Schwieriger Spagat
26.05.2020 HägglingenNeues vom Kindergartenprojekt von Marielle Furter in Senegal
Auch wenn Senegal bisher wenig Fälle kennt, hat Corona den Alltag stark beeinfusst. Die Freiämterin musste ihre Kindergärten von einem Tag auf den anderen schliessen. Auch der geplante Urlaub zu ...
Neues vom Kindergartenprojekt von Marielle Furter in Senegal
Auch wenn Senegal bisher wenig Fälle kennt, hat Corona den Alltag stark beeinfusst. Die Freiämterin musste ihre Kindergärten von einem Tag auf den anderen schliessen. Auch der geplante Urlaub zu Hause fällt ins Wasser. Immerhin: Die Bauarbeiten laufen weiter.
Chregi Hansen
Marielle Furter hat genug zu tun. Ihr Kindergartenprojekt in Senegal hält sie weiter auf Trab. Und doch: Sie vermisst «ihre» Kinder. «In Senegal gelten Coronamassnahmen jeweils per sofort. Am Abend wurde per Radio bekannt gegeben, dass man zu Hause bleiben soll, am nächsten Tag waren die Kindergärten schon geschlossen», berichtet sie. Sich persönlich zu verabschieden oder den Kindern zu erklären, was gerade passiert, diese Zeit blieb nicht mehr. «Ja, die Kinder fehlen mir sehr», gibt die Hägglingerin zu.
Seit vielen Jahren engagiert sich die Kindergärtnerin in Afrika. Mit ihrem Verein «Kindergardens4Senegal» unterstützt sie den Aufbau und die Inbetriebsetzung von Kindergärten für Kinder aus benachteiligten Regionen. Der Unterbruch trifft sie doppelt. Nicht nur, dass die Kinder zu Hause bleiben müssen, auch die Weiterbildung ist vorerst auf Eis gelegt. «Das ist sehr schade, denn der Aufbau für einen vielseitigen Unterricht begann endlich zu fruchten», sagt die Freiämterin. Davon betroffen ist die Weiterbildung im Bereich «Spielmaterial» in mehreren Kindergärten, das Verteilen von Spielsachen sowie ihr neues Programm «Zahnprophylaxe im Kindergarten», das sie mit gespendeten Zahnbürsten und -paste für Kinder lanciert hat.
Drei neue Klassenräume geplant
Immerhin einen Lichtblick gibt es für Marielle Furter. Die Bauarbeiten können trotz Corona weiterlaufen. «Im März herrschte noch eine grosse Unsicherheit. Wir waren einerseits nicht sicher, ob wir weiterarbeiten dürfen, andererseits ob überhaupt noch Baumaterial transportiert und für uns erhältlich sein wird», erzählt sie. Es gab zwar Verzögerungen, aber es wurde geliefert, dank guter Planung konnte ein Baustopp vermieden werden. Die Sicherheit der Mitarbeiter ist ihr aber sehr wichtig. «Bei uns auf der Baustelle habe ich mich bemüht, die Arbeiter über Corona zu informieren. Wasser und Seife werden benutzt und auch die Maskenpficht wird recht gut eingehalten.»
Wie geplant konnte im Januar mit den Bauarbeiten bei den bestehenden Kindergärten in Sédhiou begonnen werden. Angefangen wurde mit zwei neuen Toiletten. «Die Verhältnisse der Toiletten sind oft sehr dürftig und Erneuerungen wichtig. Mit diesen zwei Neubauten erlebten wir einen sanften Einstieg in eine weitere Bauphase, welche uns aktuell zu einem ganzen Kindergarten-Komplex geführt hat», freut sich Furter. Die betreffende Vorschule mit drei Klassen bestand bisher aus einem Klassenraum.
