Einzigartig und unerreicht
23.07.2021 Region UnterfreiamtSerie «Grosse Kisten»: «Mit Chrüüz und Fahne»
Im Jahr 2012 wurde beim Schloss Hilfikon Geschichte geschrieben. 10 000 Menschen und 200 Theaterbegeisterte stellten ein riesiges Projekt auf die Beine.
Bis heute sind die positiven ...
Serie «Grosse Kisten»: «Mit Chrüüz und Fahne»
Im Jahr 2012 wurde beim Schloss Hilfikon Geschichte geschrieben. 10 000 Menschen und 200 Theaterbegeisterte stellten ein riesiges Projekt auf die Beine.
Bis heute sind die positiven Ausmasse des Freilicht-Spektakels «Mit Chrüüz und Fahne» beim Schloss Hilfikon und beim Motocross-Gelände spürbar. Die Freiämter Theaterlandschaft ist seit diesem Projekt im Jahr 2012 nachhaltig und positiv geprägt. Der Austausch und der Zusammenhalt sind gewachsen. In der Serie «Grosse Kisten» blicken zwei Protagonisten von damals zurück. --spr
Ein Projekt, das alles veränderte
Sommerserie «Grosse Kisten»: «Mit Chrüüz und Fahne» 2012 beim Schloss Hilfikon
Fast 10 000 Menschen besuchten im Sommer 2012 das Landschaftstheater «Mit Chrüüz und Fahne» beim Schloss Hilfikon und beim Motocross-Gelände. Die Freilichtproduktion war ein erfolgreiches Projekt, das bis heute nachhallt.
Stefan Sprenger
Sie war der heimliche Star: Schlossherrin Luise Schellenberg. Vom Publikum wurde sie regelmässig beklatscht, von den Machern geschätzt. Die damals 94-jährige Schellenberg (die 2015 verstorben ist) öffnete ihre Schlosstüren und ermöglichte dieses Freilicht-Spektakel mit ihrer gastfreundlichen Geste. Die Premiere fand am 25. Juli 2012 statt. Am 300. Jahrestag des Zweiten Villmergerkrieges. Und natürlich liess sich Luise Schellenberg dieses Grossereignis vor ihrer Haustür nicht entgehen. «Es läuft etwas», sagte sie damals freudig – und als sie von den Premierengästen eine Portion Extra-Applaus erhielt, war es der Schlossherrin anzusehen, wie sehr ihr das gefällt.
Der Wow-Effekt beim Schloss Hilfikon
Der heimliche Star ist gefunden. Ansonsten hat das Landschaftstheater keine weiteren Menschen, die man besonders hervorheben könnte. Es war eine überregionale Produktion von nie da gewesenem Ausmass in der Freiämter Kultur. Die Theatergesellschaft Villmergen, das Kellertheater Bremgarten, der Wohler Sternensaal und Muritheater spannten zusammen. Das gab es vorher noch nie.
Schon zwei Jahre zuvor (2010) posierten die kreativen Projekt-Köpfe auf einem Bild in dieser Zeitung. Und da wurde einem schon bewusst, dass dies eine ganz grosse Kiste werden würde. Goggo Zweifel (Produktionsleitung), Paul Steinmann (Autor), Adrian Meyer (Regisseur), Walter Küng (Sternensaal), Mireille Brack (Kellertheater), Eva Keller (Sternensaal), Brigitte Müller (Muritheater), Hildegard Hilfiker (Theatergesellschaft Villmergen) und Fridolin Kurmann (Präsident Szene Freiamt) lachten in die Kamera. In den darauffolgenden zwei Jahren werden sie und hundert Theaterbegeisterte «Mit Chrüüz und Fahne» zum Leben erwecken.
«Alle Helfer, alle Theatergesellschaften sind zu einer Einheit geworden», erklärt Stefan Hegi. Der Architekt aus Sarmenstorf war für das Bühnenbild zuständig. 600 Arbeitsstunden hat er investiert, 50 Helfer hatte er. Die Freilicht-Gestaltung war «eine riesige Herausforderung», wie er heute erzählt. Als man sich in den Jahren zuvor auf die Suche nach dem geeigneten Ort des Theaters machte, standen rund zehn Standorte zur Auswahl. «Als wir in Hilfikon waren, erlebten wir alle den Wow-Effekt. Wir wussten: Das ist es!», so Hegi.
