Zurück zu den Wurzeln
28.04.2020 WohlenDie Wohler Compagnie Roikkuva kauft ein Zelt und geht im Sommer auf Tournee
Sie haben beide das Zirkusgen im Blut. Jetzt kehren Andreas Muntwyler und Ulla Tikka ins Zelt zurück. «Die Idee dazu haben wir schon länger», gesteht der Sohn des ...
Die Wohler Compagnie Roikkuva kauft ein Zelt und geht im Sommer auf Tournee
Sie haben beide das Zirkusgen im Blut. Jetzt kehren Andreas Muntwyler und Ulla Tikka ins Zelt zurück. «Die Idee dazu haben wir schon länger», gesteht der Sohn des «Monti»-Gründers. Die Corona-Wirren sollen ihre Pläne nicht stoppen – auch wenn es ungeahnte Probleme gibt.
Chregi Hansen
Das Zelt sollte eigentlich schon im März geliefert werden. Doch die Produktion in Italien steht komplett still. Die Premiere sollte eigentlich Ende Juli im Tessin über die Bühne gehen. Ausgerechnet also im Tessin – dieser Termin scheint heute mehr als unwahrscheinlich. Und doch – die Stimmung in der Compagnie Roikkuva ist alles andere als niedergeschlagen. «Wir brennen alle für das neue Projekt», sagt Andreas Muntwyler.
Der Sohn von Zirkusgründer Guido Muntwyler war viele Jahre lang mit dem Circus Monti unterwegs. Auch seine Lebensgefährtin Ulla Tikka hat eine Zirkuskarriere hinter sich. Trat ebenfalls im Monti auf. In den letzten 15 Jahren gingen die beiden aber eigene Wege, abseits des Zirkus. Haben diverse eigene Projekte entwickelt wie beispielsweise «PuuPääT», «inStallation» oder «ohne Louis» und haben sich an grösseren, auch internationalen Projekten beteiligt. Traten nicht mehr im Zelt, sondern auf Bühnen oder an Strassenfestivals auf.
In der Tradition des Wanderzirkus
Unterstützt wurden Muntwyler und Tikka dabei regelmässig von Musiker und Komponist Lukas Stäger und Produktionsleiter Michael Durrer. Im Jahr 2011 gründeten die vier Freunde die Compagnie Roikkuva. Und jetzt will das Quartett wieder etwas Neues wagen – für den Spätsommer ist eine kleine Zirkustour geplant. «Wir wollen wieder dahin, wo die Menschen sind. In die kleinen Ortschaften, mitten ins Dorf», erklärt Muntwyler. Zurück zu den Wurzeln sozusagen, ganz in der Tradition des Wanderzirkus. Aber mit den Mitteln der Moderne. Kein klassisches Nummernprogramm, sondern eine Mischung aus Tanz, Theater und Zirkus. «Wir waren beide lange in der Manege aktiv, wir wissen, worauf wir uns einlassen», sagt Ulla Tikka.
Und die Vorfreude ist riesig, trotz Corona-Wirren. «Wir sind zuversichtlich, dass wir dieses Jahr noch auf Tour gehen. Eventuell einfach später», sagt Durrer. Und er ist überzeugt: Nach dieser Zeit freuen sich viele auf etwas Abwechslung.
Sich einen Traum erfüllt
Neues Projekt und neue Tour für Wohler Compagnie Roikkuva
Erhält Wohlen einen zweiten Zirkus? Während das kulturelle Leben in der Schweiz fast komplett stillsteht, arbeitet die Compagnie an einem besonderen Höhepunkt. Im Sommer will sie mit dem Stück «Empire of Fools» auf Zirkus-Tour gehen. Noch aber fehlt das Zelt.
