Lohn-Knatsch im Einwohnerrat
30.04.2021 WohlenEs ist Dorfgespräch. Der beantragte Lohnsprung des Gemeinderates erlitt Schiffbruch. Einige Politiker der SVP verliessen demonstrativ den Saal. Bei allem Respekt – und man soll diesen Zwist nicht überbewerten – aber solche Vorkommnisse hat es im Einwohnerrat noch nie ...
Es ist Dorfgespräch. Der beantragte Lohnsprung des Gemeinderates erlitt Schiffbruch. Einige Politiker der SVP verliessen demonstrativ den Saal. Bei allem Respekt – und man soll diesen Zwist nicht überbewerten – aber solche Vorkommnisse hat es im Einwohnerrat noch nie gegeben. --dm
Speziell, demokratisch, unsensibel
Einwohnerratspräsident Meinrad Meyer und FGPK-Präsident Peter Christen zur kuriosen Lohndebatte
Der Gemeinderat wollte sich eine Lohnerhöhung von satten 33,3 Prozent zuschanzen. Da machte der Einwohnerrat nicht mit. Der Rückzug des Geschäfts ging hektisch und voller Unstimmigkeiten über die Casino-Bühne. Der Kommissionspräsident verliess sogar demonstrativ den Saal.
Daniel Marti
Der Abschluss der Einwohnerratssitzung vom vergangenen Montagabend war kein Glanzpunkt für die Wohler Politik. Gemeint ist die Debatte rund um die neuen Vergütungen, sprich das Honorar, für den Gemeinderat. Der Rückzug des Geschäfts durch den Gemeinderat, der aber trotzdem einforderte, die Fraktionsmeinungen anzuhören, sorgte für Unstimmigkeiten. Einige SVP-Vertreter verliessen darauf den Saal. Dies ist sehr wahrscheinlich ein Novum in der Geschichte des Einwohnerrates.
Rückzug war vor der Sitzung kein Thema
Gegenseitige Schuldzuweisung war die Folge – bis nach Unterbrüchen der geregelte Parlamentsbetrieb dann wieder aufgenommen wurde. Er würde wieder gleich handeln «und der Sache dienen», blickt Einwohnerratspräsident Meinrad Meyer zurück.
Allerdings: Wird ein Geschäft zurückgezogen und folgt kein weiteres auf der Traktandenliste, dann ist dies das Ende der Debatte und der Einwohnerratssitzung. Warum hat der Einwohnerratspräsident denn nicht die Glocke in die Hand genommen und die Sitzung sofort nach dem Rückzug beendet? «Weil ich die Idee von Gemeindeammann Arsène Perroud gut gefunden habe», antwortet Meyer. «Mit der Bekanntgabe der Fraktionsmeinungen kann der Gemeinderat Inputs aufnehmen. Damit hat er die Chance, eine neue und bessere Vorlage auszuarbeiten.»
Irritierend für den Ratspräsidenten ist einzig die Tatsache, dass ein Rückzug der Lohnvorlage vor der Einwohnerratssitzung kein Thema war.
Letztlich ist der Gemeinderat nur beratend an der Einwohnerratssitzung dabei. Darum kann der Gemeindeammann nicht bestimmen, wie der Verlauf der Sitzung ist. Als Respektlosigkeit empfindet der Einwohnerratspräsident die Intervention des Ammanns allerdings nicht. «Das Parlament ist zum Reden da. Wir wollen alle das Beste für Wohlen», so Meyer. Allerdings betrachtet er das Sitzungsende vom vergangenen Montag schon als «aussergewöhnlich». Und dass diese Unstimmigkeiten und Sitzungsunterbrüche ausgerechnet bei der beantragten Honorarerhöhung für den Gemeinderat vorgekommen sind, wertet er als «speziellen Zufall». Aber chaotisch sei das Ganze nicht gewesen. «Denn durch die beiden Ordnungsanträge war die Fortsetzung der Sitzung legitimiert. Es wurden also demokratische Entscheide gefällt. Dies gilt es zu akzeptieren, alles andere ist nicht fair.»
