«Ich liebe meinen Beruf»
22.01.2021 BremgartenDer klassische Musiker Patrik Lüscher und seine Situation während der Coronapandemie
Für den Bremgarter Fagottisten und Blockflötisten Patrik Lüscher ist nicht nur der Verdienstausfall wegen der Pandemiemassnahmen eine einschneidende Konsequenz. ...
Der klassische Musiker Patrik Lüscher und seine Situation während der Coronapandemie
Für den Bremgarter Fagottisten und Blockflötisten Patrik Lüscher ist nicht nur der Verdienstausfall wegen der Pandemiemassnahmen eine einschneidende Konsequenz. Insbesondere das Musizieren zusammen in der Gruppe ist für den Profimusiker essentiell – und das fällt derzeit gänzlich weg.
André Widmer
Im Kanton Aargau sind die verschärften Massnahmen gegen die Pandemie bereits seit Dezember in Kraft. Einzelne Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und der Wirtschaft sind aber auch in den Zeiten der Lockerungen während dem Sommer temporär nie ganz in die Normalität zurückgekehrt. Sie spüren die Auswirkungen ganz intensiv – so die Kultur- und die Veranstaltungsbranche.
«Es ist mein Beruf und ich kann ihn nicht mehr ausüben», sagt Patrik Lüscher, der als Berufsmusiker das Fagott und die Blockflöte spielt, zur derzeitigen Situation. Auch ihn plagt das Ungewisse, wie lange die Pandemie und die daraus resultierenden Restriktionen bezüglich Veranstaltungen noch andauern werden. Dabei, so relativiert Lüscher bescheiden, sei er im Vergleich zu anderen Berufsmusikern noch in einer besseren Lage: Mit kleineren Lehraufträgen an diversen Aargauer Kantonsschulen kommt er total auf ein 30-Prozent-Pensum. Auch unterrichtet er noch ein paar Stunden Badminton an der ETH.
Doch der ganze Rest fällt weg: Die rund 50 Konzerte pro Jahr mit verschiedenen Ensembles, die projektbezogen und damit einzeln honoriert werden und deshalb kein festes Einkommen darstellen. Als Lohnausfallentschädigung erhält er derzeit lediglich 12 Franken pro Tag. «Die, die nicht unterrichten, für die ist es brutal», erklärt Lüscher, «sie mussten schon vorher schmal durch.» In der Schweiz gebe es nur wenige klassische Musiker, die vollständig von der Musik ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Lehrtätigkeit bietet da eine gewisse finanzielle Sicherheit. Patrik Lüscher erklärt, dass nur etwa zwei bis drei Prozent der klassischen Musiker in der Schweiz eine Festanstellung in einem professionellen, stationären Orchester haben – so etwa diejenigen des Tonhalle-Orchesters Zürich.
2020 nur wenige Konzerte
Der Musiker Patrik Lüscher konnte 2020 lediglich etwa zehn Konzerte geben, einige zusammen mit den Bläsersolisten Aargau. Diese Auftritte wiederum fanden – wegen der Coronabestimmungen – jedoch vor einer limitierten Besucherzahl statt. «Die Anlässe mit dem extra dafür engagierten bekannten Pianisten Teo Gheorghiou waren ein Minusgeschäft», erläutert Lüscher. Immerhin habe dieser statt der vereinbarten zwei auch ein drittes Konzert zum gleichen Honorar bestritten.
Patrik Lüscher ist auch Mitglied im 21th Century-Orchester in Luzern. Seit dem Ausbruch der Coronapandemie in der Schweiz, also vor fast einem Jahr, ist das Orchester gar nicht mehr aufgetreten. Bei zwischenzeitlich maximal erlaubten 300 Besuchern habe das bei einem rund 100-köpfigen Ensemble ganz einfach keinen Sinn gemacht. Klassiktickets seien sonst schon kostenintensiv, da könne man die Preise doch nicht einfach beliebig erhöhen, um zu kompensieren, meint der Bremgarter Musiker. Lüscher gehört zudem zu dem Bläserquintett quAIRulanten, dem Quartett Fagotteria und der Formation Romanesca. Auch bei diesen wurden 2020 alle Auftritte abgesagt.
Üben per Livestream – ein Ding der Unmöglichkeit
Das bereits erwähnte zeitlich offene Ende der Restriktionen ist zudem etwas, was Patrik Lüscher zu schaffen macht. «Man übt auf ein Ziel hin wie ein Spitzensportler», beschreibt er. «Ohne Konzerte fehlt dieses.» Was Patrik Lüscher neben dem Finanziellen noch viel mehr schmerzt, ist, dass derzeit das gemeinsame Musizieren wegfällt. «Das Schlimmste ist, dass man nicht zusammen Musik machen kann», sagt der 55-jährige Berufsmusiker. In zweierlei Hinsicht empfindet Patrik Lüscher die derzeitige Situation als essentiellen Verlust: Zum einen fehlt die soziale Komponente, das Musizieren mit Gleichgesinnten, zum anderen fehlt die Interaktion mit dem Publikum. Für einen klassischen Musiker, der in Ensembles spielt, seien die gängigen elektronischen Hilfsmittel wie Streaming oder Aufnahmen hin- und herzuschicken keine wirkliche Alternative für das Spielen in der Formation. Eine Direktübertragung beispielsweise habe eine zeitliche Verzögerung, zudem würden die Mikrofone die Töne nicht original wiedergeben. «Dieses perfekte Zusammenspiel, das ist über Zoom oder Ähnliches einfach nicht möglich», erläutert Lüscher. Die Feinabstimmung kann digital schlicht und einfach nicht stattfinden.
«Das gibt man nicht auf»
Hat er auch schon überlegt, das Fagott an den Nagel zu hängen, einen beruflichen Neuanfang zu wagen? Nein. «Für mich kommt das nicht infrage. Ich liebe meinen Beruf so.» Und er ist zuversichtlich: «Das kommt wieder.» Sein Weg mit der Ausbildung am Konservatorium an der Blockflöte, dem Fagott-Studium, später das Erreichen des Konzertdiploms war lang und aufwendig. Nun sei er in der Szene gut vernetzt. «Das gibt man nicht auf.»
Dennoch bereitet sich Patrik Lüscher auf eine längere Durststrecke vor. Die Veranstaltungsbranche gehöre wohl zu jenen Bereichen, die ganz am Schluss wieder ganz geöffnet werden dürften. Zudem gibt er zu bedenken, dass die Spiel- und Konzertpläne schon lange im Voraus geplant würden. Auftritte mit Laienchören beispielsweise würden Vorlaufzeiten von einem halben Jahr brauchen. Je nachdem seien gewisse Auftritte erst im Sommer 2022 wieder möglich. «Es wird lange dauern.»