Informativ und nachdenklich
13.03.2020 Wohlen«Narzissten und Psychopathen unter uns». Dieses Thema ist von grossem Interesse – vor allem wenn es von einer Fachkraft wie Josef Sachs analysiert und vorgetragen wird. Sachs, er führt eine Praxis für forensische Psychiatrie, machte auch eine Hochrechnung, die ...
«Narzissten und Psychopathen unter uns». Dieses Thema ist von grossem Interesse – vor allem wenn es von einer Fachkraft wie Josef Sachs analysiert und vorgetragen wird. Sachs, er führt eine Praxis für forensische Psychiatrie, machte auch eine Hochrechnung, die nachdenklich stimmt. Statistisch betrachtet leben in Wohlen rund 160 Personen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung.
«Sie wollen andere kleinmachen»
Referat von Sepp Sachs an der Volkshochschule: «Narzissten und Psychopaten unter uns»
Sein Wort hat Gewicht. Er wird regelmässig von den grossen Medienhäusern als Experte befragt. Josef Sepp Sachs taucht dann ab in die Dunkelheit der Menschen. Er analysiert, gibt Ratschläge. Nun referierte er in der Volkshochschule. Die Gesellschaft sei narzisstisch ausgerichtet, warnt er.
Daniel Marti
Es war ein grandioser Auftritt von Sepp Sachs. Sein Referat war ausverkauft, ein voll besetztes Bez-Schulzimmer hing ihm an den Lippen, als er über Narzissten und Psychopaten erzählte. Auch Narzissten treten in der Regel grandios auf. Hier unterscheidet sich Sachs – natürlich – von den Personen, die seinen Vortrag prägten. Sachs weiss einfach bestens Bescheid über Narzissten und Psychopaten. Es ist grandios, ihm zuzuhören.
Statistisch gesehen: 160 gestörte Menschen in Wohlen
Ja, doch, sie sind tatsächlich unter uns – die Häufigkeit ist erstaunlich. Bei narzisstischen Persönlichkeiten sind es fünf Prozent der Bevölkerung, das macht auf Wohlen gerechnet mit über 16 000 Einwohnern über 800 Personen aus. Und ein Prozent weist eine narzisstische Persönlichkeitsstörung auf. «Das sind in Wohlen etwa 160 Personen, also ein kleines Quartier, das sind schwer gestörte Leute», so Sachs. «In einem grösseren Dorf oder in einer Stadt trifft man also solche Leute an.»
Es sei durchaus ein Wandel in der Gesellschaft spürbar, sagte er weiter. Die Bedeutung des eigenen Ichs nehme stetig zu. «Was andere machen, ist nicht wichtig. Die Gesellschaft ist narzisstisch ausgerichtet.» Eigentlich ein hartes Urteil, aber grundehrlich.
Rein äusserlich sieht man dem Narzissten nichts an. Er hat ein gutes Auftreten, er ist ein guter Verkäufer. Das passe auch zur Politik, mahnte der Referent. «Übertreibt jedoch ein Narzisst, driftet er ins Kriminelle ab.» Als besten Beweis nannte Josef Sachs den Kriminellen Alfredo Lardelli, der 1985 drei Menschen erschoss. Nach der Haftstrafe (20 Jahre) machte Lardelli Karriere als Rechtsberater an der Langstrasse in Zürich, ohne jegliche Ausbildung. Er lebte in einer eleganten Wohnung, war stets perfekt angezogen. «Nur gehörte ihm nichts, nicht einmal die Bally-Schuhe.»
«Sie wissen nicht, was im Herzen passiert»
Narzissten sind Menschen, die davon überzeugt sind, etwas Besonderes zu sein. Vordergründig sind sie charmant, aber unsensibel und sie suchen Aufmerksamkeit. Im Hintergrund schlummern jedoch Unterlegenheitsgefühle, Überempfindlichkeit und Unzufriedenheit. Sie sind zwar leistungsfähig und ambitioniert, aber sie pflegen auch ausbeuterische Beziehungen, haben einen Mangel an Empathie und fallen durch arrogante Verhaltensweisen auf. «Sie beschäftigen sich nur mit sich selbst. Andere Menschen sind nur Garnitur», erklärte Sachs, «sie wissen, was andere denken. Sie wissen aber nicht, was im Herzen passiert.»
