Weihnachtsengel unterwegs
29.12.2020 Wohlen«Flora»-Team an Heiligabend auf Tour
Eigentlich sollte die Wohler Flora-Bar an Heiligabend offen sein für all jene, die sonst alleine feiern müssten. Doch die erneute Schliessung machte Wirtin Angela Grolla einen Strich durch die Rechnung. Ihre Alternative: ...
«Flora»-Team an Heiligabend auf Tour
Eigentlich sollte die Wohler Flora-Bar an Heiligabend offen sein für all jene, die sonst alleine feiern müssten. Doch die erneute Schliessung machte Wirtin Angela Grolla einen Strich durch die Rechnung. Ihre Alternative: Wenn die Menschen nicht in die Beiz dürfen, dann geht die Beiz eben zu den Menschen. Zusammen mit Marco Ramuz setzte sie die Idee um. --chh
Ganz viel Freude bereitet
Das «Flora»-Team verteilte an Heiligabend Essen und Geschenke an einsame Menschen
Sie lässt sich nicht unterkriegen. Erst seit März als Wirtin in der «Flora» tätig, erlebt Angela Grolla bereits den zweiten Lockdown. An ihrer Idee, an Weihnachten den Einsamen eine warme Mahlzeit zu schenken, hielt sie dennoch fest.
Chregi Hansen
Sie ist komplett überwältigt. Sie habe eine emotionale Berg-und-Tal-Fahrt erlebt, erklärt sie nach ihrer Tour an Heiligabend. «Wir durften wunderschöne, traurige, aber auch lustige Momente erleben», berichtet Angela Grolla. Und fügt an: «Wir hatten den schönsten Heiligabend, den man sich vorstellen kann.»
Da hatte sie eine mehrstündige Fahrt durch Wohlen und Umgebung hinter sich. Begleitet wurde sie von ihrem guten Kumpel Marco Ramuz alias DJ Lui, der regelmässig in der «Flora» für den richtigen Sound sorgt. Die beiden haben sich an Heiligabend als Weihnachtsengel betätigt und möglichst vielen einsamen, sich zum Teil gar in Isolation befindlichen Menschen im Freiamt etwas Warmes und Leckeres vorbeigebracht. Selbst gekochtes Pilzrisotto und selbst gemachten Glühwein. Rund 30 Personen haben sie besucht und Glück verbreitet. Mit allen Empfängern noch ein wenig geschwatzt. Und so an diesem Abend vielen eine Freude bereitet.
Eine Krankenschwester berichtete aus ihrem Alltag
Den ganzen Tag über kam es zu bewegenden Begegnungen. «Nach jeder Station mussten wir erst ein paar Minuten durchschnaufen und uns wieder fassen», erzählt Grolla. Da war etwa die Frau, die als Krankenschwester auf der Covid-Station in Aarau arbeitet. «Sie erzählte uns, wie sie Tag für Tag durch ein Wechselbad der Gefühle muss, wie sie am Anschlag steht, wie die Patienten sterben und sie den Angehörigen Trost spenden muss. Und wie sie kaum noch ein Leben neben der Arbeit hat», fasst die Wirtin eine der Begegnungen zusammen.
Oder die Familie, die positiv getestet wurde. Weshalb ein weiterer Sohn jetzt nicht zu Besuch kommen darf. Nicht mit ihnen feiern kann. Oder der Grossvater, der erstmals Heiligabend allein verbringen muss. «Wir erhielten am nächsten Tag ein SMS seiner Enkel. Er habe ihnen unter Tränen von unserem Besuch berichtet und wie er sich gefreut habe darüber», so die «Flora»-Wirtin, die zugibt, dass auch bei ihr ab und zu die Tränen kamen. «Wir erhalten bis heute Rückmeldungen auf unsere Tour», berichtet sie Tage später.
Dann geht die Beiz eben zu den Menschen
Die Idee zu dieser Aktion kam ganz spontan während einem gemeinsamen Racletteessen, wie sich die beiden erinnern. Ursprünglich wollte Angi Grolla die «Flora» an Heiligabend für die Einsamen öffnen und gratis Risotto anbieten. Ganz in der Tradition, wie es früher im Wohler «Chäber» der Fall war. Oder im «Ochsen» in Villmergen, wo die junge Wirtin zuvor gearbeitet hat. Nachdem sie aber bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr gezwungen wurde, die Bar zu schliessen, musste sie die Idee begraben. Doch dann entschieden Grolla und Ramuz: Wenn die Leute nicht in die «Flora» dürfen, dann geht die «Flora» eben zu den Leuten.
Was folgte, damit konnte niemand rechnen. «Unser Aufruf löste eine riesige Welle aus. Es meldeten sich viele, die das Angebot nutzen wollten. Aber auch viele, die uns zu diesem Schritt gratulierten und etliche, die uns tatkräftig unterstützt haben», erzählt Ramuz. Sein Arbeitgeber, die ISS Kanalservice Boswil, stellte einen Bus zur Verfügung, jemand anderes sponserte das Benzin für die Fahrt, der Rüebliland-Beck sorgte für Brot und Rüeblischnitten, es wurden passende T-Shirts gedruckt, ein Wärmebehälter organisiert. «Wir sind wirklich überwältigt. Wir haben sogar kleine Geschenke bekommen, die wir verteilen durften», berichtet Grolla, die es noch gar nicht fassen kann, wie viel Unterstützung sie erfährt.
Bunte Mischung
Während Heiligabend für die meisten Menschen ein Tag der Besinnung im Kreise der Familie ist, stand für das Duo viel Arbeit an. Bereits am Vormittag wurde der Glühwein zubereitet und das Risotto gekocht. Für das anschliessende Verteilen benötigten sie mehrere Stunden, dazwischen holten sie wieder Nachschub. Die Übergabe der Lebensmittel erfolgte ganz coronakonform an der Haustür und mit Abstand. «Es haben sich etliche ältere Personen gemeldet, aber auch einige junge. Und auch ganze Familien», erzählt die Wirtin. Die Begegnungen waren von grosser Herzlichkeit geprägt. Und nicht selten bekamen auch Grolla und Ramus ein Geschenk überreicht. «Uns hat es an nichts gefehlt an diesem Abend, wir hatten ebenfalls Weihnachten», so ihre Bilanz.
Hoffen auf baldige Wiedereröffnung
Von 12.30 bis 21.30 Uhr waren Angi Grolla und Marco Ramuz unterwegs. Danach haben sie gemeinsam auf die erfolgreiche Aktion angestossen und die vielen emotionalen Momente nochmals Revue passieren lassen. «Es war vermutlich der schönste Heiligabend, den ich erlebt habe. Ich würde es sofort wieder machen», fasst die junge Wirtin zusammen. Für sich selber wünscht sie sich, dass die «Flora» bald wieder öffnen kann. Damit sie dort ganz vielen Gästen Freude bereiten kann. Und das nicht nur an Weihnachten.