Als das Casino Premiere erlebte
29.12.2020 WohlenBesondere Momente im Redaktionsalltag: Zu Besuch bei Trudy Müller-Koch (29. Januar 2020)
Chregi Hansen
Am Anfang war der Tipp. Vor genau 70 Jahren, im Januar 1950, wurde in Wohlen das neue Casino eingeweiht. Mit einer grossen Operette. Und eine der ...
Besondere Momente im Redaktionsalltag: Zu Besuch bei Trudy Müller-Koch (29. Januar 2020)
Chregi Hansen
Am Anfang war der Tipp. Vor genau 70 Jahren, im Januar 1950, wurde in Wohlen das neue Casino eingeweiht. Mit einer grossen Operette. Und eine der Sängerinnen lebe heute noch immer in Wohlen und erinnere sich noch bestens daran. Ihr Name: Trudy Müller-Koch.
Tipps gehören zum Alltag eines Journalisten. Immer wieder erhalten wir Hinweise auf mögliche Storys. Manchmal sind sie passend, beinhalten spannende Geschichten, sorgen gar für Schlagzeilen. Manchmal aber verlaufen sie im Sand. Steckt nichts dahinter. Zumindest nichts, wofür sich ein Artikel lohnt. Meist reichen ein, zwei Anrufe oder Mails, um weitere Abklärungen zu treffen. In diesem Fall erweist sich das aber als schwieriger. Denn Trudy Müller-Koch hat zwar ein Telefon, ist aber nirgends verzeichnet.
Aber immerhin: Eine Adresse kann ich ausfindig machen. Und weil ich eh täglich mit dem Hund spazieren gehe, kann ich auch gleich da vorbeigehen und klingeln. Dumm nur, dass die mir noch unbekannte Frau Müller offenbar sehr aktiv ist. Bei keinem meiner Rundgänge ist sie zu Hause anzutreffen. Wie weiter? Ich schreibe ganz altmodisch einen Brief mit meinem Anliegen, stecke ihn ins Couvert und werfe ihn persönlich in ihren Briefkasten. Sicher ist sicher. Noch am gleichen Tag klingelt mein Telefon. Am anderen Ende: Trudy Müller-Koch. Ja, das stimme, sie sei damals dabei gewesen. Aber nicht als Sängerin, sondern im Ballett, welches vom Damenturnverein gestellt wurde. Aber eigentlich wisse sie gar nicht mehr viel von dieser Zeit – es sei doch schon lange her. Und ob das heute wirklich noch interessiere? Aber klar, wenn ich wirklich wolle, dann dürfe ich gerne vorbeikommen.
Interessiert das heute wirklich noch jemanden?
Wenige Tage später sitze ich in ihrer Stube. Der Fernseher läuft, eine Sportübertragung, denn Trudy Müller-Koch ist ein grosser Tennisfan. Freundlich begegnet sie dem fremden Journalisten, bietet einen Kaffee an. Freut sich über die alten Artikel, die ich herausgesucht und mitgenommen habe. Und mit den Zeitungsausschnitten kommen die Erinnerungen. Eine Anekdote folgt der nächsten. Und immer wieder die Frage: Interessiert das heute wirklich noch jemanden?
Gut 90 Minuten bin ich zu Besuch, der TV ist längst auf lautlos gestellt. Schon bald plaudern wir allgemein über Wohlen, über ihr Leben, ihre Kinder, ihren Alltag, bekannte Persönlichkeiten und die Probleme des öffentlichen Verkehrs. Die 92-Jährige, die mich an diesem Tag zum ersten Mal trifft, hat genug Vertrauen, mir ganz vieles Privates zu erzählen. Und das sind genau die Momente, in denen ich meinen Job liebe. Wenn ich Menschen begegnen kann, die mich an ihrem Leben teilhaben lassen. Die mir von sich erzählen. Vom Leben von früher. Von Wohlen und seinen Menschen. Weil das normale Leben eben meist die besten Geschichten schreibt. Und im normalen Alltag viel Spannendes schlummert.
Gerade Gespräche mit älteren Menschen helfen, das eigene Leben neu zu betrachten. Und den eigenen Blickwinkel zu schärfen. Und so werden aus dem einen Kaffee mehrere. Und aus dem Kurzbesuch ein längeres Gespräch. Beim Foto zögert sie noch kurz. Ob das wirklich nötig sei? Sehen will sie den Text nicht vor der Veröffentlichung. Nein, sie vertraue mir da, so die Antwort.
Wenige Tage später erscheint der Artikel. Noch am gleichen Tag ruft mich Trudy Müller an. Sie habe grosse Freude und schon ganz viele Reaktionen erhalten. Und ich müsse unbedingt nochmals vorbeikommen, das müsse ich ihr versprechen. Was ich gerne tat. Mehrfach versuchten wir seither, einen Termin zu finden – vergeblich. Und dann kam Corona dazwischen und verunmöglichte ein Wiedersehen. Aber hiermit sei versichert: Frau Müller, sobald es wieder möglich ist, wird der Kaffee nachgeholt. Und ich bin schon gespannt auf weitere Geschichten.