Jetzt wurde entschieden, zwei weitere Klassenzimmer und eine Toilette zu bauen. «Es ist ein wunderbares Gefühl, damit die zwei weiteren Klassen aus dem kleinen und dunklen Provisorium zu befreien», so die Projektleiterin weiter. Der erste Klassenraum ist inzwischen für die Kinder bereit. Vorerst aber wird er nicht benutzt. «Die Regierung in Senegal hat beschlossen, dass die Schulen geschlossen bleiben bis zum Start des neuen Schuljahres im Oktober. Es bleibt mir nur, alle meine weiteren Vorhaben ebenfalls auf das nächste Schuljahr zu schieben», sagt Furter. Auch ein geplanter Heimaturlaub fällt ins Wasser, ihr Flug wurde gecancelt. Furter nutzt die Zeit, um die Bälle, die eigentlich für ihre Weiterbildungskurse gedacht waren, an die Kinder zu verteilen, «damit sie wenigstens etwas zu spielen haben». Dass diese zu Hause sind, das kann sie nicht nachvollziehen. Im Kindergarten selber wird auf Hygiene geachtet, zu Hause wohnen sie in Grossfamilien auf ganz engem Raum. Zudem werden auf dem Land die angeordneten Massnahmen nur beschränkt befolgt (siehe Artikel unten).
Zeit, um Bilanz zu ziehen
Marielle Furter nutzt die Pause aber auch, um Bilanz zu ziehen. Sie spricht dabei von einem schwierigen Spagat, den es zu meistern gilt. «Grundsätzlich freut es mich sehr, dass ich mit Neubauten vielen Kindern den Besuch eines Kindergartens ermöglichen kann. Ich muss aber auch feststellen, dass ein doch recht grosser Teil der Bevölkerung sich wenig bewusst ist, wie wichtig Bildung und Erziehung ist», sagt sie.
Auch muss Marielle Furter feststellen, dass die Ausbildung vieler Lehrpersonen sehr kurz und knapp ist. So hängt viel vom Engagement und Herz der Kindergärtnerin ab, wie sie mit den Kindern umgeht und welches Interesse sie daran zeigt, dass die Kinder sich mit Freude und Vielfalt entwickeln können. «Sie freuen sich zwar darüber, dank unserem Engagement einen schönen Kindergarten präsentieren zu können, sehen jedoch weniger die vielen neuen Möglichkeiten, die Kinder darin besser zu fördern», macht die Freiämterin deutlich.
Unterschiedliche Werte
Sie möchte sich darum noch mehr im pädagogischen Bereich einsetzen, was auch von den Inspektoren im Land begrüsst wird. Andererseits fndet sie es wichtig, die Menschen vor Ort in ihr Projekt einzubeziehen, etwa beim Bau der neuen Kindergärten. «Wir erhoffen uns dadurch so manches Gespräch, einen Austausch zum gegenseitigen Verständnis. Doch müssen sowohl mein einheimischer Projektpartner, Elhadji Mamadou Dieme, wie auch ich immer wieder feststellen, wie schwierig es ist, Schulverantwortliche und Eltern zu motivieren», so Furter. Sie glaubt, dass dies daran liegt, dass der Unterschied zwischen dem Standpunkt der ländlichen Bevölkerung Senegals und ihren Vorstellungen zu gross ist. «Auch wenn ich von Anfang an bemüht war, die Bildung ihrem Wesen und ihrer Kultur anzupassen, zwischen unseren und ihren Vorstellungen liegen Welten. Das war mir vorher nicht so sehr bewusst.»
Sie müsse manchmal schon aufpassen, dass sie es ihnen nicht übel nehme und ihr Interesse hinterfrage, gibt sie zu. «Ich möchte den Menschen hier weder etwas aufzwingen noch sie verändern oder gar ihnen unsere Vorstellungen vermitteln», hält die Kindergärtnerin fest. Und sie verweist auf die Geschichte des Landes. «Die Franzosen haben eine moderne Welt gebracht, wo die Einheimischen Schuhe putzen durften, Wäsche waschen und Ähnliches. Irgendwann wurden die Senegalesen ‹frei›. Die alte Lebensweise war zerstört, mit der modernen Welt kommen sie schwer zurecht, denn diese hat ihnen niemand erklärt.»
