Abschied am Geburtstag
21.08.2020 WohlenEr hat seinen Abschied von der Gemeindeverwaltung Wohlen gut geplant. Am 26. August tritt Urs Spillmann in den Ruhestand. An diesem Tag wird er 63 Jahre alt. Urs Spillmann ist seit März 2007 Leiter Soziale Dienste. Das ist eine aufreibende Aufgabe. Zwei Jahre war er zudem Mitglied der ...
Er hat seinen Abschied von der Gemeindeverwaltung Wohlen gut geplant. Am 26. August tritt Urs Spillmann in den Ruhestand. An diesem Tag wird er 63 Jahre alt. Urs Spillmann ist seit März 2007 Leiter Soziale Dienste. Das ist eine aufreibende Aufgabe. Zwei Jahre war er zudem Mitglied der Geschäftsleitung. Diese Doppelbelastung sei an die Substanz gegangen, erklärt Spillmann, der in Wohlen eine gute Zeit hatte. --dm
Manchmal der Retter sein
Urs Spillmann, Leiter Soziale Dienste, geht Ende August in Pension
Er prägte die Abteilung. Und er wird respektiert als Spezialist über die Ortsgrenzen hinaus. Nun geht Urs Spillmann in Frühpension. «Ich hatte eine spannende Zeit in Wohlen», sagt der abtretende Leiter Soziale Dienste.
Daniel Marti
«In diesem Job», sagt er, «muss man die Menschen gern haben.» Und gleichzeitig verfolgt Urs Spillmann eine klare Linie: fördern und fordern. Mit dieser Einstellung hat er die Leitung der Sozialen Dienste der Gemeinde Wohlen wahrgenommen. Und ziemlich viele Facetten von Menschen, die um ihre Existenz kämpfen, kennengelernt. Schicksale gehören zu diesem Beruf wie auch Menschen, die Schlupflöcher im System ausnützen. Und es gibt auch viel Dankbarkeit, wenn die Sozialen Dienste Menschen aus einer Krise geführt haben.
Das alles nimmt Urs Spillmann mit, wenn er am 26. August seine Frühpension antreten wird. Mit 63, genau an seinem Geburtstag, geht er einen neuen Lebensabschnitt an. Und er wird gute Erinnerungen an die Gemeinde Wohlen und die Gemeindeverwaltung in den Ruhestand mitnehmen.
Guter Einstieg dank kompetenten Gemeinderäten
«Ich hatte hier eine gute Zeit», bilanziert er über die letzten dreizehneinhalb Jahre, «es war auch eine spannende Zeit.» Noch heute ist er dankbar, dass sein Start im März 2007 so reibungslos war. «Ich hatte mit Vizeammann Harold Külling damals einen kompetenten Ressortvorsteher. Und Walter Dubler war als Gemeindeammann stets für mich und das Personal präsent.» Ein gutes Führungsduo habe ihm den Beginn auf der Gemeindeverwaltung Wohlen erleichtert.
Gekommen ist Urs Spillmann von der Stadt Brugg zur Gemeinde Wohlen. In Brugg war er zweimal, zuerst bei den Sozialen Diensten, dann bei der Einwohnerkontrolle. Dazwischen war er für den Kanton Aargau als Sektionsleiter Asyl tätig. Er wollte zurück in die Nähe der Menschen, darum bewarb er sich in Wohlen. Weiter pflegte er gute Kontakte zum damaligen Sozialdienstleister Peter Joller, bis zu dessen Pensionierung 2019 sein Stellvertreter der Sozialen Dienste Wohlen blieb. «Die Gemeinde Wohlen als viertgrösste Gemeinde des Kantons und seine gesellschaftliche Durchmischung haben ihren Reiz.»
Rund um die Sozialen Dienste gibt es Stabilität im Team und hohe Akzeptanz bei den politischen Vertretern. «Das ist für Wohlen eine gute Geschichte», bilanziert er. Ein schönes Stück von dieser Erfolgsstory darf Spillmann für sich beanspruchen.
Der ideale Zeitpunkt
Die meisten Arbeiten sind erledigt oder auf einem guten Stand – bis auf zwei politische Vorstösse, die nicht abgeschrieben werden konnten (siehe separater Artikel). Der 63-Jährige hätte da gerne einen reinen Tisch hinterlassen. Trotzdem: Der Zeitpunkt für den Abschied erscheint ihm ideal. Zwei Mitarbeitende gehen ebenfalls in Pension, und es braucht wohl eine Aufstockung der Ressourcen und mehr Arbeitsplätze. Diesen Übergang soll sein Nachfolger regeln, nach seinen Vorstellungen. Jetzt macht Urs Spillmann seinen Job noch mit grosser Freude. Und man soll gehen, solange dies der Fall ist.
