zu erhöhen als bisher angekündigt. Also nicht um 2,7 Rappen pro Kilowattstunde, sondern um 6,7 Rappen. Dies entspricht einer Erhöhung um 73,1 Prozent. Für ein Einfamilienhaus mit einem jährlichen Verbrauch von 20 000 Kilowattstunden steigen die monatlichen Erdgaskosten um rund 120 Franken. Diese Meldung schlug ein wie eine Bombe und brachte das Unternehmen in die Sendung «10 vor 10» des Schweizer Fernsehens SRF. --red