«Frauen können das auch»
07.08.2020 WohlenSommerserie «Starke Frauen»: Marianne Piffaretti packt nicht nur in der Sumy-Hilfe mit an
Die Liste der Funktionen und Ämter, welche sie ausgeübt oder noch immer innehat, ist lang. Doch die Aufzählung langweilt sie. «Ich tue einfach das, was ...
Sommerserie «Starke Frauen»: Marianne Piffaretti packt nicht nur in der Sumy-Hilfe mit an
Die Liste der Funktionen und Ämter, welche sie ausgeübt oder noch immer innehat, ist lang. Doch die Aufzählung langweilt sie. «Ich tue einfach das, was nötig ist», sagt sie von sich selber. Das hat ihr inzwischen das Bürgerrecht einer ukrainischen Stadt eingebracht.
Chregi Hansen
Irgendwie ist es ihr gar nicht recht. «Hebt mich einfach nicht auf einen Sockel», so ihre Bitte gleich zu Beginn des Gesprächs. Und die vielen Stationen ihres Lebens hat sie zwar präsent, aber sie jetzt aufzählen, das möchte sie nicht. «Ich bin noch nicht gestorben, ich brauche keinen Nachruf», sagt Marianne Piffaretti.
Darum nur die wichtigsten Etappen eines aussergewöhnlich grossen Engagements. Piffaretti war Mitglied und Präsidentin der Schulpflege, Mitglied im Gemeinderat und im Grossrat, sie war aktiv in den Schulkommissionen von Kanti und bbz freiamt. Und sie ist heute noch Präsidentin des Trägervereins des Bifang und von Help-Point Sumy. Geplant war dieser Weg nicht – er hat sich so ergeben. «Ich kann vermutlich schlecht Nein sagen», lacht sie. Vor allem dann nicht, wenn es darum geht, anderen zu helfen. Zum Beispiel den Menschen in der Ukraine.
Nicht alles gefallen lassen
Seit 15 Jahren gibt es den Help-Point Sumy inzwischen. Zweimal pro Jahr macht sich ein Konvoi mit Hilfsgütern auf den Weg in die ukrainische Stadt. Allein im letzten Jahr waren es 16 Container mit total rund 152 Tonnen Material. Davon profitieren Spitäler, Heime, Schulen, Kindergärten, Feuerwehr und Ambulanz in einer Region, welche als «Armenhaus» des osteuropäischen Landes gilt. «Ich bin gerne da, aber es ist auch immer sehr bedrückend», sagt Piffaretti.
Marianne Piffaretti selber ist vierbis fünfmal im Jahr vor Ort und schaut zu, dass die Verteilung klappt. Und alles da ankommt, wo es soll. Nichts einfach verschwindet. «Sie nennen mich zum Teil die eiserne Lady, weil ich ab und zu auf bestimmte Sachen beharre», erklärt sie. Und erzählt die Geschichte, als sie den Standort eines gelieferten Feuerwehrautos kontrollieren wollte, ihr aber der Zutritt verwehrt wurde. Das sei militärisches Gebiet, hiess es. Die Wohlerin traf sich mit den Verantwortlichen vor Ort und machte deutlich, dass sie sich das nicht gefallen lasse, und drohte, die Presse einzuladen und das Hilfsprojekt zu beenden. Kurze Zeit später fuhr das frisch geputzte Auto vor dem Hotel vor, begleitet von vielen Feuerwehrleuten in Uniform. Die Sache war geregelt. «Aber ganz ehrlich, ich hätte das durchgezogen», fügt sie an.
Das Aushängeschild des Help-Points
Bei ihrem Hilfseinsatz in Sumy trifft die Freiämterin auf eine von Männern dominierte Kultur. «In den meisten Sitzungen bin ich die einzige Frau», berichtet sie. Mit Ausnahme der Dolmetscherin. Und die tut sich manchmal schwer, Piffarettis Voten zu übersetzen. So redet man doch nicht als Frau in einer Männerrunde. Inzwischen ist sie längst akzeptiert, denn die Menschen in Sumy wissen: Ohne die Präsidentin keine Lieferungen mehr. «Vermutlich haben sie mir darum das Bürgerrecht von Sumy verliehen. Damit ich mich verpflichtet fühle, weiter zu helfen.» Und sie fühlt sich verpflichtet. Allerdings nicht der Stadt oder den Politikern gegenüber. Sondern den Menschen. «Ihnen geht es zum Teil so schlecht und uns so gut. Da kann ich doch nicht die Augen verschliessen davor. Wenn ich eine Möglichkeit sehe zu helfen, dann tue ich das.»