Bei Narzissten gibt es verschiedene Typen: cool, selbstverliebt, gewaltbereit, hypervigilant (extrem wachsam). Die Selbstverliebten können Märtyrer und Helden sein, bei den Gewaltbereiten kann sich eine extreme Vernichtungsenergie aufbauen. «Ein Scheitern ist für sie ein No-go», folgert Sachs. Deshalb ist das Suizidrisiko bei Narzissten mit 8 bis 14 Prozent hoch.
Die typische Persönlichkeitsstörung zieht sich übrigens wie ein roter Faden durch das ganze Leben, und die allfälligen Fehler liegen immer bei den anderen. «Narzissten wollen andere kleinmachen.» Sepp Sachs, der seit fünf Jahren eine Praxis für forensische Psychiatrie in Brugg betreibt, ist um Ratschläge im Umgang mit Narzissten nicht verlegen. Man sollte ihnen Grenzen setzen, selber selbstbewusst auftreten und nicht emotional reagieren. Und sein Tipp: «Für sich selbst sorgen. Den Narzissmus werden Sie niemandem austreiben können.»
Psychopathen sind eher männlich
Noch eine Stufe höher und gefährlicher sind die Psychopaten einzuordnen. «Sie sind verhasst. Sie haben kein moralisch koordiniertes System.» Und sind stets mit Erlebnishunger ausgestattet. Psychopathie tritt übrigens bei Frauen weniger auf als bei Männern. Und sie fängt im Leben früh an. Psychopathen sind unfähig, Gefühle und Freude zu haben oder zu entwickeln. Für sie ist alles oberflächlich, öde, langweilig. Kluges Handeln ist ihnen fern. Sie sind gefangen im Hier und Jetzt, in der Gegenwart. Sie sind unfähig, aus Erfahrung zu lernen. Eine Therapie ist fast unmöglich. Viele Psychopathen werden zu Straftätern. Eine mildere Form von Psychopathie gibt es nur in einer kleinen Nische.
Die Ursache für diese «Krankheit» ist nicht genau bekannt, sie ist angeboren oder basiert auf wenig emotionaler Zuwendung vor dem dritten Lebensjahr. Und Psychopathen sehen nicht ein, dass sie krank sind. Abstand halten ist eine der möglichen Umgangsformen mit Psychopathen.
Rücksichtslose Politiker
Besonders ungemütliche Zeitgenossen sind jene Personen, die an beidem leiden: Narzissmus und Psychopathie. Bei Politikern führe dies zu Rücksichtslosigkeit, fasste Sachs zusammen. Trotzdem feiern auch rücksichtslose Politiker Erfolge. «Unerträgliche Typen mit unglaublichen Kräften im Umgang mit Menschen.» Diese von Josef Sachs beschriebene Steigerung trifft zu, wenn noch die Machiavellische Intelligenz hinzukommt. Diese Menschen zeichnen sich aus durch ein hohes Mass an Aggressivität, Kälte, Ärgerausdruck, gepaart mit fehlender Hilfsbereitschaft und fehlender Bescheidenheit. Eben unerträgliche Typen.
Sachs wusste mit seinem Vortrag zu begeistern und zu informieren. So wie man ihn als Experte in der Medienwelt kennt. Der Wohler tat dies bei seinem Referat an der Volkshochschule Wohlen auch ab und zu mit Humor. Aber immer auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit. Als Chefarzt Forensik der Psychiatrischen Dienste Aargau (bis 2015) hat er sich ein grosses Wissen angelegt. Dabei beobachtet er natürlich auch das Weltgeschehen. Narzissten, hat er festgestellt, gebe es auch als Präsidenten, «aber nur in anderen Ländern».
Der Vortrag «Narzissten und Psychopathen unter uns» mit Facharzt Josef Sachs wird am Mittwoch, 29. April, 19 bis 21.30 Uhr, an der Volkshochschule Wohlen erneut stattfinden.