Emotionen und Sensibilisierung
25.02.2020 BremgartenZahlreiche Vorführungen des Films «Die Zeit läuft für uns» vom Bremgarter Filmemacher Stanko Pavlica
Mit einem Porträt über Markus Huser hat der 45-jährige Stanko Pavlica ein filmisches Denkmal für den ...
Zahlreiche Vorführungen des Films «Die Zeit läuft für uns» vom Bremgarter Filmemacher Stanko Pavlica
Mit einem Porträt über Markus Huser hat der 45-jährige Stanko Pavlica ein filmisches Denkmal für den Gehörlosenvorkämpfer realisiert. Bisher hat es das eindrucksvolle Werk in die Auswahl von zwei Filmfestivals geschafft. Und Pavlica hat weitere Pläne.
André Widmer
«Die Zeit läuft für uns» ist für Stanko Pavlica eine Herzensangelegenheit. Nicht zuletzt, weil der Dokumentarfilm mit seiner eigenen, ganz persönlichen Geschichte zu tun hat. Das filmische Porträt über Markus Huser, der mit dessen Kampf für Selbstbestimmung und Selbsthilfe in den 80er-Jahren als Reformer in der Schweizer Gehörlosenbewegung gilt, ist ein beeindruckendes Werk. Filmemacher Pavlica ist selber gehörlos, hat eine eigene Filmproduktionsfirma aufgebaut und diesen rund 70-minütigen Dokumentarfilm geschaffen (Ausgabe vom 29. November 2019).
Viele Aufführungen und positive Reaktionen
Der heurige Winter war bisher für Pavlica mit seinem Film «Die Zeit läuft für uns» eine eindrucksvolle Zeit mit vielen Aufführungen. Gemäss Pavlica fanden die ersten drei sprachregionalen Premieren in den Kinos Uto in Zürich, Pathé in Lausanne und LUX arthouse in Lugano statt. Zudem gab es teilweise zweifache Aufführungen in Bern, Basel, Hohenrain, St. Gallen, Olten und in Schaan (Liechtenstein). «An jedem Ort war ich anwesend und es gab spannende Filmgespräche», erklärt Stanko Pavlica. Noch sind weitere Aufführungen in Zürich, Olten, Chur, aber auch in Deutschland geplant. «Es ist schön anstrengend, jedoch sehr erfreulich für mich, dass mein erster grosser Film etwas ausgelöst hat.» Die Reaktionen an den Vorführungen sowohl von Hörenden als auch von Nichthörenden seien sehr positiv gewesen. «Das war für mich eigentlich auch unerwartet. Auch in der Romandie und in der italienischen Schweiz, nur mit italienischen beziehungsweise französischen Untertiteln und fast nur deutsch gesprochen, fanden die Hörenden, die im Leben nie mit Gehörlosen oder Gebärdensprache in «Berührungen» kommen, den Film gut bis sehr gut. Der Film ist sehr emotional und hat die Zuschauerinnen und Zuschauer ziemlich berührt. Ich bekam viele nette Feedbacks.» Einige Besucher vertraten die Meinung, dass der Film im Fernsehen sowie als Schulstoff aufgenommen werden sollte, erzählt der Bremgarter Filmemacher. Irgendwie ist der Film nicht nur das Porträt über Markus Huser, sondern auch über die Zeit Ende der 70er und in den 80er-Jahren in der Schweiz, als die Hörenden bestimmten, was für die Gehörlosen gut sein sollte, und der Kampf später für eine Stärkung der Gebärdensprache sorgte.
Der Kampf geht weiter
Dass der Film ganz allgemein zu einer höheren Sensibilisierung für das Thema beitragen kann, davon ist Stanko Pavlica überzeugt. «Auf jeden Fall. Diverse Leute sind zu mir gekommen und waren froh um die neuen Erfahrungen.» Einmal bei Publikumsfragen habe sich ein älterer Mann empört, weil noch heute eine Bevormundung Gehörloser durch Hörende stattfinde, die die Betroffenen stärker behindern würde als die Behinderung selbst. Obwohl sich sein Film mit einer Geschichte aus den 80er-Jahren befasse, sei dieser immer noch aktuell. «Und er dient auch dem Umdenken, dem Zusammenhalt innerhalb der Hörbehindertengemeinschaft sowie der Solidarität zwischen Hörenden und Gehörlosen. Es gibt auch Gedankenanstösse einiger Organisationen für politische Vorstösse, zum Beispiel in der Liechtensteiner Regierung über das Thema der Forderung von Untertitelung sowie die Übernahme der Gebärdensprachdolmetscherkosten.» So kann der Film vielleicht auch den Kampf von Markus Huser ein Stück weit in der heutigen Zeit weiterführen.
