Keine Blanko-Vollmachten erteilen
08.06.2021 WohlenWer die Abstimmungsvorlage zum Covid-19-Gesetz durchliest, findet bei 1 Gesetzesartikeln mehr als 20 Mal die Formulierung «Der Bundesrat kann». Damit werden dem Bundesrat weitgehende Kompetenzen übertragen, über deren Tragweite sich wohl die meisten ...
Wer die Abstimmungsvorlage zum Covid-19-Gesetz durchliest, findet bei 1 Gesetzesartikeln mehr als 20 Mal die Formulierung «Der Bundesrat kann». Damit werden dem Bundesrat weitgehende Kompetenzen übertragen, über deren Tragweite sich wohl die meisten Gesetzesbefürworter nicht im Klaren sind. Er kann über das Parlament und den Souverän hinweg abschliessend wichtige Entscheide treffen.
Wer im Abstimmungsbüchlein nach den Artikeln 1a (Kriterien und Richtwerte) sowie 3a (Geimpfte Personen) und 3b (Test- und Contact-Tracing-System) sucht, findet diese nicht. Das Gleiche gilt unter anderem auch für Art. 6a (Impf-, Test- und Genesungsnachweise). Erst das weitere Suchen im Internet lässt fündig werden. Eine Erklärung verweist darauf, dass diese und andere Bestimmungen erst später beigefügt wurden. Der Gesetzestext in der gedruckten Vorlage ist also unvollständig. Dem Souverän wird hier ein Ja zu Bestimmungen zugemutet, die er gar nicht kennt. Der Bundesrat kann letztlich gar Grundlagen schaffen für eine Beschneidung der in der Verfassung garantierten Grundrechte, also eine künftige Zweiklassengesellschaft. So können die Einwohnerinnen und Einwohner unseres Landes in Kategorien eingeteilt werden, welchen zweierlei Rechte zustehen (Geimpfte, nicht Geimpfte, Gesunde, wobei Letztere bei beiden «Kategorien» Platz haben müssten). Anzeichen sind bereits heute vorhanden, wenn auch «nur» indirekt. Was letztlich daraus werden wird, muss allerdings hinterfragt werden.
Da einzelne Gesetzesartikel über den Ablauf 31. Dezember 2021 hinaus immerhin noch zehn Jahre gültig sind, ist es doch wichtig, sich genauer um die Vorlage zu kümmern. Letztlich ist die Stimmbürgerschaft als Souverän oberste Staatsgewalt. Sicher ist es richtig, in Pandemiefällen eine Entschädigungsgrundlage für die Wirtschaft und den Arbeitnehmerschutz zu haben, doch braucht es hierzu ausgerechnet diese Vorlage?
Die Vorlage beinhaltet zu viele Kompetenzerteilungen und ist staatsrechtlich fragwürdig. Da für mich die Zustimmung schon ein recht «mulmiges Gefühl» auslöst, habe ich mich für ein Nein entschieden. Die Erteilung von so vielen Blanko-Vollmachten passt nicht zu unserem Demokratie-Verständnis.
Stefan Treier, Wohlen