Neuland betreten
14.02.2020 WohlenIntegra Wohlen bekommt Selbstvertretungsrat
Die über 300 Klienten der Integra erhalten ein eigenes Gremium, in welchem sie das Sagen haben.
«Neuland» nannte die Integra das Projekt eines Neubaus vor einigen Jahren. Und Neuland betritt die ...
Integra Wohlen bekommt Selbstvertretungsrat
Die über 300 Klienten der Integra erhalten ein eigenes Gremium, in welchem sie das Sagen haben.
«Neuland» nannte die Integra das Projekt eines Neubaus vor einigen Jahren. Und Neuland betritt die Stiftung für Behinderte im Freiamt auch diesmal wieder. Angeregt durch das positive Beispiel einer anderen Institution in der Ostschweiz lädt sie ihre Klienten erstmals ein zur Wahl eines Selbstvertretungsrates. Fünf Personen aus dem Wohn-, Arbeits- und Atelierbereich werden in Zukunft ihre Anliegen vertreten. --chh
Eigene Stimme erhalten
In der Integra wird erstmals ein Selbstvertretungsrat gewählt
In der Integra herrscht derzeit Wahlfieber. Diese Woche werden fünf Mitglieder des Selbstvertretungsrats gewählt. Damit sollen die Klienten die Möglichkeit haben, vermehrt ihre eigenen Anliegen einzubringen. «Das ist ein grosser Schritt für die Institution», ist Karin Gerim vom Projektteam überzeugt.
Chregi Hansen
«Wir respektieren und schützen die Würde aller Menschen sowie den Wunsch nach Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung, Integration und Gleichstellung in der Gesellschaft»: So heisst es im Leitbild der Integra. Und diesem Leitsatz soll jetzt noch mehr Leben eingehaucht werden. Mit einem Gremium, in welchem die Klienten aus dem Wohn- und Arbeitsbereich ihre Anliegen diskutieren und delegieren können.
Diese Woche waren die Wahlurnen geöffnet, am 27. Februar werden die Ergebnisse bekannt gegeben. «Die Wahl wirft hohe Wellen, alle wollen es schon jetzt wissen», berichtet Pascal Stutz, Mitarbeiter im Hausdienst und Mitglied der Projektgruppe. Mehr wissen die drei Initianten selber noch nicht. «Wir wissen nur, wie viele an der Wahl teilgenommen haben», sagt Adriano Meyer vom Projektteam. Einen Tag vor Schliessung der Urne waren es bereits über 40 Prozent der rund 300 Klienten. «Das freut uns und zeigt, dass die Aktion in der Integra auf Begeisterung und Unterstützung stösst», freut sich Karin Gerim, die Dritte im Bunde und die eigentliche Initiantin des Projekts.
Experten auf ihrem Gebiet
Für die drei ist klar: Die Klienten der Integra sollen mehr mitreden können. «Sie sind die Experten für ihre Lebenswelt», bringt es Meyer auf den Punkt. Sie sehen vieles in der Institution aus einer anderen Perspektive als die Angestellten. «Wir wollen auch ein Zeichen setzen: Die Integra nimmt die Klienten ernst», fügt Gerim an. Gleichzeitig sei es auch für die Klienten ein wichtiger Schritt in Richtung Selbstständigkeit. «Mit der Wahl in den neuen Rat übernehmen sie auch Verantwortung. Sie lernen zu diskutieren, ihre Anliegen zu formulieren und für sich selber zu sprechen», so Gerim weiter.
Jeden Monat eine Sitzung
Der Selbstvertretungsrat besteht aus zwei Vertretern aus dem Bereich Wohnen, zwei aus dem Verein Arbeiten und einem aus der Kreativwerkstatt, die sich monatlich zu einer Sitzung treffen. Für die fünf Sitze haben sich 21 Personen beworben. Die Amtszeit beträgt drei Jahre. Eine Entschädigung gibt es keine, ein gemeinsames Essen ist der verdiente Lohn. Die Sitzungen werden jeweils von Mitgliedern des Projektteams moderiert. «Wir helfen aber nur und mischen uns nicht ein», betont Stutz.
Auch wenn der neue Rat keine wirklichen Kompetenzen hat, soll er nicht bloss ein Alibigremium sein. Die Vertreter sollen die Wünsche, Anregungen und Ideen der Kollegen aufnehmen und diese an den Sitzungen diskutieren und danach mit der Geschäftsleitung besprechen. «Die Betroffenen wissen doch besser, wo die Barrierefreiheit noch fehlt. Oder sie haben auch Wünsche bezüglich der Dekoration», macht Meyer einige Themenbeispiele. Die Selbstvertreter sollen aber auch aktiv einbezogen werden bei der Planung von Anlässen, etwa einem Tag der offenen Tür. Ein wichtiges Thema ist auch die Beachtung einer einfachen Sprache. «Vieles in der Integra ist für die Klienten nur schwer verständlich», berichtet Gerim. So wird die Hauszeitung fast nur vom Personal gelesen. Das soll sich ändern.
Begeisterung geweckt
Die Vorarbeiten für die Einführung eines solchen Rates dauerten rund ein Jahr. Den Input erhielten die drei an einer Fachtagung. «Wir haben dort erfahren, dass es einen solchen Selbstvertretungsrat in anderen Institutionen schon gibt und gesehen, dass er funktioniert», berichten sie. Sie zeigten sich beeindruckt vom Gezeigten. «Man spürt den Einsatz für die Schwächeren», sagt Stutz. Mit der Idee, einen solchen Rat auch in der Integra einzuführen, stiess die Gruppe bei der Geschäftsleitung auf offene Ohren. «Sie hat uns unterstützt, aber auch klare Vorgaben gemacht», berichtet Gerim. So mussten die drei beispielsweise ein umfangreiches Konzept erarbeiten.
Wichtig war es, auch das Personal von der Idee zu überzeugen. «Ohne sie geht es nicht. Denn viele der Klienten brauchen gewisse Unterstützung», sagt Meyer. Zu Beginn sei durchaus eine gewisse Skepsis spürbar gewesen. «Wir betreten mit diesem Rat Neuland. Es brauchte darum viel Informationsarbeit, damit jeder weiss, was dieses Gremium ist. Und was es nicht ist», berichtet Gerim. Inzwischen spüre man den Support der ganzen Institution. «Alle reden von Inklusion. Wir wollen ihr hier nachleben», sind die drei überzeugt.
Gefeiert wird so oder so
Sie hoffen, dass mit dieser Wahl etwas angestossen wird in der Integra. «Es braucht Mut, ein Umdenken und die Bereitschaft zum Lernen», erklärt Initiantin Karin Gerim. Und zwar von den Beeinträchtigten wie auch den sogenannt «Normalen». Dass diese Umstellung Zeit braucht, ist allen bewusst. Vorerst aber müssen die eingereichten Wahlzettel ausgezählt werden. «Wir sind selber gespannt, wer in den Rat gewählt wird», sagt Stutz. Am 27. Februar wird das Resultat bekannt gegeben. Und dann wird gemeinsam gefeiert. Auch das gehört eben zur Integra.