Marianne Piffaretti ist das Aushängeschild des Help-Points. Sie hält das Projekt am Laufen. Sie wird in Sumy geehrt. Sie hält Ansprachen. Wird bei Übergaben fotografiert. Dabei steht sie gar nicht so gerne im Zentrum. «Ein solches Hilfsprojekt funktioniert nur als Team. Die Arbeit des Helfers, der die Waren in der Schweiz in den Lastwagen packt, ist genau so wichtig wie meine», betont sie. Und beladen wären die Container wieder, acht an der Zahl. Wegen Corona ist die Lieferung im September aber unsicher – und inzwischen ist sie abgesagt. «Unsere Fahrer würden gerne starten. Aber wir haben auch eine Verantwortung als Verein», sagt Piffaretti.
Konsequent den Weg gehen
Die Menschen in Sumy, sie lassen Piffaretti nicht los. Selbst während ihres Spitalaufenthaltes wegen einer Operation liest sie Briefe und Akten, führt Korrespondenz, hält sich auf dem Laufenden. «Das ist meine Art. Ich will einen Beitrag leisten für die Gesellschaft», sagt sie. Aber sie will ihren Anteil nicht höher gewichten. «Jeder trägt etwas bei. Die einen in der Familie, die anderen im Beruf, wieder andere in der Politik oder in Projekten», sagt sie. Dabei geht sie ihren Weg stets konsequent. So bezahlt sie ihre Aufenthalte in der Ukraine stets selber, will nicht in irgendwelche Abhängigkeiten geraten.
Sie hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in verschiedenen Funktionen und Ämtern engagiert. Oft als einzige Frau. Die Geschlechterfrage hat sie aber nie gross interessiert. «Es hat sicher den einen oder anderen gegeben, der sich gefragt hat, ob ich das als Frau kann», weiss sie. Aber das habe sie nur noch mehr motiviert. «Ich bin eine Kämpferin. Natürlich kann eine Frau das. Eine Frau macht vielleicht gewisse Dinge anders. Aber am Schluss kommt es auch gut.» Und überhaupt: Kein Mensch könne alles. Aber jeder Mensch kann dazulernen.
Und doch sieht Marianne Piffaretti einen Unterschied zwischen Mann und Frau. «Ich glaube, wir Frauen können eher zu Fehlern stehen», sagt sie. Dabei sei doch niemand perfekt und gehören Fehler zum Leben. Und aus diesen könne man lernen. «Ich habe sicher nicht alles richtig gemacht. Aber wenn ich zu etwas Ja gesagt habe, dann habe ich immer mein Bestes gegeben.» Und darum freut sie sich, dass sie in ganz verschiedenen Bereichen mitwirken konnte und kann. Die Sanierung des Bifang beispielsweise findet sie sehr gelungen.
Die guten Erinnerungen bleiben
Aber: Solche Ämter und Funktionen sind nicht einfach nur schön, sie bringen auch Arbeit und heftige Diskussionen mit sich, fügt sie an. Und manchmal müsse man auch Niederlagen einstecken. Auch davor war sie nicht gefeit. Wichtig sei, Konflikte und Diskussionen so zu führen, dass am Schluss niemand das Gesicht verliere. Das gelte vor allem in einer Kultur wie in Sumy. «Man muss wissen, wie die Leute denken», sagt sie.
Unter dem Strich bleiben aber die guten Erfahrungen. Und dann kann es kommen wie beim Bifang. Ursprünglich als Vertreterin des Gemeinderates im Vorstand gefiel ihr die Arbeit so gut, dass sie sich auch nach ihrer Politzeit weiter engagierte. «Denn zu Hause hocken und stricken, das ist nichts für mich», lacht sie.