Im «Unruhestand», wie er sagt, wird es ihm bestimmt nicht langweilig. Verschiedene Gemeinden fragten ihn bereits an, ob er als Springer für sie tätig sein wolle, um Engpässe zu meistern. Diese Angebote schaut er sich gerne genau an. Dann möchte er – sobald unbeschwertes Reisen wieder möglich ist – per Wohnmobil in die grosse weite Welt hinaus. Und nebenbei im eigenen Wald tätig sein.
Mit Sozialkommission näher bei den Menschen
Dreizehn Jahre als Abteilungsleiter der Sozialen Dienste, das ist eine lange Zeit. Eine grosse Veränderung gab es dabei vor zweieinhalb Jahren mit der Verwaltungsreform. Spillmann stieg in die Geschäftsleitung auf. «Ich habe diese Herausforderung nicht gesucht, diese Doppelbelastung ging an die Substanz», sagt er. Und sein Nachfolger als Geschäftsleitungsmitglied seit Anfang Jahr, Flurin Burkard, mache seine Sache sehr gut.
Aber Spillmann macht kein Geheimnis daraus, dass er mit der Organisation vor der Reform durchaus leben konnte. «Damals hatte ich eine Sozialkommission zur Seite, die Parteien waren eingebunden, und die Kommissionsmitglieder kannten oftmals die Umstände um die Antragsstellenden und boten dadurch wertvolle ergänzende Informationen zur optimalen Lösung.»
Mit der Verwaltungsreform ist die Kompetenz an die jeweiligen Bereiche und das Führungsgespann Ressortvorsteher/Bereichsleiter im Tandemsystem übergegangen. Eine spannende Entwicklung mit sehr viel Verantwortung und Kompetenzen, indem eine klare Abtrennung von strategischer Ebene und operativer Ebene, mit dem Bindeglied der fünfköpfigen Geschäftsleitung entstand.
Als Leiter Soziale Dienste bewegt man sich auch in einem ewigen Spannungsfeld. Man ist Retter oder braucht eine dicke Haut. «Die muss man tatsächlich haben», bestätigt er. Gegenüber der Politik müsse man sich oftmals rechtfertigen, «ob die Ausgaben vertretbar sind». Und dann herrsche oft die allgemeine Meinung vor: Die Sozialen Dienste geben nur Geld aus und kosten selber zu viel.
Drei Erfolgsstorys
Dieser Meinung gilt es entgegenzutreten. Die vielfältige materielle und immaterielle Hilfe seiner Abteilung soll «zur Krisenbewältigung der Bewohner von Wohlen einfliessen». Wenn jemand Sozialhilfe bezieht, dann sei das nicht eine Lohnzahlung. Dieses Geld werde mit Auflagen investiert. Ziel sei es, die Sozialhilfeempfänger wieder in den Arbeitsmarkt zu führen und zu integrieren. Gelingt das, erhöht das die Chancen auf ein geregeltes Leben schlagartig. Und in solchen Fällen fühlen sich Spillmann und sein Team «schon ein bisschen als Retter».
Wohl verstanden, Sozialhilfe ist nur geborgtes Geld. Und muss zurückerstattet werden. Wobei die Rückforderung möglich ist, wenn die Klienten gefestigt ihren erweiterten Existenzbedarf selbstständig bestreiten können. «Leider bewegen sich viele ehemalige Klienten nach dem Abschluss der Sozialhilfe knapp über der Armutsgrenze.» Spillmann hat deshalb schon «viele schwerwiegende, tragische Fälle» nahe miterlebt. Solche Schicksale nimmt er dann auch in Gedanken mit nach Hause.
Es gibt auch sehr positive Erfahrungen, die er nicht missen möchte. Vom Verein Lernwerk Turgi hat er so schon mehrere Arbeitssuchende als Praktikanten in die Administration der Sozialen Dienst aufgenommen und nach dem Praktikumseinsatz in den ersten Arbeitsmarkt überführen können. Darauf sei er stolz, sagt Spillmann. Die im Jahr 2016 vom Gemeinderat angemietete Notunterkunft an der Jurastrasse sei eine Unterstützung für die Sozialen Dienste und verhindert teure Hotelunterbringungen. Ein Zivildienstleistender führt mittlerweile diese Unterkunft und sorgt für Ordnung und Tagesbeschäftigung der «Gestrandeten». Und die Zusammenarbeit mit einem Jobcoach, der in der Wirtschaft vernetzt ist und Arbeitsfähige in den Arbeitsmarkt zurückführt, hat sich bewährt.
