Klimawandel stresst Bäume
31.12.2019 BremgartenRevierförster Leonz Küng ist gefordert
Dieser Viersatz ist einfach: Klimawandel, Trockenheit, Borkenkäfer, abgestorbene Bäume. Im Forstrevier Wagenrain mussten deshalb unzählige Bäume gefällt werden. In 80 bis 90 Prozent erfolgt danach eine ...
Revierförster Leonz Küng ist gefordert
Dieser Viersatz ist einfach: Klimawandel, Trockenheit, Borkenkäfer, abgestorbene Bäume. Im Forstrevier Wagenrain mussten deshalb unzählige Bäume gefällt werden. In 80 bis 90 Prozent erfolgt danach eine Naturverjüngung. Nur an einzelnen Orten werden Setzlinge gepflanzt. Künftig werden wohl auch neue Baumarten in die Bresche springen. --rwi
Der Wald unter Stress
Klimawandel: Wagenrain-Revierförster Leonz Küng zu den Herausforderungen bei der Bewirtschaftung des Forstes
Klimawandel, Trockenheit, Borkenkäfer: Eine Kaskade von Gründen stellt die Bewirtschaftung des Waldes derzeit vor grosse Herausforderungen. Eine andere Durchmischung und die Förderung von resistenteren Baumarten könnten die Antworten darauf sein.
André Widmer
Revierförster Leonz Küng schreitet den Trampelpfad in einer Lichtung entlang. Die Schneise ist nicht einfach so entstanden: Hier, in einem Gebiet nahe des Waldrandes bei Bremgarten, mussten etliche Bäume gefällt werden. Baumstumpfe zeugen davon. Küng klaubt ein Sackmesser hervor, schneidet die Rinde einer am Boden liegenden Rottanne auf. Und siehe da, zahlreiche kleine Furchen, Einbuchtungen. «Hier lagen die Eier», erklärt der Chefförster des Forstbetriebes Wagenrain. Der Übeltäter ist somit – wenig verwunderlich – klar ausgemacht. Es ist der Borkenkäfer.
Ein Spaziergang im Wald soll dem Menschen helfen, sich vom Stress des Alltages zu erholen, frische Luft zu geniessen, zu entspannen. In den letzten Jahren ist aber der Wald zusehends selber unter Stress geraten: Längere Trockenperioden setzen gewissen Baumarten wie Fichten oder Rottannen stärker zu, sie schwächeln und dann kommt der Borkenkäfer. Hundert-, tausend-, millionenfach. Der Käfer setzt dem Wassertransport des Baumes nach dem Befall noch mehr zu. Der Baum versucht sich mit Harzproduktion zwar etwas zu wehren, aber oft ist es dann eben schon zu spät. Die gefühlt vermehrten Regenfälle in diesem Jahr haben auf den Wald jedenfalls geringe Auswirkungen gehabt, macht Leonz Küng klar. «Wenn man etwa 20 Zentimeter in den Boden geht, ist es trocken.» 10 Millimeter Regen pro Quadratmeter, das sei nichts. «Das kommt nicht mal in den Boden.» Für einen älteren Baum kann eine solche Situation verheerend sein. «Tiefwurzeln haben dann Probleme.»
Wo der Specht hämmert
Der Forstbetrieb Wagenrain umfasst 960 Hektaren Wald in den Gemeinden Bremgarten, Wohlen, Dottikon, Hägglingen und Waltenschwil. Eine stattliche Grösse im Kanton Aargau. Das Gebiet ist natürlich nicht isoliert von der Entwicklung in Mitteleuropa und hat somit mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. In der Schweiz ist es zwar nicht ganz so schlimm wie in Teilen Deutschlands, wo fast ganze Wälder Opfer einer Entwicklung wurden, die in den letzten Jahren stärker eingesetzt hat. Dort, wo monokulturartig nur eine Baumart steht, kann das zu ganz üblen Situationen führen. Aren- ja hektarenweise Kahlschlag wie in der deutschen Harzregion. Dort, wo der Wald flächendeckend fehlt, könnte dann theoretisch auch Bodenerosion einsetzen. Zumal Bäume an eher exponierten Stellen besonders gelitten haben.
