Wenn Künstler Danke sagen
11.05.2021 WohlenJohannes Muntwyler zieht nach der ersten Ausgabe von Monti’s Kulturtage eine positive Bilanz
Allen Widrigkeiten und den vielen Einschränkungen zum Trotz – Künstler, Besucher und Organisatoren schwärmen von den Kulturtagen. Sie sollen zur ...
Johannes Muntwyler zieht nach der ersten Ausgabe von Monti’s Kulturtage eine positive Bilanz
Allen Widrigkeiten und den vielen Einschränkungen zum Trotz – Künstler, Besucher und Organisatoren schwärmen von den Kulturtagen. Sie sollen zur Tradition werden.
Chregi Hansen
«Wow! Schau mal, ausverkauft!» – «Quatsch, da hat es ganz viele leere Plätze im Saal.» — «Das ist eben das neue Ausverkauft»: Zum Auftakt ihres neuen Spezial-Programms thematisieren Ursus & Nadeschkin die momentane Situation rund um die Pandemie und ihre Auswirkungen mit viel Witz und Selbstironie.
Gleich viermal tritt das bekannte Duo an diesem Wochenende in Wohlen auf. Und spielt – alle vier Vorstellungen zusammengezählt – vor weniger Leuten als sonst an einem einzigen Abend. Doch die beiden sind einfach froh, dass sie wieder auftreten können. «Es ist toll, dass jemand diesen Aufwand auf sich nimmt», meinen sie am Schluss der Vorstellung. Denn das könne doch nicht rentieren. «Ich glaube, die Montis können nicht rechnen», sagt Ursus, bevor er von der Bühne geht.
Derjenige, der offenbar nicht rechnen kann, steht am Schluss des Abends vor der Türe und verabschiedet alle Gäste persönlich. Und kann viele Dankeschöns entgegennehmen. Danke dafür, dass es endlich wieder Kultur gibt. Auch die auftretenden Künstler sind froh um das Engagement des Monti’s. «Es ist gut, haben wir es gewagt, jetzt wissen wir, dass das Konzept funktioniert und sich das Winterquartier auch für Kleinkunst eignet», sagt Johannes Muntwyler am Ende des zweiten Wochenendes. Und wird dann doch noch etwas wehmütig. «Man stelle sich vor, es wären 300 Personen im Saal. Und wir könnten anschliessend zusammen feiern und anstossen. Das wäre nochmals ein paar Stufen besser», sagt der Direktor des Circus Monti.
Und er bedankt sich seinerseits. Bei den Sponsoren und Partnern, die dabei geblieben sind. Bei den Künstlern, die auch vor weniger Zuschauern spielen. Bei den Besuchern – alle Vorstellungen waren ausverkauft. Für ihn steht jetzt schon fest: Monti’s Kulturtage sollen in Zukunft den Auftakt in den Frühling bilden. Vorerst aber plagen ihn ganz andere Fragen und Entscheidungen.
Zwischen Freude und Sorge
Monti’s Kulturtage waren ein Erfolg – Zirkussaison noch immer ungewiss
Mit einem wahren Feuerwerk beendeten Ursus & Nadeschkin die Erstausgabe der Kulturtage. Sie sollen, wenn es nach Johannes Muntwyler geht, zu einer Tradition werden. Ab sofort aber gilt die ganze Konzentration wieder dem Zirkus. Bis Ende Mai muss er einen Entscheid fällen.
Chregi Hansen
Es war ein gelungenes Wiedersehen nach mehr als 30 Jahren. 1987 trafen sich der Circus Monti und das noch junge Clownduo Ursus & Nadeschkin an einem Zirkusfestival in Wiesbaden das erste Mal. Danach spielten die beiden als Artisten beim Monti vor. Und waren nicht gut genug. «Meine Eltern haben ihnen geraten, sich einen Regisseur zu nehmen und an ihrer Nummer zu arbeiten», erinnert sich Johannes Muntwyler.
Lange ist es her. Inzwischen gehören Urs Wehrli und Nadja Sieger, so ihre richtigen Namen, zu den ganz Grossen der Schweizer Kabarettszene. Und das seit Jahrzehnten. «Umso schöner, dass sie heute hier bei uns auftreten, und das vor nur 50 Leuten», sagt Muntwyler. Gleich viermal traten sie an zwei Tagen auf, ein wahres Mammutprogramm. Und trotzdem taten sie das mit einer unglaublichen Spielfreude. Mit ihren skurrilen Dialogen und Einfällen sorgten sie während 80 Minuten für viele Lacher.
Von Winterjacke bis zur fiktiven Kaffeemaschine
Dabei integrierten sie elegant die aktuelle Situation in ihr Spezial-Programm ein. Ganz nach dem eigenen Motto: «In Zeiten der Pandemie ist es von Vorteil, beweglich zu bleiben.» Sie freuten sich, endlich wieder vor Menschen zu spielen – auch wenn sie diese wegen der Masken nicht sehen konnten. Immer wieder lüfteten sie gleich selber den Saal. Das war aber nicht der Grund, dass Nadeschkin eine Winterjacke trug – der Ort namens Winterquartier ist schuld. Und wenn sechsmal weniger Besucher im Saal sitzen als sonst, müssen die eben sechsmal mehr klatschen, so ihre Aufforderung.
