Die Röcke noch etwas höher
31.01.2020 WohlenTrudy Müller-Koch erinnert sich an die Einweihung des Casinos vor 70 Jahren
Der Januar 1950 ist in Wohlen bei vielen unvergessen. Vor 70 Jahren feierte die Gemeinde das neue Casino mit einer grossen Operette. 15-mal war der Saal praktisch ausverkauft. ...
Trudy Müller-Koch erinnert sich an die Einweihung des Casinos vor 70 Jahren
Der Januar 1950 ist in Wohlen bei vielen unvergessen. Vor 70 Jahren feierte die Gemeinde das neue Casino mit einer grossen Operette. 15-mal war der Saal praktisch ausverkauft. «Darüber hat man noch lange gesprochen», erzählt Trudy Müller, die im Ballett getanzt hat.
Chregi Hansen
Es war nicht das erste Mal, dass in Wohlen eine Operette zu sehen war. Und auch nicht das letzte. Doch die Aufführungen von der «Lustigen Witwe» im Januar 1950 haben noch heute einen speziellen Platz in der Erinnerung vieler Zeitgenossen.
Und das aus gutem Grund. Denn am 1. Januar 1950 wurde in Wohlen das neue Casino eingeweiht. Zuvor wurde der bisherige Saal, im Volksmund «Alter Kasten» genannt, abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. Zu diesem Anlass sollte etwas Grosses einstudiert werden. Dazu schlossen sich das Orchester Wohlen, der Männerchor und der Gemischte Chor Harmonie zusammen. Auch unter den Sängern und Sängerinnen waren viele Wohler zu finden. Angerührt wurde mit der ganz grossen Kelle – rund ein halbes Jahr dauerten die Proben.
Anstrengende Proben: «Und noch einmal»
Von den damaligen Mitwirkenden sind die meisten verstorben. Nicht so Trudy Müller-Koch. Die 92-Jährige tanzte damals im Ballett mit. Und erinnert sich noch gut an diese Zeit. «Ich war Mitglied beim Damenturnverein, und sie fragten uns an für das Ballett», erzählt sie. Das war für alle Neuland. Und nicht alle Frauen wollten mitmachen, schliesslich ist Lehars Werk etwas frivol. Aber acht Freiwillige stürzten sich gerne in die Probearbeit. «Es war extrem anstrengend. Wir hatten einen Ballettlehrer aus Luzern. Und immer, wenn wir glaubten, dass es nun gut war, meinte er: und noch einmal. Das habe ich bis heute nicht vergessen», erinnert sich die rüstige Wohlerin.
Geprobt wurde erst in der Turnhalle, später auf der Bühne, und das bis zu zweimal die Woche. «Den Walzer konnten wir schnell, aber der Cancan und der Czardas waren schon sehr anspruchsvoll», so Müller. Aber die Frauen nahmen die Mühen gerne auf sich, wussten sie doch: Sie sind Teil einer ganz besonderen Produktion. Nervös waren die Turnerinnen dennoch nicht. «Wir traten damals an den Turnervorstellungen immer auf der Bühne auf, waren uns das gewohnt. Natürlich war das schon alles ein paar Nummern grösser.» Allerdings: Ihr persönlich gefiel der alte Casino-Saal besser als der neue. «Er war einfach heimeliger.»
Das Warten in der Garderobe
Am 1. Januar, nach den Einweihungsfeiern für das Casino, fand die Premiere statt, im Beisein eines Regierungsrates, des gesamten Gemeinderates und von Vertretern der Aargauer Presse. Einhellig war man begeistert vom Gebotenen. Es folgten neun weitere reguläre Vorführungen vor meist ausverkauftem Haus. Und danach fünf Zusatzvorstellungen. Mehr ging nicht, danach war der Casino-Saal anderweitig gebucht. «Das Verrückte daran: Ich selber habe die Operette gar nie gesehen. Das Ballett war zwischen unseren Auftritten unten in einer kleinen Garderobe, hat sich umgezogen und auf den nächsten Einsatz gewartet», schmunzelt die Wohlerin.
Mitbekommen hat sie dafür die Reaktionen. Die meisten waren sehr positiv. Einige ältere Wohlerinnen störten sich aber daran, dass die Tänzerinnen beim Cancan zu viel Bein zeigten. Unzüchtig sei das, so die Reklamation. «Meine Freundin meinte danach zu mir: Jetzt ziehen wir den Rock extra noch etwas höher. Wems nicht gefällt, der kann sich ja nach hinten setzen.» Und auch manches Mitglied des Männerchors hatte ein Auge auf die jungen Tänzerinnen geworfen. Das führte dazu, dass die Ehefrauen ihre Männer immer gleich nach der Probe abholten.
Fkirten mit dem Männerchor
«Die vielen Aufführungen, der tosende Applaus jeweils am Schluss, das grosse Echo im Dorf, all das war einfach ‹de Plausch›», sagt Trudy Müller-Koch heute. «Der Zusammenhalt in Wohlen war viel grösser. Es hatte zwar nicht halb so viele Einwohner wie heute, aber die Vereine und Chöre hatten immer genügend Mitglieder», erinnert sie sich. Noch lange habe man von dieser Operette gesprochen. Zwar gab es später weitere Aufführungen, aber das waren meist Gastproduktionen.
Die junge Turnerin zügelte später der Liebe wegen nach Reinach, kam aber wenige Jahre später zurück und baute mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann neben ihrem Elternhaus ein Eigenheim. Auf der Bühne stand sie nie mehr. Schade findet sie, dass die damals Beteiligten sich später nur noch selten trafen. An viele erinnert sie sich noch gut. An «Rössli»- Wirt Richard Wohler, der den Baron spielte, an Hauptdarstellerin Mathilde Fischer, an Dirigent Ernst Vollenwyder oder ihre Ballettkolleginnen Hildi Hoffmann, Ruth Mack, Jeannette Wyder oder Jolanda Steimen. Letztere soll sich, so hört man, in einen Zuschauer verliebt haben und sei mit ihm ins Welschland gezogen. «Ich habe sie seither nie mehr gesehen», berichtet Müller.
70 Jahre ist das nun her. Leider hat Trudy Müller-Koch inzwischen alle alten Artikel und Bilder entsorgt. Die Erinnerungen an die Wochen im Januar 1950 aber sind geblieben. «Im Herbst kam mein Sohn nach Hause und hat mir erzählt, dass er in Möriken ‹Die lustige Witwe› gesehen hat. Da habe ich ihm erzählt, dass ich vor vielen Jahren auch mal mitgespielt habe. Was meinen Sie, wie er gestaunt hat», lächelt sie.