Ein Ton weniger
15.05.2020 BremgartenHeinz Wettstein schliesst nach über 20 Jahren sein Musikgeschäft an der Marktgasse
Nein, nicht Corona-bedingt: Aus Altersgründen beendet Heinz Wettstein seine Geschäftstätigkeit in der Bremgarter Altstadt. Bis 30. Juni ist der Laden noch offiziell ...
Heinz Wettstein schliesst nach über 20 Jahren sein Musikgeschäft an der Marktgasse
Nein, nicht Corona-bedingt: Aus Altersgründen beendet Heinz Wettstein seine Geschäftstätigkeit in der Bremgarter Altstadt. Bis 30. Juni ist der Laden noch offiziell geöffnet, danach gibt es noch einen Räumungsverkauf.
André Widmer
An der Wand im hinteren Teil des Musikgeschäftes hängen Fotos von Louis Armstrong, Buck Clayton und Ben Webster sowie Dizzy Gillespie. Es sind die ganz Grossen der Swing- und Jazzszene. Eines wird klar: Die Trompete ist Heinz Wettsteins grosse musikalische Liebe. Seit 1996 führt Heinz Wettstein an der Marktgasse 10 in der Bremgarter Altstadt das Fachgeschäft Musik Wettstein. Mittlerweile tut er dies schon weit über das eigentliche Pensionsalter hinaus, denn Wettstein ist heuer 78-jährig. Nicht Corona-bedingt, wie er erklärt, beendet er nun seine Geschäftstätigkeit: «Ich habe vor einem Jahr den Entschluss gefasst, 2020 zu schliessen.» Noch bis am 30. Juni ist das Geschäft offiziell geöffnet, danach folgt den Sommer hindurch bis etwa Mitte September ein Räumungsverkauf. Ein Geschäft aus einer anderen Branche wird das Ladenlokal übernehmen.
Die Zeit der Tanzorchester
Der 1942 geborene Heinz Wettstein kam schon in jungen Jahren mit Musik in Berührung. «Meine Mutter spielte sehr gut Klavier, in unserem Haus ist viel Musik gespielt worden.» Wettstein begeisterte sich indes früh für die Trompete, denn in seinen Jugendjahren waren Swing, Rock ’n’ Roll und Jazz gross angesagt. Damals und auch etwas später, bis in die 60erund 70er-Jahre hinein, waren Tanzund Begleitorchester en vogue. Nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland eine ganz grosse Nummer war während vieler Jahre dabei das Hazy Osterwald Sextett. Ein Idol zu jener Zeit. In den TV-Shows traten Bigbands auf, auch Pepe Lienhard machte sich einen Namen. Heinz Wettstein tourte in jenen Jahren mit den «7 Berry’s», einem Tanzorchester, durch den Aargau und umliegende Kantone, insbesondere auch im Luzernischen, spielte Unterhaltungsmusik. Trompeten und Saxofone spielten quasi die erste Geige, als die Leute «zu Tanz» gingen. Es war die grosse Zeit der Livemusik, bevor dann in den 70er- und 80er-Jahren die Zeit der Diskjockeys und Plattenteller anbrach.
Passion zum Beruf gemacht
Beruflich absolvierte Heinz Wettstein bei der ABB eine vierjährige Lehre als Feinmechaniker. «Wenn man sowas gelernt hat, ist man handwerklich kaum zu überfordern», erklärter. Wohl auch deshalb traute er sich dann später auch die Reparatur von Instrumenten zu. 1996 machte er seine Musikpassion zum Beruf und eröffnete an der Marktgasse das Fachgeschäft Musik Wettstein. 15 Jahre lang unterrichtete Heinz Wettstein auch Trompete, unter anderem an der eigenen Musikschule. Im Untergeschoss des Geschäftes unterrichteten zudem Musiklehrer, so zum Beispiel Schlagzeug. Die Musik ist seiner Familie so oder so quasi in Fleisch und Blut übergegangen: Ein Neffe ist Berufsschlagzeuger, unterrichtete einst ebenfalls im Soussol.
Nicht nur das handwerkliche Know-how, auch die jahrzehntelange Erfahrung mit den «7 Berry’s» kam Heinz Wettstein beim Verkauf und der Reparatur zugute, konnte er sich doch ein grosses Fachwissen bezüglich Musikinstrumente und Zubehör – darunter Verstärker – aneignen.
Von Blasinstrumenten zu Gitarren
Das Reparaturgeschäft war ein wichtiges Standbein bei Musik Wettstein. Rund ein Drittel des Umsatzes generierte er damit. «Bei Instrumenten lohnt sich eine Reparatur», erklärt Heinz Wettstein. Ein gutes Instrument hat schliesslich seinen Preis und passt zu seinem Besitzer, das ersetzt man deshalb nicht in jedem Fall einfach so mir nichts, dir nichts. Seine berufliche Ausbildung als Feinmechaniker erlaubte es, viele Reparaturen in Bremgarten selber vornehmen zu können. «Ich konnte praktisch alle bedienen.» Bei Musik Wettstein ist und war eine breite Palette an Instrumenten zu haben, wobei der Fokus insbesondere auf Zupf- und Blasinstrumente liegt. So ist auch wenig verwunderlich, das nach wie vor eine grosse Auswahl an Gitarren im Ladenlokal vorhanden ist. Heinz Wettstein hat eine starke Verschiebung bei der Nachfrage weg von Blasinstrumenten wie Trompeten und Saxofonen hin zu Gitarren beobachtet. «Das merkt man auch an den Musikschulen», so Wettstein. Die Entwicklung des Musikgeschmackes der jungen Leute hat dies mit sich gebracht. So sind Singer-Songwriter derzeit hoch im Kurs, Blasinstrumente weniger. Und Keyboards sind kaum mehr gefragt, nun sind Digitalpianos angesagt.
Keinen Nachfolger gefunden
Heinz Wettstein hat für sein Musikfachgeschäft trotz anderthalbjähriger Suche keinen Nachfolger gefunden. Im Ladenlokal wird sich ab Herbst deshalb eine Firma aus einer anderen Branche einmieten. Insbesondere das Internet hat dem Musikfachhandel zugesetzt, deshalb hat sich die Zahl dieser spezialisierten Läden sukzessive reduziert in den letzten Jahren. Das Internet setze dem physischen Fachhandel vor Ort zu, lässt Wettstein durchblicken. Der Notenverkauf ist eingebrochen, weil sich vieles kostenlos aus dem Internet herunterladen lässt. Nicht nur für den Fachhandel ungut, sondern auch für die Komponisten, denen so die Tantiemen entgehen. Günstige Instrumente aus China, Vietnam, Korea und Indonesien schwemmen den Markt und lassen sich online bestellen. Für Heinz Wettstein geht bei einem qualitativen Kauf indes aber nichts über den Besuch im Fachgeschäft, wie er verstehen lässt: «Eine Gitarre will man spüren, eine Trompete ausprobieren.»
Mit dem Ladenschluss von Musik Wettstein geht der Altstadt Bremgarten ein weiteres Fachgeschäft mit ganz eigenem Charme verloren. Ein Ton weniger ertönt so im Städtli sozusagen.
Heinz Wettstein will es in seiner nächsten Lebensphase nach der Pensionierung ruhig angehen. Aktiv Musik spielen wird er nicht mehr, doch die Musik wird ihm nicht abhandenkommen, Besuche in Jazzklubs will er wieder machen, wenn es die Bestimmungen aufgrund der Coronapandemie wieder zulassen. «Ich werde weiterhin an Konzerte gehen», verrät Heinz Wettstein.