«Ein Hammererlebnis»
«Die Zeit läuft für uns» ist im Januar auch an den 55. Solothurner Filmtagen gespielt worden – gleich zwei Mal. «Es war ein Hammererlebnis. Ich war in der letzten Wochenhälfte am Filmfestival dabei, dank dem Festivalpass durfte ich diverse Doku- sowie Spielfilme mit Filmgesprächen verfolgen, ich besuchte einige Vorträge, Diskussionen. Sie waren für mich sehr bereichernd und ich lernte dort interessante Filmleute aus diversen Bereichen kennen», schildert Stanko Pavlica. Die Aufnahme ins Programm des Festivals ist nicht einfach, weil rund 700 Einreichungen gemacht wurden und Qualität gefordert ist.
Umso schöner war deshalb auch Pavlicas Begegnung beim Kaffeetrinken im Solothurner Landhaus mit Festivaldirektorin Anita Hugi. «Ich war erstaunt, dass sie wusste, wer ich bin, und wusste, worüber mein Film handelt, sie kannte fast jedes Detail. Sie mochte meinen Film und das Filmplakat. Das hat mich glücklich gemacht.» Er bedankte sich für die Chance als gehörloser Filmemacher. Doch sie habe erwidert: «Nein, dein Film war gut und muss in Solothurn gezeigt werden, und zwar zwei Mal.» Eines der schönsten Komplimente für ihn. Bewegend auch eine Begebenheit vor dem Festival. Pavlica gab ein Interview beim Regionaljournal des Radios SRF 1. «Als sie es um 17 Uhr ausstrahlten, meldete sich später eine Frau bei mir per Facebook, dass sie während dem Autofahren im Radio zum ersten Mal auf den Dokufilm über Markus Huser aufmerksam wurde und dass sie seine Cousine sei. Sie kam nach Solothurn, wir machten uns einander bekannt. Nach der Filmvorführung schrieb sie mir ein bewegendes E-Mail. Es war überwältigend für mich.»
Und toll ist auch, dass es der Film ans Seattle Deaf Film Festival in den USA geschafft hat. Was bedeutet dieser Erfolg für Stanko Pavlica? «Es ist für mich eine unheimlich grosse Freude, dass mein Film in die amerikanische Filmlandschaft gelangt. Ehrlich gesagt weiss ich wirklich nicht, was es für mich bedeutet. Vielleicht realisiere ich es erst, nachdem mein Film in englischer Version vor amerikanischen Zuschauern gezeigt wurde.» Er sei einfach sehr gespannt, wie die Amerikaner reagieren bei einem Film, der auch etwas über das schweizerische Politiksystem erzählt. Er wisse noch nicht, ob er nach Seattle reise, es sei auch eine finanzielle Frage. Denn weil im Film einige Sequenzen mit Aufnahmen des Schweizerischen Fernsehens gezeigt würden, müsse er nochmals für die Lizenzrechte Geld hinblättern. Unklar, ob es dann noch für die zusätzlichen Reisekosten reicht.
Vom Filmemachen leben können
Einen grossen Wunsch hegt Filmemacher Stanko Pavlica: Wenn er das «Brötchenverdienen» mit Videoproduktionen langsam ablösen könnte hin zur Produktion von Dokumentarund Spielfilmen, dann würde sich für ihn ein Traum erfüllen. Derzeit hat er Ideen für weitere Filmprojekte. Einen Kurzfilm, eine witzig-schräge Komödie. Bezüglich Schweizer Dokumentation sei er an weiteren Themen zu Gehörlosen interessiert. Und: «Momentan befinde ich mich für einen internationalen Dokfilm noch in der Abklärung betreffend Planung, Finanzierung, Rechte und Weiteres. Es geht um einen gehörlosen Schwimmer aus Südafrika, der an den Olympischen Spielen 2000 in Sydney teilnahm.»


