Ein dunkles Kapitel
13.03.2020 Hermetschwil-StaffelnÜbergriffe im Kinderheim
Die externe, unabhängige Untersuchungskommission hat zu ihren Nachforschungen Bericht erstattet. Fünf Betroffene haben sich gemeldet.
Nachdem Andrea Santoni 2018 den im Kinderheim in Hermetschwil-Staffeln erlittenen ...
Übergriffe im Kinderheim
Die externe, unabhängige Untersuchungskommission hat zu ihren Nachforschungen Bericht erstattet. Fünf Betroffene haben sich gemeldet.
Nachdem Andrea Santoni 2018 den im Kinderheim in Hermetschwil-Staffeln erlittenen sexuellen Missbrauch durch den früheren Dorfpfarrer und Religionslehrer Thomas Hardegger öffentlich machte, setzte das heutige St. Benedikt lernen und leben eine unabhängige Untersuchungskommission ein. Bei den Nachforschungen kam nun zutage, dass gegen Hardegger bereits 1970 in Sarnen – er war damals dort Konventuale – eine Untersuchung durch den Kanton wegen des Verdachts auf sexuelle Übergriffe geführt wurde. --aw
Der Rückblick fällt schwer
Abschluss der Untersuchung betreffend Gewalt und Missbrauch im Kinderheim St. Benedikt
Fünf Personen haben sich auf den Aufruf der Untersuchungskommission betreffend den Übergriffen im Kinderheim gemeldet. Bekannt ist nun auch, dass es gegen Pfarrer Thomas Hardegger schon 1970 in Sarnen eine Untersuchung gab.
André Widmer
«Es gibt eine Kultur des Hinhörens, der Fürsorge und des Respekts gegenüber den Bewohnern», würdigt die Untersuchungskommission, die sich Nachforschungen zu den in früheren Zeiten des Kinderheims St. Benedikt geschehenen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche gewidmet hat. «Die Trägerschaft und Leitung des Kinderheims St. Benedikt hat nach den öffentlich erhobenen Vorwürfen von Herrn Santoni vorbildlich gehandelt, indem sie sich um die Aufarbeitung der Vorwürfe bemühte», erklärt die Untersuchungskommission. Dies das Fazit zur Gegenwart.
Frühere Vorwürfe wurden in Sarnen nicht publik gemacht
Der Rückblick aber fällt schwer aus: Nachdem der ehemalige Bewohner Andreas Santoni vor zwei Jahren den im Kinderheim in Hermetschwil-Staffeln zwischen 1978 und 1981 erlittenen sexuellen Missbrauch durch den früheren Dorfpfarrer und Relionslehrer Thomas Hardegger öffentlich machte, setzte das heutige «St. Benedikt lernen und leben» eine unabhängige Untersuchungskommission ein. Bei den Nachforschungen kam nun zutage, dass gegen Hardegger bereits 1970 in Sarnen – er war damals dort Konventuale – eine Untersuchung durch den Kanton wegen des Verdachts auf sexuelle Übergriffe geführt wurde. Doch dies wurde damals offenbar nicht publik gemacht, das Ganze intern gehalten. 1974 wurde Pfarrer Hardegger dann nach Hermetschwil-Staffeln versetzt. «Nach Kenntnisstand der Kommission wurden jedoch das Kinderheim, der Vorstand und die damalige Heimleitung über die Vorgeschichte nicht informiert», erklärte gestern Bruno Meier, Historiker und Mitglied der Untersuchungskommission.
Psychische und körperliche Demütigungen
Auf den öffentlichen Aufruf, den die Untersuchungskommission letztes Jahr gemacht hat, haben fünf Personen den Kontakt gesucht. Eine war vom Übergriff Hardeggers betroffen, weitere Fälle betreffen Bewohner, die in der Zeitspanne zwischen 1946 und 2006 im Heim waren und bei denen es zu körperlichen und psychischen Demütigungen gekommen ist. «Es hat sicher mehr gegeben, aber es haben sich nur diese gemeldet», so Hanspeter Thür, Mitglied der Kommission. Die fünf Personen, die sich meldeten, hätten alle Vorfälle mit einzelnen Lehrpersonen beziehungsweise Erziehern beschrieben.
«Bei einzelnen sind psychische Beeinträchtigungen nach wie vor vorhanden.» Bei den befragten Personen habe es aber auch sehr positive Erlebnisse mit einzelnen Lehrpersonen oder Erziehern gegeben. Die Kommission hält dabei fest, dass es dabei um einen Zeitraum von über 50 Jahren und um einzelne Personen gehe bei diesen entsprechenden Vorwürfen.
Abgeknutscht und in den Schritt gegriffen
Die Person, die in der Zeit von Pfarrer Hardegger im Kinderheim lebte und sich nun neben Andreas Santoni gemeldet hat, habe Folgendes zu Protokoll gegeben: Dass Hardegger häufig Knaben auf den Schoss nahm, sie abknutschte und ihnen in den Schritt gegriffen. Er habe sich aktiv gewehrt, dann sei es nicht weitergegangen, so diese Person. Andere Vorkomnisse bezüglich Grenzüberschreitungen oder Missbrauch sexueller Art sind der Kommission nicht bekannt», heisst es weiter.
«Nicht würdig für ein solche Untersuchung»
An der Medieninformation zugegen war gestern auch Andreas Santoni, der 2018 mit dem Gang an die Öffentlicheit die Missbräuche erst publik machte. Santoni wurde sexuell missbraucht, «das volle Programm», erklärt er. 60 bis 70 Übergriffe beziehungsweise Missbräuche. «Ich bin enttäuscht, dass man nicht tiefer ging», sagte er. Santoni hätte sich gewünscht, dass man die damaligen Bewohner persönlich kontaktiert hätte, anstatt einen Aufruf zu starten. «Mein Bauchgefühl sagt mir, dass dies nun mehr oder weniger oberflächlich ist», machte er aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Das Ergebnis sei «nicht würdig für eine solche Untersuchung».
Pfarrer Hardegger, der 1992 verstarb, gehörte dem Benediktinerkloster Muri-Gries an. Der aktuelle Abt Beda Szukics war aufgrund der Ereignisse rund um das Coronavirus nicht zugegen, da er sich im Südtirol befindet. Ein Vertreter des Ordens war anwesend. Schriftlich teilte Abt Beda Szukics mit: «Die Vorstellung des Untersuchungsberichtes zu den Übergriffen im Kindeheim St. Benedikt in Hermetschwil und seinem Umfeld ist für die Klostergemeinschaft Muri-Gries schmerzlich, aber auch herausfordernd.» Man wolle aus der Vergangenheit lernen. «Wir entschuldigen uns bei den Opfern für das Leid, das ihnen zugefügt wurde.»