«Es fällt mir schwer»
24.01.2020 WohlenIm Freiamt gibt es nur sehr wenige Kinderärzte – Wohlen hat bald keinen mehr
Die grösste Gemeinde im Freiamt verliert ihre einzige Kinderarztpraxis. Die «Alleviamed» und Dr. med. Marcus Roos verlegen ihren Standort Ende Februar nach Meisterschwanden. Auch im ...
Im Freiamt gibt es nur sehr wenige Kinderärzte – Wohlen hat bald keinen mehr
Die grösste Gemeinde im Freiamt verliert ihre einzige Kinderarztpraxis. Die «Alleviamed» und Dr. med. Marcus Roos verlegen ihren Standort Ende Februar nach Meisterschwanden. Auch im restlichen Freiamt ist ein Mangel an Kinderärzten stark zu spüren.
Stefan Sprenger, Annemarie Keusch
Wer beim Kinderarzt anruft, muss sich in Geduld üben. Man landet meist in einer Warteschlaufe und braucht Geduld. «Wir laufen am Anschlag», sagt Dr. med. Marcus Roos von der «Alleviamed» in Wohlen. So wie ihm geht es jedem Kinderarzt in der Region.
«Alleviamed» wird nach Meisterschwanden verlegt
Für den Standort Wohlen suchte Roos nach Kinderärzten, ohne Erfolg. Er wollte gar ein Ärztezentrum in Wohlen aufbauen, doch es gelang ihm nicht, die Wohler Kollegen für ein solches Projekt zu begeistern. Die Folge: die «Alleviamed» verlässt Wohlen und wird ab Ende Februar nur noch in Meisterschwanden Patienten empfangen. Dort ist die Infrastruktur besser und grösser. Wohler Babys sind aber auch dort weiterhin willkommen.
Der Kinderarztmangel ist auch in anderen Regionen zu spüren. In Bremgarten gibt es derzeit keinen Kinderarzt. Die Gemeinschaftspraxis Ärzte an der Reuss kündigte auf ihrer Homepage jedoch an, dass demnächst eine Kinderärztin zum Team stossen werde. Die Hoffnung hat sich aber zerschlagen. Wie in Wohlen hat man bislang noch niemanden gefunden. Auf dem Mutschellen gibt es zwei Kinderärzte, die ebenfalls ausgelastet sind. In der Region Oberfreiamt herrschen derweil dieselben Zustände. Die Kinderärzte sind total ausgelastet.
Roland Schumacher, langjähriger Präsident des Freiämter Ärzteverbandes und selber Hausarzt in Villmergen, sagt: «Es ist ein allgemeines Problem, dass in Praxen kaum ein Arzt einsteigen will.» Auch der «Numerus clausus» mit den beschränkten Ausbildungsplätzen sei ein Problem. Dies führt zu einem Nadelöhr. Leidtragende sind die ausgelasteten Kinderärzte und der Patient, der sich in grosser Geduld üben muss.
«Es fällt mir schwer»
Die einzige Wohler Kinderarztpraxis «Alleviamed» wird geschlossen – Was sind die Auswirkungen?
Bald hat Wohlen keinen Kinderarzt mehr. Dr. med. Marcus Roos und sein Team sind in Wohlen an die Kapazitätsgrenzen gestossen und verlegen ihren Standort nach Meisterschwanden. «Die Wohler können mit ihren Babys weiterhin zu uns kommen», sagt der 52-Jährige.
Stefan Sprenger
Ruhig und geduldig untersucht Marcus Roos das Neugeborene. Er checkt, ob das Baby gesund ist, und macht alle Tests, die nötig sind, um zu sagen: «Alles gut.» Er selbst wirkt entspannt. Das liegt an seiner Art, denn wenn man auf seinen Terminkalender schaut, müsste er eigentlich gestresst sein. «Als Kinderarzt muss man geduldig sein, sonst hat man den falschen Job.» Schreiende Babys und fürsorgliche Eltern möchten schliesslich die bestmögliche Betreuung. Und das versteht Marcus Roos als vierfacher Familienvater und vierfacher Patenonkel sehr gut. «Ich kann mich gut einfühlen in die Eltern. Wenn das Baby krank ist, macht man sich grosse Sorgen und diese Angst setzt zu.»