Zweimal kein Verständnis
Trotzdem verliessen einige Ratsmitglieder der SVP aus Protest den Saal. Was sagt der höchste Wohler zu diesem Verhalten? Das habe er wahrlich noch nie erlebt, «dafür habe ich kein Verständnis. Demokratisch gefällte Entscheide sind zu akzeptieren, alles andere kann ich nicht verstehen.»
Weiter hätte sich Meyer eine klarere Haltung von der Finanz- und Geschäftsprüfungskommission gewünscht. Vier Enthaltungen, das gehe in der Kommission eigentlich nicht, sagt er. Hätte die FGPK die Sache tatsächlich kritisch betrachtet, «dann wäre das Geschäft wohl von der Traktandenliste genommen worden». Im Einwohnerrat sei man sich zu einem grossen Teil einig gewesen, glaubt der Ratspräsident. Drei Kürzungsanträge lagen vor, alle drei wären offenbar angenommen worden. Mit dem Resultat, dass dem Gemeinderat eine viel kleinere Lohnerhöhung zugestanden worden wäre. «In der gegenwärtigen Pandemie geht es vielen Menschen schlecht. Deshalb ist jetzt einfach nicht die Zeit für so hohe Lohnerhöhungen», sagt Einwohnerratspräsident Meyer klipp und klar.
Ob der Gemeinderat daraus etwas gelernt hat, wird sich zeigen. Denn das Vergütungsreglement für die Amtsperiode 2022–2025 muss bei einem neuerlichen Anlauf vom Einwohnerrat abgesegnet werden.
Peter Christen setzte Protestnote
Wie bereits erwähnt verliessen diverse Einwohnerräte den Saal vor Sitzungsende – sie sorgten damit für eine Premiere. SVP-Fraktionschef Peter Christen machte den Anfang. Er wollte damit ein Zeichen setzen. Mit dem Rückzug der Vorlage für die gemeinderätlichen Vergütungen war für ihn die Einwohnerratssitzung beendet. Danach war ja nichts mehr traktandiert. So verliess Peter Christen den Casinosaal demonstrativ. Ein paar SVP-Kollegen folgten ihm. «Ich ging nach Hause und genoss mit meiner Frau ein gutes Glas Rotwein», sagt er nun auf Anfrage. Auch mit drei Tagen Distanz würde Christen wieder gleich handeln. «Alle im Saal wussten, worum es geht. Mit dem Rückzug einer Vorlage ist das Geschäft erledigt.»
Und sowieso: Eine Lohnerhöhung für den Gemeinderat von 33Prozent, «das ist extrem unsensibel. Andere Leute müssen in der gegenwärtigen Krise um ihren Verdienst kämpfen», betont er. Die Gemeinde Wohlen könne sich solche zusätzlichen Ausgaben nicht leisten. «Diese Ausgangslage war allen bekannt, es gab keine neuen Erkenntnisse, auch darum war die Sitzung für mich fertig», so Christen.
«Der war zu lieb»
Zur Kritik Anlass gegeben hat auch die Haltung der Finanz- und Geschäftsprüfungskommission. Von neun Mitgliedern haben sich deren vier der Stimme enthalten. Das ist ungewöhnlich. Peter Christen ist Präsident der FGPK – ihm hat dies auch nicht gefallen. «Aber auch mit weiteren Diskussionen ist es uns nicht gelungen, diese Haltung zu verändern», sagt er. Selbst im Bewusstsein, dass die FGPK kein gutes Zeichen nach aussen sendete.
Peter Christen würde heute wieder gleich handeln. Also nach Hause gehen. Eine andere Haltung hätte er dafür vom Einwohnerratspräsidenten erwartet: «Der war zu lieb, Meinrad Meyer hätte die Sitzung nach dem Rückzug sofort beenden müssen.» Dann hätten alle miteinander den Casinosaal verlassen können. Und nicht nur Einzelne als Protestnote.
