«Nicht wegschauen»
20.11.2020 WohlenSänger Seven aus Wohlen sorgt mit einem Brief an den Bundesrat für Aufsehen
Ein Brief mit rund 4500 Zeichen sorgt für Gesprächsstoff. Jan Dettwyler alias Seven hat ihn verfasst und an Wirtschaftsminister Guy Parmelin geschickt. Die Zeilen machen auf die ...
Sänger Seven aus Wohlen sorgt mit einem Brief an den Bundesrat für Aufsehen
Ein Brief mit rund 4500 Zeichen sorgt für Gesprächsstoff. Jan Dettwyler alias Seven hat ihn verfasst und an Wirtschaftsminister Guy Parmelin geschickt. Die Zeilen machen auf die schwierige Situation der Veranstaltungsbranche aufmerksam.
Grosse Bühne für grosse Worte. Sevens Beitrag wird in den sozialen Medien über 300-mal kommentiert und fast 2000-mal geteilt. Zudem berichtet die «Tagesschau» über den Brief des Wohlers. Der 42-Jährige schreibt Bundesrat und Wirtschaftsminister Guy Parmelin, dass man «nicht wegschauen dürfe». Denn: Jährlich setzt die Kulturbranche 15 Milliarden Franken in der Schweiz um. Und jedes zehnte Unternehmen gehört zum Kultursektor. In der Coronazeit serbelt die ganze Branche vor sich hin.
«Seit acht Monaten noch im ersten Lockdown»
Man diskutiere momentan über einen zweiten Lockdown, «während sich die Eventbranche und Kulturwirtschaft seit acht Monaten noch im ersten Lockdown befinden», schreibt Seven. Die Lage der Künstlerinnen und Künstler werde immer wieder öffentlich thematisiert und die Wichtigkeit der Kunst ganz unterschiedlich bewertet. «Systemrelevant oder nicht systemrelevant ist die Gretchenfrage, die sich die Entscheider stellen. Und mit der Antwort werden die Entscheidungen gerechtfertigt. Jedoch ist es an der Zeit, den ganzen Wahnsinn einmal kühl und völlig frei von Idealismus zu betrachten», so Seven.
Denn es gehe nicht um Kunst und nicht um Kultur, sondern um eine Branche, die noch immer nur am verkannten Künstlerberuf aufgehängt wird. «Allerdings, und das ist kaum jemandem bewusst, sind wir Künstlerinnen und Künstler ein unglaublich kleiner Teil dieser Branche.» Seven rechnet vor: «Die Kulturwirtschaft macht jährlich einen Umsatz von 15 Milliarden, mit mehr als 63 000 Unternehmen und über 300 000 Vollzeitbeschäftigten. Jeder zehnte Schweizer Betrieb gehört in irgendeiner Art und Weise zur Kultur- und Kreativwirtschaft.» Um ein einziges Festival oder Konzert auf die Beine zu stellen, brauche es enorm viel. «Logistik, Promotion, Agenturen, Techniker, Cargo, Catering, Licht, Putzequipen, Ticketverkauf, Einlasskontrolle, Sicherheitsdienste und so weiter.» Kein Land auf der Welt macht mehr Events und Konzerte pro Einwohner als die Schweiz, «und obendrein sind wir dabei noch sehr erfolgreich», so der Freiämter, der heute mit seiner Familie in Luzern lebt. «Wenn wir zu den genannten Zahlen noch die Kollateralumsätze dazurechnen, würden wir uns im Ranking der stärksten Wirtschaftszweige eine Medaille holen.»
«Dann wirds richtig heftig»
An einem Konzert hängt viel mehr, als man meint, so Seven. «Denkt an all die Investitionen, den Content, den Unterhalt, an all die Umsätze im Bereich Essen und Trinken rund um all die Konzerte und die Events, an die Übernachtungen, Zugfahrten, Parkhaustickets, Merchandising-Verkäufe und, und, und.» Die Popkultur allein bewege jährlich über 15 Millionen Gäste in der Schweiz. «Wenn wir dann noch all die Umsätze im Sponsoring und im Marketingbereich mitrechnen, dann wirds richtig heftig.» Der Wohler fragt: «Wann wird der Bund diese Summe schmerzlich vermissen und endlich merken, was diese Branche alles bewegt und umsetzt. Wann?»
Seven schreibt, dass die Kulturbranche «genauso too big to fail ist wie die Wirtschaftszweige, die man, ohne mit der Wimper zu zucken, rettet.» Das Ziel sei die Aufmerksamkeit vom Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). «Es muss möglich sein, dass man dort realisiert, dass wir nicht die Hofnarren sind, denen man die Krümel überlässt, sondern dass man erkennt, dass wir zu den stärksten Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern der Schweiz zählen.»
Es gebe so viele kreative Köpfe, die täglich in diesem Bereich Ideen und Projekte aus dem Boden stampfen. Auch in der Coronazeit. Mit Kampagnen, Spenden, Crowdfundings und Petitionen hilft man sich etwas selber. «Das zeigt, wie schnell und wendig die Branche ist. Die Kehrseite unseres eigenverantwortlichen Handelns? Unsere Regierung fühlt sich darin bestätigt, dass wir uns ganz gut selber zu helfen wissen», schreibt der Wohler.
Und das stimme auch, denn ohne Eigeninitiative wäre die Branche wohl schon längst untergegangen. «Wir wollen denn auch keine Almosen und erst recht keinen Stehplatz in irgendeiner Talkshow zu diesem Thema. Wir wollen uns weder profilieren, noch sind wir arme, aussterbende Koalabären.»
Zum Ende beschreibt Seven nochmals sein Grundanliegen: «Es ist schlicht und ergreifend an der Zeit, dass man wahrnimmt, was für eine Bedeutung die Branche für die Wirtschaft, für unser Land hat. Dass wir wichtige Steuerzahler sind und dass wir eine Wertschöpfung generieren, die riesig ist. Dass man uns als wichtigen nationalen Wirtschaftsfaktor ernst nimmt. Ich würde mich freuen, nein, ich erwarte, dass sich das Departement WBF meldet und mich zusammen mit zwei, drei wichtigen Playern unserer Branche zu einem Gespräch einlädt.» --spr