Chregi Hansen
2002 sagte das Seiltanz-Duo Andreas Muntwyler und Ulla Tikka dem Zirkusleben Adieu. Und realisiert seither alleine oder mit Freunden eigene künstlerische und artistische Projekte. Die beiden traten auf Kleinkunstbühnen auf. An Festivals. Im Wald. Auf öffentlichen Plätzen. «Aber die Idee, uns ein Zelt zu kaufen und mit einem Programm auf Tour zu gehen, die beschäftigt uns schon seit bald zehn Jahren», gesteht Andreas Muntwyler. «Letztes Jahr sagten wir uns: Jetzt oder nie! Denn wir werden schliesslich nicht jünger.»
Seit bald einem Jahr wird an der Umsetzung des Traums gefeilt. Dabei erhalten Tikka und Muntwyler wertvolle Unterstützung durch die Compagnie-Mitglieder Lukas Stäger und Michael Durrer. «Es gab sehr viele Sitzungen und Diskussionen. Ein eigenes Zelt kauft man nicht schnell nebenbei», berichtet Produktionsleiter Durrer.
Auch Musiker und Komponist Lukas Stäger bringt sich stark ein, obwohl er am ersten Stück im Zelt nur am Rand beteiligt ist. «Ich habe ein anderes Grossprojekt am Laufen, darum kann ich diesmal nicht persönlich dabei sein», bedauert er. Für ihn wird Musiker Samuel Messerli mit auf Tour gehen. Als weitere Verstärkung ist Artist Gerardo Tetilla dabei, den man aus früheren Produktionen von Roikkuva kennt.
Die eigene Situation in eine Tragikomödie packen
Mit drei Darstellern und einem Musiker sowie zwei Helfern im Hintergrund eine eigene Zirkustour zu gestalten, das ist keine einfache Aufgabe. «Wir wollten aber bewusst klein starten. Es ist ein Versuch», erklärt Ulla Tikka. Und genau diese Situation wird zum Thema im ersten Stück. «Empire of Fools» erzählt die Geschichte einer kleinen Zirkusgruppe, die gezwungen wird, sich anzupassen und sich zu verändern, um zu überleben. «Alle müssen überall mitanpacken, müssten gleichzeitig Tickets verkaufen, an der Bar bedienen, in der Manege stehen. Das führt zu Stress und Konflikten. Eigentlich ist das Team zu klein für das, was es leisten soll», erklärt Muntwyler das Konzept des Stückes. Immer mehr finden die Unstimmigkeiten auch Einzug in die Manege, verschwindet die Grenze zwischen der vor dem Vorhang stattfindenden Glitzerwelt und den Konflikten ausserhalb der Bühne.
«Noch sind wir in der Phase des Improvisierens, vieles ist erst am Entstehen», erklärt Tikka. Dazu dürfen sie das Winterquartier des Circus Monti nutzen, wofür sie sehr dankbar sind. Auch beim Kauf des Zeltes hat Andreas Bruder Johannes Muntwyler die Compagnie beraten. «Wir haben erst ganz viele Occasionszelte angeschaut, sind dafür durch halb Europa gefahren», erzählt Muntw yler schmunzelnd. Letztlich habe man sich entschieden, ein eigenes Zelt herstellen zu lassen. Und zwar aus der gleichen Fabrik, mit der der Circus Monti seit 35 Jahren zusammenarbeitet. «Ein eigenes Zelt hat den Vorteil, dass wir ganz viele eigene Ideen entwickelt konnten und unsere Philosophie eingeflossen ist», freut sich Tikka. «Wir haben genau das, was wir uns wünschen.»
