Zwei Wohler in Basel
16.10.2020 WohlenCiriaco Sforza im Fokus
Der Trainerposten beim FC Basel ist eine sehr begehrte Arbeitsstelle. Der Wohler Ciriaco Sforza hat sie erhalten. Und steht vor einer speziellen Bewährungsprobe.
Er ist als Spieler bei herausragenden Mannschaften (Bayern ...
Ciriaco Sforza im Fokus
Der Trainerposten beim FC Basel ist eine sehr begehrte Arbeitsstelle. Der Wohler Ciriaco Sforza hat sie erhalten. Und steht vor einer speziellen Bewährungsprobe.
Er ist als Spieler bei herausragenden Mannschaften (Bayern München, Inter Mailand) engagiert gewesen, auch als Captain der Schweizer Nationalmannschaft sorgte Ciriaco Sforza für Furore. Nun steht er als Trainer des FC Basel vor einer besonderen Herausforderung. Sforza in Basel, ein Wohler in der Fussball-Grossstadt.
Und er stand für ein exklusives Interview bereit. Nicht etwa mit der Sportredaktion. Nein, er stellte sich den Fragen einer Person, die Basel bestens kennt und wie er aus Wohlen stammt. Caroline Doka, in Wohlen aufgewachsen, lebt seit Jahrzehnten in Basel. Sie ist auch Gastkolumnistin dieser Zeitung. Caroline Doka traf den FCB-Trainer im Stadion St. Jakob. Beim Interview spielte der Fussball für einmal nur eine Nebenrolle. Sforza spricht über die Familie, Wohlen, Basel und die Gesundheit. --dm
«Ich bin gerne ein Bezwinger»
Eine Wohlerin in Basel (Caroline Doka) interviewt den Trainer des FC Basel, Ciriaco Sforza aus Wohlen
Ciriaco Sforza, der Fussballtrainer, der Prominente. Der Wohler ist beim FC Basel gelandet. Ein Karrieresprung. Nur: Wer ist dieser Fussballlehrer neben dem Platz? Sforza erzählt über das nationale Aushängeschild, über Wohlen, über die italienischen Wurzeln und seine Familie.
Caroline Doka
In diesem Interview soll es nicht um Fussball gehen, sondern um Wohler in Basel. Zum Einstieg etwas Süsses: Mögen Sie lieber Dubler-Mohrenköpfe oder Basler Läckerli?
Ciriaco Sforza: Beides.
Was kennen Sie in Basel – ausser dem FCB, der Fasnacht und dem Zolli?
Noch nichts, leider! Nur das Stadion. Und das Hotel. Ich bin in erster Linie zum Arbeiten hier, und es war intensiv bisher.
Sie wohnen nach wie vor in Wohlen?
Ja, ich pendle.
Was sollten Sie denn in Basel gesehen haben?
Es ist viel von der Basler Fasnacht die Rede. Die werde ich mir anschauen.
An der nächsten Basler Fasnacht kommen Sie bestimmt in den Schnitzelbänken vor.
Ja, das ist doch gut – ich hoffe, sie kann stattfinden!
Aber die Wohler Fasnacht kennen Sie?
Erst seit zwei Jahren. Seit ich mit meinen beiden jüngeren Kindern hingehe. Mir gefällt die Wohler Fasnacht. Meine Kinder sind begeistert.
Mein Tipp für eine andere Perspektive aufs Joggeli und ganz Basel: Steigen Sie auf die Aussichtsplattform des Münsterturms.
Danke, das werde ich gerne ausprobieren, sobald ich dazu komme.
Welches ist Ihr liebster Ort in Wohlen?
Mein Zuhause! Ich bin in Wohlen aufgewachsen und zur Schule gegangen. Dort ist meine Familie, mein enger, kleiner Freundeskreis. Zu Hause kann ich mich zurückziehen und erholen.
Aber Sie gehen in Wohlen schon auch unter die Leute?
Ja. Ich bewege mich gerne im Dorf.
Begegnet man Ihnen anders, weil Sie eine schweizweit bekannte Persönlichkeit sind?
Davon merke ich nichts. Mir ist wohl, wenn ich durchs Dorf gehe. Man begegnet sich gegenseitig mit Respekt.
Als Sie Schüler waren, waren die jungen Leute in Wohlen entweder FCZ- oder FCB-Fan. Für welchen Club schlug Ihr Herz?
Naja ... ich hatte Kollegen, die GC-Fans waren. Also ... ich war offen gesagt für den FCZ und für GC. Man muss auch sagen, damals waren das die beiden führenden Schweizer Clubs. Inzwischen hat sich das zugunsten von Basel geändert. Aber solche Rivalitäten gibt es in ähnlicher Form überall. Das ist völlig normal.