Land noch besser kennenlernen
Ihre Hoffnung liegt bei den Kindern. «Bei ihnen kann ich feststellen, dass es kaum einen Unterschied gibt zu den Kindern in der Schweiz. Nur dass sie mit wenig Kenntnissen von zu Hause in den Kindergarten kommen. Ansonsten sind sie genauso intelligent und wissensgierig. Sie sind bereit, zeigen Interesse, Neugier und sind schnell zu begeistern.» Diese Freude und die Entwicklung, welche sie bei den Kindern beobachten kann, bestärken die Freiämterin, sich weiterhin für Kindergärten im Senegal einzusetzen. Neben den Neubauten auch in der Weiterbildung.
Wenn die Coronakrise vorbei ist, möchte Marielle Furter etwas mehr im Senegal reisen, um sich ein besseres Bild von Land und Leuten, aber auch von anderen Projekten machen zu können. «Ich bin gespannt, den Norden besser kennenzulernen, da ich öfters vernommen habe, dass es dort einfacher wäre», sagt sie. Vorerst aber gilt es abzuwarten, wann Reisen wieder möglich sind. Und die Zeit zu nutzen, um die Bauarbeiten zum Abschluss zu bringen. Denn ihr Engagement in Senegal ist noch lange nicht zu Ende.
Bisher weitgehend verschont geblieben
Marielle Furter über die Coronasituation in Senegal
Auch in Senegal ist das Virus im Moment das Hauptthema. «Radio und Fernsehen berichten von früh bis spät darüber», sagt Marielle Furter. Anweisungen an die Bevölkerung gibt es jeweils direkt von Präsident Macky Sall. «Die Massnahmen sind zum Teil noch viel drastischer als in der Schweiz. Es gibt eine Nachtausgangssperre von 20 bis 6 Uhr, der öffentliche Verkehr ist eingestellt, niemand darf den Ort verlassen. Und das seit über zwei Monaten», berichtet Furter. Allerdings: Viele Regeln, gerade im Bereich der Hygiene, werden nur wenig beachtet oder nur dann, wenn Polizisten oder die Securitas in der Nähe sind. Wenn diese Kontrolle wegfällt, wird auch nichts mehr befolgt. Hände werden geschüttelt, das Atailla-Glas für das rituelle Teetrinken kreist in der Männergruppe, Kinder haben schulfrei, treffen sich jedoch an jeder Ecke.
Abstand schwer einzuhalten
Vor den öffentlichen Geschäften dekoriert zwar ein Wasserbehälter mit Seife den Eingang. Hände gewaschen wird jedoch kaum. «Ein Grossteil der Bevölkerung hier nimmt die Krankheit nicht wirklich ernst. Umgekehrt gibt es eine Anzahl Leute, welche eher Panik haben. Die Bevölkerung in Dakar und anderen grossen Städten hat grundsätzlich weit mehr Befürchtungen», hat die Freiämterin festgestellt. Sie selber fürchtet sich wenig. Nur gerade am Anfang, als es die ersten Fälle in Senegal gab, machte sie sich Sorgen. Doch der grosse Ausbruch blieb aus. «Seit der ersten Registrierung eines Corona-Erkrankten Anfang März wurden insgesamt nur rund 600 Personen «positiv» getestet, die meisten davon sind aus Europa eingereist. Inzwischen wurden neun Todesfälle bekannt», berichtet Furter. Seit letzter Woche wurden auch in der Kleinstadt Sédhiou, in der sie lebt, einige Personen mit Coronavirus gemeldet, grundsätzlich gebe es jedoch erstaunlich wenig Ansteckungen. Mit derselben Ansteckungsrate wie in Europa wäre es hier eine einzige Katastrophe», sagt sie.
Dies umso mehr, als die Abstandsregeln nicht einzuhalten sind. Um die 20 Personen leben im gleichen Haushalt, fünf bis zehn Kinder schlafen auf einer Matratze, oft gibt es eine Schüssel für alle, ohne Besteck, ein Teeglas wird untereinander weitergegeben. «Jeder muss zur Arbeit, denn wer kein Geld verdient, hat auch keinen Reis. Vorräte kann sich hier kaum jemand leisten», berichtet die Schweizerin. «Darum können wir uns hier glücklich schätzen, dass sich die Ausbreitung bis jetzt in Grenzen hält.» --chh




