Letzte Chance
28.08.2020 WohlenEine Freiheitsstrafe von 15 Monaten verhängte das Bezirksgericht gegen einen Mann, der sturzbetrunken einer Frau die Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Er muss aber nicht ins Gefängnis, sondern in eine stationäre Therapie. Laut Gerichtspräsidentin die letzte Chance für ...
Eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten verhängte das Bezirksgericht gegen einen Mann, der sturzbetrunken einer Frau die Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Er muss aber nicht ins Gefängnis, sondern in eine stationäre Therapie. Laut Gerichtspräsidentin die letzte Chance für ihn.
«Ich schäme mich dafür»
Bezirksgericht Bremgarten: Stationäre Massnahme für einen Suchtkranken – nach Vorfällen in Wohlen
Eine Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Monaten, eine Geldstrafe und eine Busse verhängte das Bezirksgericht gegen einen 57-jährigen Mann. Er muss aber nicht ins Gefängnis, sondern seine stationäre Therapie fortsetzen.
Erika Obrist
Seine Alkoholsucht hat dem 57-jährigen Fabian (Name geändert) schon mehrere Vorstrafen eingebrockt. Als er Ende Mai 2019 vor dem Coop in Wohlen mehrere Passanten anpöbelte, war er wieder betrunken. Die Polizei fand Fabian in der Nähe des Bahnhof kiosks und unterzog ihn einer Personenkontrolle. Fabian verweigerte einen Alkoholtest und liess sich nicht wegweisen. Zudem beschimpfte Fabian die Polizisten übel. Die herbeigerufene Verstärkung wollte Fabian nach Hause fahren. Dieser wehrte sich und versuchte mehrfach, den Polizisten in die Beine zu treten.
Faustschlag ins Gesicht einer jungen Frau
Der zweite Vorfall ereignete sich ein halbes Jahr später. Zwei junge Frauen waren mit dem Auto unterwegs in Richtung Migros. Unvermittelt stellte sich ihnen ein maskierter Mann in einem Tarnanzug in den Weg. Mindestens zweimal machte er mit der Hand eine Bewegung, die symbolisierte, dass er die beiden Frauen mit einer Pistole erschiesse. Erst fuhren die Frauen davon, dann wendeten sie, um den Maskierten – es war Fabian – zur Rede zu stellen. Die Fahrerin stieg aus, worauf ihr Fabian mit der Faust ins Gesicht schlug. Die Beifahrerin wollte ihrer Kollegin zu Hilfe eilen. Fabian schubste sie mit mehreren Handstössen gegen die Brust herum. Anschliessend trat er mehrfach gegen das Auto.
Die herbeigerufene Polizei wollte Fabian festnehmen, der sich heftig dagegen wehrte. Er bespuckte die Polizisten. Auf der Fahrt zum Posten bedrohte er sie verbal massiv an Leib und Leben und beschimpfte sie. Auch auf dem Posten setzte der wieder betrunkene Fabian seine Schimpftiraden fort. Er gebärdete sich derart aggressiv, dass vier Polizisten notwendig waren für die Leibesvisitation.
«Ich brauche Hilfe»
Gestern musste sich Fabian vor dem Bezirksgericht Bremgarten verantworten. An seine Taten könne er sich nicht erinnern; er habe beide Male ein totales Blackout gehabt. «Heute schäme ich mich dafür», beantwortete Fabian eine Frage von Gerichtspräsidentin Corinne Moser.
Nach der ersten Tat im Mai 2019 hatte er sich freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben, um gegen seine Alkoholsucht anzukämpfen. Als diese für zwei Tage unterbrochen und er nach Hause geschickt wurde, wehrte er sich dagegen. Er habe den Verantwortlichen in der Institution gesagt: «Wenn ich nach Wohlen zurückgehe, passiert etwas.» Was dann auch eintraf.
Fabian kam nach dem zweiten Vorfall in Untersuchungshaft, dann in eine stationäre Massnahme. Es sei ein Auf und Ab in der Institution, in der er betreut wird. Nach einem Rückfall sei er nun aber auf gutem Weg. Wenn es nach Fabian ginge, müsste die Massnahme fortgesetzt werden. «Ich brauche Hilfe», weiss der IV-Bezüger. Und er würde sich auch persönlich bei den beiden Frauen entschuldigen, sofern diese das wünschen.
Schwere oder leichte Körperverletzung?
Die Staatsanwaltschaft wertete den Faustschlag ins Gesicht der jungen Frau als versuchte schwere Körperverletzung. Dazu kamen eine Tätlichkeit, mehrfache Sachbeschädigung, mehrfache Beschimpfung, mehrfache Drohung, Nötigung und mehrfache Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Sie beantragte eine unbedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten, eine unbedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 30 Franken und eine Busse von 500 Franken. Weiter sei eine bedingte Vorstrafe zu widerrufen. Die Staatsanwaltschaft plädierte für die Anordnung einer stationären Massnahme.
Die Verteidigung setzte sich ebenfalls für eine stationäre Massnahme ein. Allerdings wertete sie den Faustschlag ins Gesicht der jungen Frau als versuchte leichte Körperverletzung. Auch habe er die Polizisten nicht bewusst getreten. Laut Gutachten sei Fabian bei beiden Vorfällen vermindert schuldfähig gewesen. Er plädierte für eine Gesamtstrafe von 10 Monaten, für eine bedingte Geldstrafe wegen der Beschimpfungen und eine Busse von 50 Franken. Auch sollen Fabian nur zwei Drittel der Verfahrenskosten auferlegt werden. Die Tage in Untersuchungshaft und im vorzeitigen Massnahmenvollzug seien anzurechnen.
«Das ist Ihre letzte Chance»
Das Gericht verurteilte Fabian zu einer Gesamtstrafe von 15 Monaten, zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 60 Franken und zu einer Busse von 250 Franken. Es ordnete eine stationäre Massnahme an. Auch auferlegte es Fabian die gesamten Verfahrenskosten.
«Wir haben uns auf die Zeugenaussagen abgestützt bei der Urteilsfindung», begründete Gerichtspräsidentin Corinne Moser den Entscheid. Deshalb sei der Faustschlag keine einfache, sondern eine versuchte schwere Körperverletzung. «Es ist ein Glück, dass der jungen Frau nicht mehr passiert ist», so die Gerichtspräsidentin. Fabian habe nicht vorsätzlich gehandelt, sondern die Verletzung in Kauf genommen.
Fabian habe sich im Massnahmenvollzug bisher kooperativ gezeigt. Er bemühe sich, eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Deshalb soll diese Massnahme fortgesetzt werden. Moser wünschte Fabian Kraft und Energie auf diesem nicht einfachen Weg. Sie machte aber zugleich deutlich: «Es ist Ihre letzte Chance.» Denn sollte er die Therapie abbrechen, so muss er ins Gefängnis.