Virenfrei auf der Insel
15.04.2020 WohlenFreiämterin Sabrina Müller auf den Salomonen
Nur 15 Nationen weltweit haben noch keine Coronavirusfälle. Die Wohlerin Sabrina Müller ist in solch einem Land.
Vor einem Jahr machte sich die 35-Jährige auf die grosse Reise um die Erdkugel. Den Job hat ...
Freiämterin Sabrina Müller auf den Salomonen
Nur 15 Nationen weltweit haben noch keine Coronavirusfälle. Die Wohlerin Sabrina Müller ist in solch einem Land.
Vor einem Jahr machte sich die 35-Jährige auf die grosse Reise um die Erdkugel. Den Job hat sie gekündigt und auch ihre Wohnung in Waltenschwil, wo die Wohlerin zuletzt lebte. Nach 12 Monaten voller Eindrücke ist sie nun auf den Salomonen gelandet, einem Inselstaat im Südpazifik. Besonders: Dort hat es noch keinen bestätigten Coronavirusfall. Die Wohlerin steckt dort fest und erzählt von ihren Erlebnissen. --spr
Gefangen im Paradies
Die Wohlerin Sabrina Müller steckt auf den Salomonen fest
Die Weltreise ist abgebrochen. Die 35-jährige Sabrina Müller möchte nur noch nach Hause. Doch sie sitzt zwischen Mikronesien, Vanuatu und Papua-Neuguinea fest. Die Wohlerin wurde von der Botschaft auf eine Liste gesetzt und wartet auf den Salomonen, bis sie heimkehren kann. Derweil erzählt man sich dort Schauer-Gerüchte über das Coronavirus.
Stefan Sprenger
Die einen sagen «Busen der Natur», die anderen nennen es «Arsch der Welt». Auf jeden Fall ist Sabrina Müller gerade an so einem Ort. Die Salomonen im Südpazifik, 1000 Inseln, 600 000 Einwohner, Hauptstadt Honiara, Kontinent Ozeanien. Während des Zweiten Weltkrieges gab es dort blutige Auseinandersetzungen zwischen den USA und Japan. Die Temperaturen sind das ganze Jahr konstant um die 30 Grad, das Meer zwischen 23 und 28 Grad warm. «Ein schöner Fleck auf dieser Erde», meint die Freiämterin. Und eines der ganz wenigen Länder dieser Welt, die bislang keine Coronavirus-Fälle haben.
Spät gemerkt, wie angespannt die Lage ist
Seit einem Monat ist Sabrina Müller auf den Salomonen. «Weil das Internet hier sehr limitiert ist, habe ich gar nicht so viel mitgekriegt, was Corona in Europa anrichtet», erzählt sie. Als ihre Flüge storniert werden und der Pazifikstaat die Wasser- und Luftgrenzen dichtmacht, merkt sie erst, wie angespannt die Lage ist. «Ich nahm es locker und dachte, dass ich eben ein wenig später meine Weltreise fortsetze und jetzt hier abwarte.» Nun sitzt sie fest. Ihr Name steht auf einer Liste. Sie wartet, bis ihre Heimreise von der Schweizer Botschaft organisiert worden ist.
Die junge Frau sagt, dass die Stimmung auf der Insel gut sei. «Die Menschen gehen ihrem alltäglichen, einfachen Leben nach. Die Regierung hat die Leute in der Hauptstadt Honiara aufgefordert, zurück in ihre Dörfer zu gehen. So sind die Familien wieder vereint. Trotzdem spürt man Angst und Unsicherheit.»
Mit dem gleichen Gefühl, wie ihre Weltreise begonnen hat, ist ihr momentan erneut zumute: mulmig. Dazwischen gab es ganz viele grandiose Momente. Müller, die soziale Arbeit studierte, kündigte im Frühling 2019 ihren Job als «Beiständin», ebenso wie ihre Wohnung in Waltenschwil. Sie ging auf eine grosse Expedition mit meist unbekannten Zielen und unbekannter Dauer.