Seit 2005 betreibt er die «Alleviamed» an der Zentralstrasse 52 in Wohlen. Roos, der auf dem Mutschellen aufgewachsen ist und die Kantonsschule in Wohlen besucht hat, konnte im Laufe der Jahre einige Kinderärzte einstellen. 2018 wurde zudem eine weitere Praxis in Meisterschwanden eröffnet. «Im Standort Wohlen stiessen wir zunehmend an die Kapazitätsgrenzen», sagt der 52-Jährige.
Nur rund 30 Prozent gehen zum Kinderarzt
An beiden Standorten habe er extrem viele Patienten. «Dies, weil ein massiver Kinderärztemangel besteht», wie er erklärt. Ein Problem für den fehlenden «Nachwuchs» bei den Kinderärzten: «Die Ausbildung und die Zulassungsbeschränkung bei Kinderärzten führt zu einem Flaschenhals. Es gibt grundsätzlich zu wenig Ärzte, nur wenige gehen dann in eine Praxis», so Roos. Es gibt nicht nur zu wenig Kinderärzte, sondern auch der Job hat sich stark verändert. Denn laut Statistik gibt es mehr Kinderärzte als früher. Aber: Die Abklärungen sind viel umfassender geworden und es werden nicht nur medizinische Themen behandelt. Ernährung, Erziehung und weitere Dinge sind heute in einer Kinderarztpraxis ebenfalls Gesprächsthemen. Kurz: Man benötigt mehr Zeit für die Patienten.
Abgänge konnten nicht ersetzt werden
Erwähnenswert ist ebenfalls, dass im Kanton Aargau nur rund 30 Prozent der Kinder zu einem Pädiater gehen, der Rest zu einem Hausarzt. «Da ist es vom jeweiligen Arzt abhängig, ob er Kinder aufnimmt oder nicht.»
Das kriegen die Pädiater zu spüren. Marcus Roos erklärt: «Wir laufen am Anschlag.» Die «Alleviamed» in Wohlen hatte im letzten Jahr zwei Abgänge, konnte diese aber nicht ersetzen. «Wir haben über ein halbes Jahr nach Ersatz gesucht, doch niemanden gefunden für den Standort Wohlen», so Roos. Hinzu kommen zwei Mutterschaftsurlaube, die zur angespannten Lage beigetragen haben. Roos versuchte in Wohlen ein Ärztezentrum aufzubauen, doch es gelang ihm nicht, die Wohler Kollegen für ein solches Projekt zu begeistern.
Es hat sich abgezeichnet und ist nun Tatsache, dass der Standort Wohlen per Ende Februar geschlossen wird. «Es fällt mir schwer, hier zu schliessen», erklärt Roos, der selber in Wohlen wohnt. «Wohlen ist das Zentrum der Region, das Bedürfnis nach Kinderärzten ist riesig, aber weil wir nur am Hin-und Her-Rennen sind, mussten wir handeln.»
Roos und die «Alleviamed» verlegen ganz nach Meisterschwanden an die Hauptstrasse 10 (gleich beim Coop). Dort sind die Räumlichkeiten grösser, moderner, es hat acht Sprechzimmer, fünf Kinderärzte, einen Röntgenapparat, ein besser ausgestattetes Labor, genügend Parkplätze. Wohler Babys sind weiterhin willkommen. «Neugeborene nehmen wir auf, Kinder im Schulalter nicht, diese sollen besser zum Hausarzt», sagt Roos. Für die Wohler Eltern ändert sich nur der Weg. Man muss nun nach Meisterschwanden fahren. «Ich verstehe, dass dies mit den öffentlichen Verkehrsmitteln umständlicher ist», so Roos.
Alles an einem Ort
Auf der Homepage der «Alleviamed» heisst es: «Unsere neue Praxis ist sehr modern eingerichtet und wir sind überzeugt, dass wir Ihren Bedürfnissen am neuen Ort noch besser gerecht werden können.» Dort ist Dr. med. Marcus Roos dann noch entspannter, weil er nicht ständig zwischen zwei Standorten wechseln muss und alles an einem Ort ist. Und das ist am Ende gut für den Arzt und gut für die Patienten.