Der günstigste Gemeinderat …
Lohnvergleiche sind eher gewagt
In der Diskussion rund um das Vergütungsreglement gingen die Wogen im Einwohnerrat hoch. Der Verlauf der Sitzung gab zu reden wie auch die beantragte Erhöhung des Lohnes der Gemeinderäte (um 33,3 Prozent). Und Gemeindeammann Arsène Perroud behauptete, dass der «jetzige Gemeinderat der günstigste der letzten 20 Jahre» sei. Eine gewagte Behauptung. Die Betrachtungsweise kann auch anders ausgelegt werden.
Auch Aufgaben und Mitgliederzahl berücksichtigen
Deshalb ein Vergleich mit den Entschädigungen aus den Jahren 2020 und 2014. Die Vergütung aus dem Jahr 2020 ist die aktuellste. Und die Entlöhnung aus dem Jahr 2014 betrifft in der Gemeinderatsbesetzung zuvor das letzte normale Jahr. Danach, ab 2015 bis 2017, folgte die Phase mit der Suspendierung des damaligen Gemeindeammanns Walter Dubler, und die Entschädigungen waren deshalb recht unterschiedlich und nicht repräsentativ.
Gemäss Jahresrechnungen betrugen die Entschädigungen Gemeinderat im Jahr 2020 312 000 Franken und im Jahr 2014 waren es 383 769 Franken. Mit dem Unterschied, dass vor sieben Jahren der Gemeinderat noch sieben Mitglieder zählte, jetzt sind es fünf. Das ergibt im Jahr 2020 einen Schnitt von 62 400 Franken pro Person, der Schnitt im Jahr 2014 beträgt 54 828 Franken. Welcher Wert ist nun günstiger?
Gewiss, es gibt Unterschiede: Vor sieben Jahren leistete sich die Gemeinde Wohlen beim Gemeindeammann noch ein Vollamt, aktuell ist es ein 80-Prozent-Pensum. Und beim Vergleich 2014 mit 2020 muss ebenfalls berücksichtigt werden, dass im neuen Führungsmodell eine Personal- und Kommunikationsstelle mit 80 Prozent eingeführt wurde, dies zur Entlastung von Gemeindeammann und Gemeindeschreiber.
Diese neue Position kostet die Gemeinde jährlich knapp über 100 000 Franken. Bis Ende 2017 zählten Personal und Kommunikation noch zu den Aufgaben von Gemeindeammann und Gemeindeschreiber.
Was ist tatsächlich günstiger?
Wenn von Vergleichen und vom günstigsten Gemeinderat gesprochen wird, dann gilt es schon genau hinzuschauen. 2014 waren es total knapp 384 000 Franken. Werden die gleichen Aufgaben herangezogen, sind es im Jahr 2020 dann in der Vollkostenrechnung total 412 000 Franken (312 000 Franken für die Gemeinderäte plus 100 000 Franken für die zusätzlich geschaffene Stelle). Darum auch hier: Welcher Wert ist tatsächlich günstiger? Vergleiche sind doch nicht so einfach. Was denn am günstigsten ist oder war, ist eine Sache der Betrachtungsweise.
Gemeindeführung ist teurer geworden
Ein Fazit ist ziemlich klar: Durch das neue Führungsmodell ist die «Gemeindeführung» trotz der Reduktion des Gemeinderates von sieben auf fünf Mitglieder und der Reduktion des Pensums des Gemeindeammanns von 100 auf 80Prozent teurer geworden. Dabei ist der übrige Ausbau der Verwaltung noch nicht berücksichtigt. --dm
«Nehmen den Einwohnerrat ernst»
Interview mit Gemeindeammann Arsène Perroud
So richtig glücklich hat der Gemeinderat bei der Lohndebatte nicht agiert. Der Gemeindeammann bezieht Stellung.
Was hat den Gemeinderat veranlasst, das Geschäft zurückzuziehen?
