Freundschaftliche Beziehungen
28.02.2020 WohlenKanti Wohlen widmete sich einen ganzen Tag lang dem Thema Europa
Rund 600 Schülerinnen und Schüler von der 2. bis 4. Klasse nahmen am Thementag teil.
«Wir haben alle eine Idee von Europa», so Rektor Matthias Angst bei der Begrüssung. ...
Kanti Wohlen widmete sich einen ganzen Tag lang dem Thema Europa
Rund 600 Schülerinnen und Schüler von der 2. bis 4. Klasse nahmen am Thementag teil.
«Wir haben alle eine Idee von Europa», so Rektor Matthias Angst bei der Begrüssung. «Heute wollen wir uns einen Tag Zeit nehmen, um uns Gedanken zu Europa zu machen.»
Thementage haben in der Kanti Wohlen Tradition. Rund anderthalb Jahre hat ein vierköpfiges OK den Anlass vorbereitet. Es ist ihm gelungen, viele hochkarätige Referenten und Workshop-Leiter nach Wohlen zu locken. Zum Beispiel EU-Botschafter Michael Matthiessen, Österreichs Botschafterin Ursula Plassnik, TV-Korrespondent Sebastian Ramspeck, Vertreter des EDA, der Operation Libero oder von der Gesellschaft für bedrohte Völker. «Es war toll, einen ganzen Tag lang in dieses Thema einzutauchen», erklärte Thomas Widmer, Kanti-Lehrer und Mitglied des OK. «Der Aufwand ist riesig. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen», ist Widmer überzeugt.
Dem schliesst sich Rektor Matthias Angst an. «Wir haben viele Komplimente dafür erhalten, dass wir dieses Thema in dieser Breite angehen. Gerade auch von den Gästen», erklärte er. Und Matthias Schwank, wie Widmer Mitglied des OK, freute sich über die grosse Themenbreite. «Es war ein intensiver und abwechslungsreicher Tag», fand er. Es sei wichtig, sich immer wieder über Europa auszutauschen. «Wir haben keine gemeinsame Sprache oder Kultur», so Schwank. Da tut es gut, untereinander freundschaftliche Beziehungen zu pflegen. --chh
Nicht der Ratgeber sein
Europatag an der Kanti: Referat von Ursula Plassnik, Botschafterin Österreichs in der Schweiz
Als ehemalige Aussenministerin ihres Landes ist ihr das Thema bestens vertraut. «An Problemen mangelt es der EU nicht», hält Ursula Plassnik denn auch fest. Trotzdem sieht sie in erster Linie die Vorteile. «Machen Sie sich selbst ein Bild davon», so ihr Ratschlag an die Schülerschaft.
Chregi Hansen
«Gewinner und Verlierer: Was bringt uns Europa», so lautete das Thema, mit welchem die Schule die Referentin beauftragt hat. Damit hat man ihr keine Freude bereitet. «Diese Formulierung passt mir überhaupt nicht», meinte die Botschafterin gleich zu Beginn. «Gewinner und Verlierer lassen sich nicht immer klar auseinanderhalten. Solch plakatives Denken bringt uns nicht weiter.»
Ursula Plassnik hält die EU für eine gute Sache. Sie kam aber nicht nach Wohlen, um für Europa und die EU zu weibeln. Oder gar den Alleingang der Schweiz zu kritisieren. «Ich würde sowieso nicht von einer Abschottung sprechen, eher von einer erschwerten Beziehung», erklärte sie. Die Schweiz liege nun mal mitten in Europa und könne sich nicht zur Insel erklären. «Wir verstehen uns als Partner. Und in einer Partnerschaft redet man miteinander.» Die EU sei grundsätzlich bereit, den Weg der Schweiz über ein Rahmenabkommen mitzutragen. «Aber zuerst muss die Schweiz wissen, ob sie diesen Weg überhaupt will», fügt sie an. Solange die Schweiz in der Europafrage so gespalten ist, seien auch der EU selber die Hände gebunden.