«Das wäre Kaffeesatzlesen»
Aber grundsätzlich habe «die Komplexität der einzelnen Fälle in der Sozialarbeit zugenommen». Nicht zuletzt wegen der zu integrierenden Flüchtlinge und Familiennachzüge. Andererseits gibt es in Wohlen weniger sogenannte «Hotspots» als auch schon. «Dank diversen Neubauten reduziert sich in Wohlen der günstige Wohnraum. Das ist positiv», so Spillmann. Aber in diversen Quartieren seien die Vermieter nur auf hohe Rendite aus. «Und darum zahlen wir bei der Sozialhilfe die Miete nicht direkt an die Vermieter.» Dies habe sich bewährt, «auch wenn die Vermieter lieber die Gemeinde als verlässlichen Mietleister hätten.»
Gibt es bei den Sozialen Diensten Indizien, Fakten oder Kennzahlen, wie gut es einer Gemeinde geht? «Das wäre Kaffeesatzlesen», antwortet Spillmann. Wohlen habe strukturbedingt verhältnismässig hohe Ausgaben im Sozialhilfebereich. «Natürlich versuchen wir Gegensteuer zu geben. So zahlen wir nur das Notwendigste nach den Richtlinien des Sozialhilfeund Präventionsgesetzes des Kantons Aargau und nicht das Wünschbare.» Genau bei solchen Fragestellungen von Pro und Kontra sei die frühere Sozialkommission «äusserst wertvoll gewesen. Mit der Verwaltungsreform werden die Fallstellungen intensiv in Teamsitzungen bearbeitet, woraus sich eine einheitliche, wirkungsvolle Regelung innerhalb des Sozialdienstes ergibt.»
Dass die Gemeinde Wohlen nie Geldreserven hat, liegt laut Spillmann nicht bloss an seiner Abteilung. «Wohlen hat ein Einnahme- und ein Strukturproblem.» Mit dem eingeschlagenen Weg, alten und günstigen Wohnraum durch Neubauten zu ersetzen, «ist Wohlen wohl auf dem richtigen Weg», glaubt er. «Das sind Aufstrebungstendenzen, und die werden in der Zukunft einiges verbessern.» Diesen Weg der Gemeinde Wohlen wird Urs Spillmann künftig aus Distanz verfolgen. Sehr interessiert sogar. «Denn Wohlen bietet alles für Arbeit, Einkauf, Freizeit und eine gute Bahn- und Busanbindung und alle sozialen Institutionen.» Und dass die Menschen gerne hier wohnen, das versteht er nur zu gut.
Mit Argumenten überzeugen
Soziale Dienste: Zwei Vorstösse sind noch hängig
Das Tagesgeschäft ist bei den Sozialen Diensten einer Gemeinde natürlich nie zu Ende, es ist ein ständiger Prozess. Aber politische Angelegenheiten wie Vorstösse haben meistens ihre Fristen. Und zwei Angelegenheiten muss der scheidende Abteilungsleiter Urs Spillmann unerledigt zurücklassen. Dies sind ein Postulat von September 2014 und eine Anfrage von Juni 2019. Eigentlich müssten beide innert Jahresfrist erledigt sein.
Beide Vorstösse stammen aus der Feder von CVP-Präsident Harry Lütolf. Beim Postulat, das nun seit sechs Jahren pendent ist, geht es um punktuelle Massnahmen im Bereich der Sozialhilfe. Es geht um unentgeltliche Teilnahme von Sozialhilfebezügern an gemeinnützigen Einsätzen, um die Begleitung durch eine Integrationsfachstelle und um gemeindeeigene Notunterkünfte. Bei der Anfrage geht es um drei Fragen: Rückerstattungen, materielle Hilfe und es geht um den Handlungsbedarf, um die Quote der Rückforderungen zu steigern.
Er schätze es, wenn die Arbeit der Sozialen Dienste hinterfragt werde, sagt dazu Spillmann. Darum hat er postwendend nach der jeweiligen Überweisung durch den Einwohnerrat die Fragen der Vorstösse aufbereitet und dem Gemeinderat weitergeleitet. Gewiss habe sich die Situation bei den Themen des Vorstosses aus dem Jahr 2014 verändert, deshalb habe er in der Zwischenzeit seinen Bericht auch überarbeitet. Beide Vorstösse bedürfen der politischen Würdigung und sind also auf dem Tisch des Gemeinderates.
«Natürlich wäre es schön gewesen, wenn beide Vorstösse erledigt wären», sagt Spillmann. Er habe stets versucht, politische Angelegenheiten so rasch wie möglich abzuwickeln. Dass diese beiden Geschäfte nun nach seiner Zeit in Wohlen aufgearbeitet werden, sei nicht nur schade, sondern irgendwie persönlich unbefriedigend. Es habe öfters politische Feedbacks zu seiner Arbeit gegeben, so Spillmann weiter, «und ich hatte stets das Gefühl, die Leute mit den Leistungen und Argumenten überzeugen zu können». --dm