Während Peter Spalinger sich um das Bühnenbild beim Schloss kümmerte und Niklaus Meyer der Bauchef war, war Hegi beim Motocross-Gelände aktiv. Der heute 67-Jährige, der in den letzten 40 Jahren über 40 Theaterproduktionen als Bühnenbildner begleitet hat, spricht heute noch in Superlativen, wenn es um «Mit Chrüüz und Fahne» geht. «Es war auch für mich die grösste Kiste meiner Theaterkarriere. Organisatorisch war es ein riesiger Aufwand. Es war ein faszinierendes Projekt.»
Besonders hervorheben will Hegi den Zusammenhalt und den Austausch der einzelnen Theatergesellschaften. «Menschen aus Muri, Wohlen, Villmergen, Hägglingen, Bremgarten, Sarmenstorf und weiteren Freiämter Dörfern, haben das gemeinsam auf die Beine gestellt. In dieser Zeit sind wir alle zusammengewachsen.» Nach «Mit Chrüüz und Fahne» war vieles anders in der Freiämter Theaterlandschaft. «Es hat sich vieles grundlegend verändert – und zwar ausschliesslich zum Positiven. Das spürt man bis heute, fast zehn Jahre später, noch bestens», so Hegi.
200 Menschen aus dem Freiamt arbeiteten mit
«Mit Chrüüz und Fahne» lockte 9500 Besucher an. Weil die Nachfrage so gross war und die Menschen aus der ganzen Schweiz anreisten, gab es nebst den 16 Aufführungen noch Zusatzvorstellungen. Man hatte Wetterglück, es gab keinerlei Unfälle und von den 80 Schauspielern fiel nie jemand aus. Über 200 Menschen aus dem ganzen Freiamt stemmten dieses unvergessliche und hocherfolgreiche Theaterprojekt. Die Bilanz damals war durchs Band positiv. Die Reaktionen waren überwältigend gut.
Einer, der sich noch bestens erinnern kann, ist Patrick Honegger. Der 34-jährige Bremgarter ist seit 2009 im Vorstand des Kellertheaters Bremgarten. Schon bei vielen Theateraufführungen wirkte er mit. Mal als Techniker, mal als Schauspieler. Bei «Mit Chrüüz und Fahne» war er an beiden Fronten aktiv. Als Schauspieler stellte er einen Jungknaben dar, der in den Krieg zieht, sich dort verletzt und bei seiner Rückkehr verstossen wird. Die Freundin hat ihn verlassen, die Menschen wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Schliesslich stürzt er sich in den Tod. Bei einer Aufführung wurde dieses Teilstück jeweils drei Mal gezeigt. Honegger rechnet lachend vor: «Ich bin bei 20 Aufführungen also alles in allem 60 Mal gestorben.»
«Man muss nicht immer grösser werden»
2012 wohnte er in Waltenschwil. In den Monaten vor der Premiere war er praktisch an jedem Abend beim Schloss Hilfikon. Entweder bei den Proben oder beim Aufbau. «Die Dimensionen dieses Freilicht-Spektakels waren riesig und sind bis heute unerreicht. Die Begeisterung aller, die mitgewirkt haben, war zu jeder Zeit spürbar», so Honegger. «Bis ins letzte Detail wurde alles durchgeplant. Ich durfte viel von diesem Projekt profitieren für die Zukunft.»
Er – als Schauspieler und Technikexperte – würde sich solch eine grosse Kiste im Freiamt nochmals wünschen. Trotz des immensen Aufwandes. «Wieso nicht?», sagt Honegger. Bühnenbildner Stefan Hegi findet: «Nochmals so ein grosses Ding braucht es nicht, ausser man will eine gigantisch grosse Kiste hinzaubern. Ich finde aber, es muss nicht immer grösser werden.» Das Landschaftstheater «Mit Chrüüz und Fahne», das auch vom Schweizer Fernsehen begleitet wurde, hat sehr viel Positives gebracht und hallt bis heute nach. Die Theatergesellschaften im Freiamt sind zusammengerückt, tauschen sich viel mehr aus als früher und der Umgang ist viel unkomplizierter. Auch heute noch wird diese Zusammenarbeit gepflegt. «Es war für die Macher wie auch die Besucher einfach ein toller Event», so Hegi.
Schellenberg wollte Schauspielerin werden
Zurück zu Schlossbesitzerin Luise Schellenberg, die diesen aussergewöhnlichen Anlass überhaupt erst ermöglichte. «Es ist wichtig, dass der Villmergerkrieg thematisiert wird», sagt sie damals. Die Frau, die seit den 60er-Jahren im Schloss wohnte, wollte in ihren jungen Jahren selbst Schauspielerin werden. Sie hätte bei «Mit Chrüüz und Fahne» sicherlich auch ihre Rolle ergattert. Die 94-Jährige mit Gehstock und getönter Sonnenbrille war aber auch ohne eine Theatereinlage die Hauptattraktion.