Mehr Aufwand? Alles ist relativ
19 Meter beträgt der Durchmesser, zwei Masten tragen die Blachen. «Plötzlich mussten wir uns mit ganz neuen Themen beschäftigen. Wir brauchen Zugfahrzeuge, einen Anhänger. Und wir brauchen Freunde, die uns beim Auf- und Abbau helfen», sagt Muntwyler. Der Aufwand ist grösser als vorher, wo die beiden manchmal einfach mit dem VW-Bus an ein Festival fahren konnten. «Aber es hat auch Vorteile. Wir sind nicht mehr auf Engagements angewiesen, sondern können selber eine Tour planen», sagt Muntwyler. Und sie könnten an den einzelnen Standorten mehrmals spielen. «In den letzten Jahren sind wir manchmal für einen oder zwei Auftritte 1000 Kilometer hin- und wieder zurückgefahren. Das war auch nicht gerade entspannend», berichtet Tikka. Und jedes Mal musste das eigene Equipment wieder auf die Bedingungen vor Ort angepasst werden. Im eigenen Zelt ist dann alles perfekt vorbereitet.
Allerdings: Auf das neue Zelt muss die Compagnie noch länger warten. Denn die Produktion in Italien steht komplett still. Die Vorbereitung hingegen muss weitergehen. «Das Problem ist, dass wir nicht im Zelt proben können. Das wäre aber wichtig, um ein Gefühl zu entwickeln. Wir passen unsere Stücke stets dem Raum an», erklärt Tikka. Auf die Rückkehr in die Manege freut sie sich genauso wie ihr Partner. «Im Zirkus ist man einfach näher bei den Leuten, als wenn man auf einer Bühne steht», sagt Muntwyler. Er hat auch keine Angst, dass sie mit ihrer Tour Schiffbruch erleiden. Obwohl sich die Branche in der Schweiz schwertut. «Das gilt für den traditionellen Zirkus», sagt er. «Wir aber machen modernen Zirkus. Und wir fahren in die Orte, die heute meist ausgelassen werden von den anderen Unternehmen.»
Wieder ein Festival an der Sommerbar organisieren
So führt die erste Tournee nach Losone, Muri, Frauenfeld, Köniz, Unterägeri, Uster und Rheinfelden. Und natürlich nach Wohlen – wie schon im Vorjahr organisiert die Compagnie Roikkuva im Rahmen der Sommerbar das artistische Bühnenfestival Nousu, diesmal sogar an zwei Tagen. Noch ist allerdings unklar, ob sie auch ihr Zelt aufstellen oder ein anderes Programm zeigen. Wie so vieles anderes ist auch diese Planung Corona-bedingt schwierig. «Aber es wird sicher ein tolles Programm geben», ist Michael Durrer überzeugt, «denn ganz viele Artisten brennen nach dieser langen Zwangspause auf Auftritte. Hier bieten wir eine Nische an.»
Noch viele Pläne
Überhaupt: Im Zelt soll nicht nur das neue Stück zu sehen sein. «Wir können uns gut vorstellen, dass wir nachmittags jeweils ein Kinderprogramm anbieten und ab und zu auch ältere Stücke aufführen», sagt Muntwyler. Zudem soll das Zelt ausserhalb der Tour auch für andere Projekte genutzt werden, etwa für Workshops mit Schulen. Pläne haben die vier von der Compagnie einige, und durch das Virus lassen sie sich nicht bremsen. «Kreativität lässt sich nicht verschieben. Wir können nicht jetzt schon entscheiden, dass wir erst nächstes Jahr loslegen. Es braucht den Druck der Premiere», erklärt Tikka. Und auch der Produktionsleiter ist überzeugt, dass es noch dieses Jahr losgeht. «Vielleicht nicht Ende Juli im Tessin, aber dann eben erst im August oder September», so Durrer. Man habe ohnehin im ersten Jahr nur wenige Gastspiele geplant, sozusagen als Testlauf.
Trotz der grossen Vorfreude, das Coronavirus lässt natürlich auch die Compagnie nicht unberührt. «Alle anderen Auftritte und Workshops sind abgesagt», erzählt Muntwyler. Das hat auch finanzielle Folgen für die Compagnie. Umgekehrt haben die vier viel Zeit, sich auf ihr Herzensprojekt zu konzentrieren. Jetzt oder nie, so lautete die Frage vor einem Jahr. Sie haben sich für das Jetzt entschieden. Auch wenn das Jetzt noch etwas warten muss.