Im Forstgebiet Wagenrain ist es zum Glück nicht ganz so schlimm wie in Deutschland, aber die Tendenz ist auch hier mehr als nur spürbar. Revierförster Leonz Küng erzählt, dass diesen Sommer einer der Forstmitarbeiter praktisch nur damit beschäftigt war, das Waldgebiet nach Borkenkäferbefall abzusuchen. Manchmal kann bei einer solchen Suche auch ein «gefiederter Freund» helfen: Dort, wo der Schwarzspecht hämmert, hat Befall wahrscheinlich eingesetzt. Denn der Specht ernährt sich auch vom Verzehr des Borkenkäfers. Die Auswirkungen des Borkenkäfers im Gebiet Wagenrain in der jüngsten Vergangenheit sind ziemlich bedeutend: «Die beiden letzten Jahre jeweils ein Hiebsatz», sagt Leonz Küng. Ein Hiebsatz bedeutet beim Forstbetrieb Wagenrain den stattlichen Umfang von rund 10 000 Kubikmetern. Mit anderen Worten: Eine Jahresmenge Holz notgefällt, allein wegen dem Käferbefall. Ein Befall, der die Qualität des Holzes mindert und damit auf dem mengenmässig völlig überschwemmten Holzmarkt tiefere Erlöse verursacht, die nicht einmal mehr selbsttragend sind. Solches Holz kann nicht mehr den höheren Ansprüchen, wie sie für Möbel gelten, genügen, aber immerhin noch für Baukonstruktionen, Pfähle oder ganz einfach als Brennholz dienen.
Extrem gefordert
Revierförster Leonz Küng steht in der Waldlichtung. Es wartet noch mehr Arbeit hier. An weiteren Tannen sind braune Nadelverfärbungen zu sehen. Die Forstmitarbeiter sind extrem gefordert durch die Situation. Denn befallene Bäume müssen möglichst schnell gefällt und entfernt werden. Der Borkenkäfer befällt nämlich nicht Totholz wie irrtümlicherweise von vielen Laien vermutet, sondern vielmehr wie bereits erwähnt geschwächte oder sogar gesunde Bäume, erklärt Küng. Darum müssen solche Areale auch schnell geräumt werden. Länger schon bestehendes Totholz kann aber liegengelassen werden.
Douglasie als mögliche Alternative
Revierförster Leonz Küng, aber auch Oberförster Anton Bürgi der vom WSL (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft und lange in der Betriebsleitung Wagenrain) befassen sich schon einige Zeit auch mit der Thematik, wie die Zukunft des Waldes aussehen könnte. Gewisse Baumarten wie die bereits erwähnte Fichte werden es schwer haben. Küng vermutet sogar, dass die Esche beispielsweise verschwinden wird. Gut jedenfalls, dass in den Gebieten des Forstbetriebes Wagenrain die Durchmischung vielerorts bereits stimmt. «Monokulturen haben wir schon lange nicht mehr», sagt Leonz Küng. Dort, wo Holz gefällt wurde, verjünge die Natur von sich aus dem Bestand. In 80 bis 90 Prozent der Fälle laufe das so, nur an wenigen Orten muss der Mensch mit Setzlingen aufforsten. Dennoch werden in Zukunft neue Baumarten wohl in die Bresche von Fichte und Co. springen müssen. So vermutlich die Douglasie. Sie ist in der Schweiz noch nicht so stark verbreitet, macht weniger als ein Prozent des Baumbestandes aus hierzulande. Sie ist aber bereits vor über 100 Jahren von Nordamerika nach Europa gebracht worden und gar nicht so artenfremd, wie Puristen vielleicht vermuten würden. Leonz Küng weist darauf hin, dass sie auch auf unserem Kontinent einst heimisch war – es gibt fossile Funde aus dem Tertiärzeitalter, also vor einigen Millionen Jahren.
Grundsätzlich seien die Altbestände schwächer geworden, bilanziert Revierförster Leonz Küng. Künftig würden die Umtriebszeiten – also die Lebenszeit eines Nutzbaumes – wohl noch 60 bis 80 Jahre betragen, je nach Baumart. Stämme von zwei Metern Durchmesser würden dann der Vergangenheit angehören, hält Küng fest. Der Forstbetrieb Wagenrain führt Karten, wo genau welche Bodenbeschaffenheit ist und wo deshalb welche Baumart am ehesten gedeihen kann. Gezielte Eingriffe könnten in Zukunft vielleicht öfter nötig sein, wer weiss. Die müssten aber dann wohl gut sitzen, um den Wald längerfristig gesund halten zu können.
«Die Sonne belastet einen»
Der Wald ist wichtig für den Menschen. Er ist Naherholungsgebiet, aber insbesondere auch die grüne Lunge, hält der Förster fest. Erst danach ist er ein Wirtschaftsfaktor mit Nutzholz. Wie weh tut einem Revierförster, den Wald unter Trockenheit und Käferbefall leiden zu sehen, mit all diesen Auswirkungen.» Leonz Küng: «Die Sonne belastet einen».