Das Duo liefert einen Mix aus alten und neuen Nummern. Da werden fulminant fiktive Türen und Fenster geöffnet. Fiktive Kaffeemaschinen bedient, die nur das sind, wenn man sie sich ganz fest vorstellt. Seltsame Gedichte rezitiert, immer wieder darüber gestritten, wie es denn nun weitergehen soll. Die beiden sind ein perfekt eingespieltes Team – selbst dann, wenn sie gleichzeitig verschiedene Texte aufsagen –und sekundengenau zum gemeinsamen Ende kommen. Und sei ja auch nicht schlimm, wenn etwas in die Hosen gehe – «es ist ja nur ein kleines Testpublikum.» Man spürt, wie Urs Wehrli und Nadja Sieger diese Momente vermisst haben. Und wie sie es geniessen, ihre Kunst wieder präsentieren zu dürfen.
Erfolgreicher Versuchsballon
Auch Johannes Muntwyler strahlt an diesem Abend. «Wir sind sehr zufrieden mit der Erstausgabe der Kulturtage», erklärt er. Es war lange ungewiss, ob sie überhaupt stattfinden können, immer wieder mussten er und sein Team umplanen. «Für uns war immer klar: Wenn wir es durchziehen, dann soll es bei der Qualität keine Abstriche geben. Egal, ob jetzt 50 oder 300 Leute hier sind, sie sollen ein wunderbares Erlebnis haben», sagt der Zirkusdirektor. Und darum stehen er und seine Söhne auch nach jeder Vorstellung am Ausgang und verabschieden das Publikum persönlich. Das hat einfach Tradition bei der Wohler Zirkusfamilie.
Johannes Muntwyler erinnert sich gut an die Dernière des Varietés 2019 am gleichen Ort. «Damals konnte niemand ahnen, dass dieser Saal während anderthalb Jahren nicht mehr benötigt wird», sagt er. Umso glücklicher ist die Familie Muntwyler über den Neuanfang. Die Kulturtage haben bewiesen, dass sich das Winterquartier ideal für Kleinkunst eignet. «Wir bekamen viel positives Feedback von den Künstlern», kann Muntwyler berichten. Von der Ausstattung her mit Bühne, Technik, Garderobe und Zuschauerraum, aber auch bezüglich Akustik muss sich das Winterquartier vor keinem normalen Theater verstecken.
Nächstes Jahr dann richtig
Für den Direktor ist denn auch klar, dass die Kulturtage im kommenden Jahr eine Wiederholung erhalten. Dann hoffentlich mit 300 Zuschauern pro Abend. Und einem Beizli, in dem man nachher zusammensitzen kann. «Das war eine Art Versuchsballon. Jetzt wissen wir, dass es funktioniert», so Johannes Muntwyler. Und nächstes Jahr könne man dann hoffentlich aus dem Vollen schöpfen. Ende April und Anfang Mai kommenden Jahres gibt es also die 2. Kulturtage.
Keine Fakten, nur Vermutungen
Bis dahin bleibt viel Zeit, bis dahin sollte sich auch die Lage normalisiert haben. Ganz anders sieht es für den Zirkus selber aus. Für Anfang Juni sind die Flüge für die Artisten und die künstlerische Leitung gebucht. Bis Ende Mai spätestens muss sich die Familie Muntwyler entscheiden, ob sie ab August auf Tour geht. Eine schwierige Situation, «weil es keine Fakten gibt, auf die wir uns stützen können, sondern nur Vermutungen. Niemand kann sicher sagen, was im August möglich ist und was nicht.» Letztlich müsse man wohl aus dem Bauch heraus entscheiden.
Gleichzeitig ist es ein Entscheid mit grossen finanziellen Folgen. «Eine Zirkus-Tour ist ein ganz anderes Kaliber als die Kulturtage. Da geht es auch um die Existenz des Unternehmens», sagt Muntwyler. Eines ist klar: Wenn es irgendwie möglich ist, wollen die Montis auf Tour. «Dafür leben wir. Das ist unsere Welt. Aber wir haben auch eine Verantwortung. Gegenüber den Artisten. Den Besuchern. Uns selber gegenüber», sagt der Direktor. Und eine Coronavorstellung mit viel Abstand, Masken, Impfoder Testpflicht und ohne Verpflegung, das würde nicht seinen Vorstellungen entsprechen. Das widerspricht dem Geist des Zirkuslebens.
Nur wenn es Sinn macht
Abgesehen vom Aufwand wolle man auch nicht Polizist spielen und ständig das Publikum kontrollieren, fügt er an. «Natürlich werden wir die dann geltenden Auflagen einhalten. Aber wenn diese zu hoch sind, dann macht es keinen Sinn.» Und vor allem wolle man nicht Gefahr laufen, für negative Schlagzeilen zu sorgen. Denn der Circus Monti will auch in Zukunft Garant sein für hochklassige Unterhaltung. Und soll noch viele Jahre weiter bestehen. Auch in der Nach-Corona-Zeit.
Lust auf Auftritte
Noch bleiben gut drei Wochen bis zur Entscheidung. Die momentane Situation belastet den Direktor. «Das Problem ist, wir haben das Schicksal nicht in unseren Händen. Auch wenn wir alles richtig machen, kann alles schief laufen», sagt er. Nun muss er die weitere Entwicklung und die nächsten Entscheidungen des Bundesrates abwarten. Finanziell würde der Circus Monti eine weitere Tourabsage wohl verkraften, die Unterstützung durch den Kanton ist da. «Aber wir wollen unser Geld lieber selber verdienen, sind heiss darauf, wieder aufzutreten», sagt Johannes Muntwyler zum Schluss. Und wer sieht, mit wie viel Freude er die Kulturtage organisiert und präsentiert, der glaubt ihm das sofort.