Und plötzlich ist alles anders
25.06.2021 WohlenDie Klasse Bez 3e führte das Stück «Hokuspokus» von Curt Goetz auf
Wie viel Wert haben Indizien in einem Gerichtsprozess? Dieser Frage ging Curt Goetz in seinem Stück aus dem Jahr 1926 nach. Er tat dies ebenso spannend wie humorvoll. Die Klasse Bez ...
Die Klasse Bez 3e führte das Stück «Hokuspokus» von Curt Goetz auf
Wie viel Wert haben Indizien in einem Gerichtsprozess? Dieser Frage ging Curt Goetz in seinem Stück aus dem Jahr 1926 nach. Er tat dies ebenso spannend wie humorvoll. Die Klasse Bez 3e hat unter der Leitung von Daniel Güntert der Justizkomödie neues Leben eingehaucht. Und eine Glanzleistung abgeliefert.
Chregi Hansen
«Beeindruckend»: Dieses Lob fiel nach der Aufführung am meisten. Was die Schüler und Schülerinnen in den vorausgegangenen 100 Minuten gezeigt hatten, verdient Respekt. Denn das Stück «Hokuspokus» lebt praktisch nur von Dialogen – entsprechend viel Text musste im Vorfeld auswendig gelernt werden. Und dies in einer Sprache, die fast 100 Jahre auf dem Buckel hat und nur minim überarbeitet wurde.
Wer die Klasse vor einem Monat bei den Proben erlebt hat, der hätte sich kaum vorstellen können, wie sicher die Jugendlichen jetzt auf der Bühne agieren. Nicht nur, dass sie die vielen Sätze verinnerlicht haben, sie leben mittlerweile ihre Rollen. Sei es als verzweifelter und überforderter Richter, als angriffiger Verteidiger, als rechthaberischer Staatsanwalt oder als unnahbare Witwe. Aber auch abseits der Bühne klappte alles wie am Schnürchen – Licht, Ton, die Auf- und Abgänge: Alles funktionierte tadellos. Und machte die Aufführung zu einem Erlebnis.
Lob von allen Seiten
«Es ist immer wieder erstaunlich, was in den letzten Wochen passiert ist und wie Einzelne über sich hinauswachsen», freut sich denn auch Lehrer Daniel Güntert, der das Stück mit der Klasse einstudiert hat. Bestätigt wird er durch Klassenlehrerin Astrid Känzig. «Ich habe meine Schüler und Schülerinnen teilweise kaum wiedererkannt. Sie wirken auf der Bühne anders als im Unterricht. Es ist toll, welche Qualitäten sie hier zeigen», schwärmte sie nach der Aufführung. Und auch von Schulleiter Paul Bitschnau gab es nach dem Stück ganz viel Lob an alle Beteiligten. Ein Lob, dem sich alle Zuschauer anschlossen.
Zuvor wohnte das Publikum einem Justizdrama bei, das es in sich hat. Die dänische Witwe Agda Kjerulf ist angeklagt, ihren Ehemann bei einem gemeinsamen Bootsausflug ermordet zu haben. Alle Indizien sprechen gegen sie. Zudem verstrickt sie sich bei ihren Aussagen immer mehr in Widersprüche. Die Sache scheint aussichtslos – bis sich ein neuer Verteidiger des Falls annimmt. Erst demonstriert er dem Richter in dessen Haus, wie schnell der Schein trügen kann, dann zerzaust er im Gerichtssaal die Ausführungen der Zeugen und des Staatsanwaltes.
Lügen um der Wahrheit willen – bis hin zum Happy End
«Hokuspokus» gelingt es dabei, trotz dem ernsten Hintergrund nie zu ernst zu bleiben. Die Dialoge von Curt Goetz sind mit viel subtilem Witz und Humor geschrieben. So erfährt man beispielsweise, dass man, um als Künstler leben zu können, erst einmal tot sein muss. Goetz spielt auch immer wieder mit der Sprache. Beispielsweise, wenn der Freund des Richters erklärt: «Ich ahne etwas, aber ich habe keine Ahnung, was.» Und wie der Verteidiger im Gerichtssaal der Anklage jeweils das Wort im Mund verdreht, ist einfach wunderbar. Gleichzeitig stellt das Stück aber wichtige Fragen: Wie sehr kann man Beobachtungen trauen? Ist eine fremde Frau, die am Grab des Toten trauert, tatsächlich der Beweis für dessen Untreue? Oder ist vielleicht alles anders, als man denkt? «Meine Mandantin lügt um der Wahrheit willen», erklärt der Verteidiger im Laufe der Verhandlung. Und tatsächlich lässt jede Aussage, jedes Indiz und jede Beobachtung zwei Sichtweisen zu. Was Goetz zur Feststellung bringt, dass ein Indizienbeweis eben nur ein Verlegenheitsbeweis ist.
Natürlich gibt es am Schluss, wie könnte es anders sein, ein Happy End. Das gibt es auch für die Klasse Bez 3e, welche sich unbedingt mit einem Theaterstück aus ihrer Schulzeit verabschieden wollte und lange zittern musste, ob sie auftreten darf. Am meisten aber strahlt Lehrer Daniel Güntert. Einmal mehr hat er bewiesen, dass sich Jugendliche für mehr begeistern lassen als den Pflichtstoff, den Ausgang und ihr Handy. Dass sie bereit sind, sich auf ein anspruchsvolles Projekt einzulassen, und dafür bereit sind, viel Zeit zu investieren. «Hokuspokus» ist denn auch der krönende Abschluss seiner Zeit als passionierter Theatermacher an der Bez. Nächste Woche geht Güntert in den Ruhestand. Er hat es sich verdient.