Einsamkeit in Russland
Am 6. Mai 2019 ging der grosse Trip los. Erster Halt: Russland. Erster Eindruck: mulmig. «Noch nie habe ich auf Reisen so viel Einsamkeit und Sprachlosigkeit erlebt», sagt sie. Die Russen sind weder sehr offen noch sprechen viele Englisch. Und auch Touristen gibt es kaum. Doch es wurde schnell besser. Mit der transsibirischen Eisenbahn ging es über die Mongolei nach China. Von Peking nach Hongkong, Südkorea – und quer über die Weltkugel nach Brasilien (an eine Hochzeit). Es folgten Kolumbien, Peru, Argentinien. Dort lernte sie Spanisch. «Nach sieben unvergesslichen Monaten in Südamerika musste ich weiterziehen.» Neuseeland war die nächste Destination. Von da aus ging es auf die Salomonen. «Hier bin ich jetzt», sagt die Weltenbummlerin zufrieden.
Einen Viertel der Welt schon gesehen
Über 50 Nationen hat sie auf ihren Reisen schon besucht. Das sind ein Viertel aller Länder dieser Welt. Und jetzt sitzt sie auf den Salomonen fest. Auf einem Hügel der Insel Ghizo wohnt sie in einem leerstehenden Häuschen einer Tauchschule. Ein australisches Auswanderer-Paar lässt sie dort günstig wohnen. Viel zu tun gibt es nicht, es hat ein Hotel und eine Kantine im Ort. Sabrina Müller geht täglich auf den Markt, um frisches Gemüse und Früchte zu kaufen. «Die Lebensmittel sind limitiert, was mich beim Kochen ganz schön herausfordert.» Die Freiämterin macht Yoga, liest Bücher, geht tauchen. Touristen gibt es keine. Auf dem Markt spricht sie mit den Einheimischen, die gerne einen Schwatz halten mit der «weissen Frau aus der Schweiz». Müller erzählt: «Die Menschen sind sehr freundlich und offen. Und sie tratschen gerne.»
«Es wäre eine Katastrophe»
Auf Ghizo leben 7000 Menschen. Und man erzählt sich viel im Dorf. «Anscheinend gibt es viele Gerüchte um das Coronavirus», so Müller. «In der lokalen Zeitung habe ich gelesen, dass die Regierung Leute bestrafen wird, wenn weiterhin Unwahrheiten erzählt werden.» Solche Gerüchte führen zu grossen Unsicherheiten. «Ich werde oft gefragt, was die Symptome sind, wie es in Europa ist und was das genau für ein Virus ist. Als ob ich eine Expertin wäre», sagt sie. «Ich habe zudem gehört, dass in der den Kindern erzählt wird, dass alle weissen Menschen das Coronavirus haben.» Deshalb weichen die sonst so fröhlichen und offenen Kinder aus, wenn Sabrina Müller kommt. «Komisch» sei dieses Gefühl.
Die Salomonen haben keine bestätigten Coronafälle. «Es wäre eine Katastrophe», meint Müller. Das Gesundheitssystem des Inselstaates ist klein und fragil. Es gibt kaum Beatmungsgeräte. «Ich kann daher nachvollziehen, dass die Grenzen so konsequent geschlossen wurden.» Für sie bedeutet das allerdings viel Geduld. «Ich stecke fest, auf unbestimmte Zeit», sagt Sabrina Müller. Die Grenzen sind zu, weiterreisen geht also nicht.
«Macht keinen Spass, hier festzustecken»
Die Salomon-Inseln sind wunderschön. «Ein Traum, ein Paradies», wie sie sagt. Trotzdem will sie nach Hause. Denn: «In einem Inseldorf ohne Internet und ohne wirkliche Beschäftigung macht es keinen Spass monatelang festzustecken.» Die freiheitsliebende Weltenbummlerin ist sehr eingeschränkt.
Neben Müller gibt es noch andere Schweizer und Europäer, die auf einer Insel im Südpazifik festsitzen. Es wird nun versucht, alle gemeinsam nach Hause zu bringen. «Eine grosse logistische Herausforderung», meint sie. «Bis eine Lösung gefunden ist, warte ich hier und tauche ein ins Inselleben.» Sie ist zuversichtlich und versucht, ihre Zeit zu geniessen. Trotz grosser Ungewissheit.
Das Coronavirus betrifft also auch die Menschen an den abgelegensten Orten dieser Welt. «Sobald ich zurück bin, ist der Ernst des Lebens wieder da. Ich werde zuerst bei den Eltern in unterkommen. Job- und Wohnungssuche werden dann zuoberst auf meiner Liste stehen», sagt Sabrina Müller. Das coronafreie Paradies tauscht sie mit dem Alltag in der Schweiz. Nach einem Jahr endet damit ihre Weltreise. Ob sie will oder nicht.