Mit am Tisch sitzen
Ob ein Beitritt für die Schweiz mehr Vor- oder Nachteile bringe – so eine weitere Frage aus der Schülerschaft –, das müssten die Schweizer alleine entscheiden. Plassnik will sich explizit nicht zum Ratgeber machen. Sie kann aber davon reden, was für Vorteile der Beitritt für Österreich hatte. «Es ist damit auch unser Projekt. Wir sitzen mit am Tisch, sind Teilhaber und nicht nur Mieter. Wir können mitentscheiden und mitgestalten», betont sie. Dass die Schweiz nicht dabei sei, bedauert sie. «Aber das Abseitsstehen scheint zur DNA dieses Landes zu gehören.»
Für sie ist die EU trotz aller Problemen, die sich ergeben, ein erfolgreiches Projekt. Der Handel habe sich verdreifacht, das Wirtschaftswachstum habe zugenommen, der Wettbewerb habe sich positiv ausgewirkt. Natürlich müssten einzelne Länder mehr zahlen und andere damit unterstützen, «aber ist man deswegen ein Verlierer? Wäre es nicht ein Grund stolz zu sein, dass man so erfolgreich ist, dass man andere mitfinanzieren kann?», fragte sie in die Runde. Und überhaupt: Es sei doch falsch, die eigenen Erfolge immer auf die eigene Leistung zurückzuführen. «Manche Länder haben einfach mehr Glück als andere», ist sie überzeugt.
Sich eine eigene Meinung gestatten
Für die Botschafterin ist klar: Viele Probleme lassen sich gemeinsam besser lösen als im Alleingang. Und letztlich trage die EU zum Frieden in Europa bei. Dass der Austritt Grossbritanniens negative Folgen hat, glaubt Plassnik nicht. Im Gegenteil: «Nach dem Brexit ist in den anderen Ländern die Zustimmung zur EU sogar gewachsen», erklärt sie. Gerade bei den Jungen, wie eine Umfrage in Österreich zeigt. «Die Jungen denken anders, sie sind offener, sehen die Vorteile der offenen Grenzen. Und sie sind eher solidarisch.» Das zeige, dass man die Frage nach der EU nicht nur auf die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile reduzieren könne.
Letztlich sei alles eine Frage der Perspektive. Und diese kann sich ändern. In Österreich war ausgerechnet Jörg Haider einst ein glühender Verfechter für den EG-Beitritt, während die Grünen dagegen stimmten. Heute ist es genau umgekehrt. «Aber das ist eben Populismus», so ihr Fazit, «da wechselt man auch schnell die Meinung, wenn man sich einen Vorteil verspricht.» Genau das aber sollen die Schülerinnen und Schüler nicht machen. «Haben Sie den Mut, Ihren Verstand zu nutzen. Stellen Sie die richtigen Fragen. Und trauen Sie sich, eine eigene Meinung zu haben», so ihr Tipp an diesem Morgen.
Schweiz würde der EU guttun
Die Schweiz, so Plassnik zum Schluss, sei stolz auf ihre föderalistischen Strukturen und ihre direkte Demokratie. Und habe Angst, dass dies bei einem Beitritt verloren geht. Zumindest diese Angst kann die Botschafterin den Anwesenden nehmen. «Das System muss darum nicht geändert werden und Sie können weiter abstimmen», versicherte sie. Schon heute hätten die Mitgliedsstaaten ganz verschiedene Regierungsformen. Und das werde so bleiben. Umgekehrt würde der EU ein so demokratisches und erfolgreiches Land wie die Schweiz guttun, ist Ursula Plassnik überzeugt.
Entscheiden darüber müssten die Schweizer allein. Umso wertvoller sei es, dass die Kanti Wohlen sich einen ganzen Tag dem Thema widmet. «Und der Anlass hat mir gezeigt, dass Sie sich Gedanken machen und die richtigen Fragen stellen», lobte die Botschafterin die Schüler.