Arsène Perroud: Der Gemeinderat hat im Rahmen der Vorbesprechung der Einwohnerratssitzung an der Gemeinderatssitzung entschieden, das Geschäft zurückzuziehen. Es besteht bei diesem Geschäft noch Informations- und Klärungsbedarf. Dies haben die Ausführungen der FGPK bestätigt. Der Gemeinderat hat erkannt, dass dieses Geschäft bei der Erarbeitung offensichtlich zu wenig politisch reflektiert wurde.
Wieso hat der Gemeinderat den Rückzug angekündigt, bevor die Fraktionen ihre Meinung äussern konnten?
Das Geschäftsreglement des Einwohnerrats sieht vor, dass der Gemeinderat sich nach der FGPK zum Geschäft äussert. Es wäre nicht transparent gewesen, wenn wir unsere Haltung und die Absicht, dass wir das Geschäft zurückziehen, nicht in unserem Votum mitgeteilt hätten. Dann hätte der Einwohnerrat umsonst diskutiert, was zu Unmut führt.
Viele Einwohnerräte fühlen sich nicht ernst genommen. Sie sollen zu einem Geschäft reden, das nicht mehr behandelt wird .
Der Gemeinderat nimmt den Einwohnerrat ernst. Die Meinungen sind für uns wichtig und deshalb haben wir darum gebeten. Das Geschäft wird nochmals behandelt. Der Gemeinderat wird, wie angekündigt, das Geschäft aufarbeiten und dabei die geäusserten Meinungen in die Überlegungen miteinbeziehen.
Danach kam es zu turbulenten Szenen. Haben Sie mit solchen Reaktionen gerechnet?
Der Einwohnerratspräsident hat entschieden, die Fraktionen sprechen zu lassen. Und er hat gemäss geltendem Reglement über die beiden Ordnungsanträge betreffend Weiterführung der Diskussion abgestimmt. So wurde jederzeit demokratisch legitim gewährleistet, dass der Wille der erforderlichen Mehrheit der Einwohnerratsmitglieder zum Ausdruck kam. Dementsprechend habe ich die Sitzungsführung nicht als chaotisch erlebt. Wenn man mit dem Vorgehen nicht einverstanden ist, kann man entsprechende Ordnungsanträge stellen. Wenn jemand seine Meinung nicht mehr einbringen will, steht es jedem Parlamentarier frei, die Sitzung zu verlassen.
Sie waren selber Einwohnerratspräsident. Hätte dieser die Sitzung nicht abbrechen müssen?
Das Geschäftsreglement des Einwohnerrats wurde meines Erachtens eingehalten. Der Einwohnerratspräsident hat die Entscheidung getroffen, wie verfahren werden soll. Das ist seine Aufgabe. Der Gemeinderat leitet die Einwohnerratssitzungen nicht.
Im Vergütungsreglement steht: «Jeweils vor den Gesamterneuerungswahlen ist dieses Reglement zu überprüfen und die Vergütungen sind durch den Einwohnerrat festzulegen.» Überprüft wurden aber nur die Ansätze bei den Gemeinderäten, zu allen anderen gewählten Behördenvertretern liest man gar nichts. Warum hat man nicht das ganze Reglement überprüft?
Diese Aussage ist falsch. Zur Klarstellung: Der Gemeinderat hat das gesamte Reglement überprüft. Die aus Sicht des Gemeinderats notwendigen Anpassungen wurden dem Einwohnerrat entsprechend beantragt. Im Rahmen der Beratung steht es jedem Einwohnerratsmitglied frei, weitere Anträge zu stellen, wenn der Bedarf dazu erkannt wird. Der Gemeinderat hat keinen weiteren Handlungsbedarf als die vorgelegten Anpassungen erkannt.
Wie geht es jetzt weiter?
Wie am Montag geäussert, wird der Gemeinderat das Geschäft unter Einbezug einer Spiegelgruppe nochmals aufarbeiten und dem Einwohnerrat zum Beschluss vorlegen. --chh