Schon als Sie Trainer beim FC Wohlen waren, kannten Sie Karl Odermatt. Die FCB-Legende kam zu Spielen nach Wohlen. Ex-FCW-Spieler Alain Schultz ist sein Göttibub. Wie ist Ihr Verhältnis zu Karli Odermatt?
Ich hatte in der Zwischenzeit keinen Kontakt mit ihm. Aber seit ich beim FCB bin, sehe ich ihn ab und zu. Er kommt natürlich immer zu den Spielen in den St.-Jakob-Park. Er ist 77-jährig und noch immer mit Herzblut beim Fussball dabei. Das ist etwas Schönes! Wenn wir uns sehen, können wir sofort anknüpfen und müssen nicht bei Adam und Eva anfangen. Wir sprechen beide die Fussballsprache.
Apropos Sprachen: Welchen Dialekt mögen Sie lieber: den Basler? Den Aargauer? Oder Italienisch?
Ich nehme Dialekte schnell auf!
Wie lange wird es gehen, bis Sie Baseldytsch sprechen?
Bis zur nächsten Fasnacht – für die Schnitzelbänke … (lacht)
Welches ist Ihre Muttersprache?
Italienisch.
Aus welcher Gegend Italiens stammen Ihre Eltern?
Aus Avellino bei Neapel. Aber ich bin in Wohlen geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Meine Grosseltern lebten in Italien. Trotzdem hat es mich nie dorthin gezogen.
Gibt es dennoch so etwas wie eine italienische Prägung?
Die Mentalität ist sicher da! Ich kann schon kochen. Wenn es sein muss.
Sie lachen. Pasta?
Das auch …
Kochen – emotional werden?
Genau. Wenn es denn sein muss.
Die Geschichte von 1999 mit Otto Rehhagel beim 1. FC Kaiserslautern? Wir wollten in diesem Interview zwar nicht über Fussball sprechen.
Es geht um Führungsmethoden. Als Captain war ich damals mit Trainer Rehhagels Führungsstil nicht einverstanden. Ich konfrontierte ihn offen damit, erreichte nichts und kritisierte seine Methoden und mangelnde Kommunikation in einem Interview mit der «Welt am Sonntag». Heute würde ich es nicht mehr so machen.
Sondern?
Ich kläre alles immer zuerst intern. Interne Kommunikation ist sehr wichtig.
Sie kochen nicht mehr?
Nein. Ich bin ein Ruhiger. Aber ein Klarer.
Sie waren als Captain der Anführer gegen den Trainer Otto Rehhagel. Ist das typisch für Sie? Sehen Sie sich als aufständischen Anführer wie einen Heinrich Fischer, den selbsternannten Generalleutnant und Anführer des Freiämter Sturms von 1830?
Ich gehe gerne voraus, wie es Fischer historisch tat. Nicht für mich als Einzelperson, sondern immer fürs Team.
Auch als Trainer?
Auch als Trainer. Ich gehe voraus, schütze mein Team. Bei Problemen bin ich nicht der Erste, sondern der Letzte, der geht.
So, wie der Kapitän als Letzter das sinkende Schiff verlässt?
Genau so.
Gehen wir wieder weg vom Fussball. Wer ist Ciri Sforza?
Ein Ruhiger, Positiver. Ich mag es, Spass und Freude zu haben. Aber ich muss es nicht immer zeigen.
Gilt das auch für die Familie?
Ich bin in der Familie derselbe wie ausserhalb der Familie. Ich bin der, der ich bin, und muss mich nicht verstellen. Sonst bin ich nicht mehr glücklich und ehrlich.
Sensibel, verletzlich, ehrgeizig, Perfektionist: Was trifft auf Sie zu, was nicht?
Alles. Alles ist richtig.
Die Sforzas waren eine bedeutende italienische Familie in der Renaissance. Der Name soll «Bezwinger» bedeuten. Passt der Begriff auf Sie, sind Sie ein Bezwinger?
Sowohl als Spieler wie auch als Trainer war und bin ich gerne ein Bezwinger – man will ja den Gegner besiegen, so oft wie möglich. Insofern: Ja, das passt.
Wie schlafen Sie?
Sehr gut. Ausser nach einer unnötigen Niederlage. Aber nur eine Nacht.
Nach dem Rausschmiss als Trainer bei Rekordmeister GC fielen Sie in ein seelisches Tief. Sie haben sich vom Fussball zurückgezogen. Als Sie nun FCB-Trainer wurden, schrieb die NZZ: «Ciri Sforza bekommt die Chance seines zweiten Lebens.»
Ja. Des Lebens nach der Krise. Das stimmt so.
Die Diagnose war Erschöpfungsdepression. Wie hat sich das geäussert?
Leere. Keine Energie. Ich konnte nicht schlafen. War lustlos. Das Gefühl von Angst. So habe ich es erlebt. Ich zog mich automatisch zurück.
Auch zu Hause?
Angstgefühle hatte ich in der Familie keine. Aber ich zog mich auch dort zurück. Ich brauchte Ruhe.
Sie haben offen über Ihre Erschöpfungsdepression gesprochen. Gab es Reaktionen?
Reaktionen von aussen sind für mich unwichtig. Ich habe keine Hemmungen, offen darüber zu sprechen. Für psychische Probleme muss man sich nicht schämen. Sie haben nichts mit Schwäche zu tun. Darüber zu sprechen, löst und macht stärker. Es hat mich vorwärtsgebracht.
Wer und was hat Ihnen geholfen, gesund zu werden?
Vor allem Gespräche. Mit einer Fachperson, aber auch mit Freunden und der Familie. Ich wusste: Von heute auf morgen werde ich nicht gesund. Aber wenn ich dranbleibe, dann schaffe ich es. Auch ohne Medikamente. So war es auch: Jede Woche gab es eine positive Veränderung im Kopf und im Herzen, also im Denken und im Fühlen. Auch meine Bewegungen veränderten sich. Alles wurde wieder lockerer, fliessender. Um gesund zu werden, braucht es Zeit und Geduld, und man muss es zulassen. Wenn man weinen muss, dann soll man weinen. Das löst, und das hilft.
Hätten Sie, rückblickend, diese Seelenkrise verhindern können?
Wohl nicht. Ich konnte damals noch nicht mit solchen Dingen umgehen. Heute bin ich weiter.
Sie haben das Seelentief überwunden. Also doch ein Sforza im wahrsten Sinn des Wortes: ein «Bezwinger».
Wenn man so will, ja.
Gibt es keine Angst vor Druck? Der FC Basel ist schliesslich eine grosse Schuhnummer im Schweizer Fussball.
Nein. Heutzutage kann ich definitiv anders mit solchen Situationen umgehen.
Wie denn?
Ich bin ruhiger und offener. Hinter den Dingen, die ich tue, kann ich stehen und ich bin glücklich damit.
Was tun Sie, damit es nicht mehr so weit kommt?
Es kommt nicht mehr so weit! Weil ich bei mir selber Dinge verändert habe. Mein Schlüssel dazu ist: hinter allem, was ich tue, zu stehen und es gerne zu tun. Manchmal gibt es trotzdem Dinge, auf die mein Körper reagiert. Da weiss ich dann sofort: Ich stehe nicht dahinter. Ich bin meinem Körper dankbar, dass er sich schnell meldet. Er gibt mir Zeichen, ich achte darauf und reagiere sofort.
Schauen Sie auch bei anderen genau hin? Etwa bei Ihren jungen Spielern?
Ja. Sehr genau. Und ich rede mit ihnen. Das heisst: Ich lasse sie reden. Sie sollen sich öffnen können, sich aufgehoben fühlen und Vertrauen haben. Im Sport ist es wie in der Erziehung: Junge Spieler und Kinder sollen Fehler machen dürfen. Das sind Erfahrungen. So werden sie offener und ehrlicher, auch zu sich selbst. Wir müssen ihnen die Angst davor nehmen, über ihre Probleme, Stärken und Schwächen zu sprechen. Ich möchte ihnen das geben, was ich als junger Spieler nicht hatte.
Sie hatten das damals nicht?
Es war schwierig. Ich wurde mit 16 Profi, musste von da an immer liefern. Ich möchte nicht, dass sie das Gleiche erleben. Das ist belastend. Ich möchte die jungen Spieler abholen: mit ihnen reden, ihnen Zeit geben.
Sie haben vier Kinder, zwei ältere, zwei jüngere. Was ist Ihnen als Vater wichtig?
Immer für sie da zu sein. In guten wie in schlechten Zeiten. Ich sage es ihnen jeden Tag: Ich bin für euch da. Ich spüre, dass sie es wissen.
Sind Ihre Frau und Ihre Kinder fussballbegeistert?
Oh ja, sehr! Meine Frau sowieso. Aber auch unsere Kinder sind wenn immer möglich mit Papa dabei; sei es vor dem Fernseher oder im Stadion.
Haben Sie Träume?
A) geht es mir gut, B) bin ich glücklich und C) träume ich immer. Wenn wir vom Job sprechen: Ein Trainer, der nicht vom Erfolg träumt und nicht alles unternimmt, um zu siegen, ist am falschen Ort. Ich will mit dem FCB langfristig an der Spitze mitspielen. Was das Private betrifft, so möchte ich gesund bleiben. Und bodenständig.