«Wir werden uns wehren»
03.12.2019 BremgartenSwissgrid muss die Starkstromleitung Niederwil–Obfelden auf eine Leistung von 380 Kilovolt hochfahren
«Freileitung oder Verkabelung im Boden» heisst die Kernfrage. Während die Gemeinden und Organisationen eine Versenkung der Starkstromleitung auf ihrer ...
Swissgrid muss die Starkstromleitung Niederwil–Obfelden auf eine Leistung von 380 Kilovolt hochfahren
«Freileitung oder Verkabelung im Boden» heisst die Kernfrage. Während die Gemeinden und Organisationen eine Versenkung der Starkstromleitung auf ihrer ganzen Länge verlangen, zieht das Bundesamt für Energie aus Kostengründen weitgehend eine Freileitung vor. An der Infoveranstaltung fielen harte Worte.
Hans Rechsteiner
Die Leitung Niederwil–Obfelden ist Teil des Hochspannungs-Leitungsbauvorhabens Beznau–Mettlen. Sie ist für die Stromversorgung im Raum Aargau, Zürich, Innerschweiz von grosser Bedeutung und soll von einer 220-kV-Leistung auf 380 kV hochgefahren werden, was einen Neubau verlangt. Seit Jahren kämpfen die betroffenen Gemeinden und ringen unter anderen Natur- und Umweltorganisationen, die Jagd, Waldbesitzer, Landwirte um die beste Lösung. Geplant wird seit gefühlten 18 Jahren.
Bundesamt und Bauherrin Swissgrid luden am letzten Donnerstag zuerst die Behörden und nach einem Apéro die Bevölkerung ins Bremgarter Casino ein zur Orientierungsversammlung, denn vom 2. Dezember bis 29. Februar liegt der Vorschlag für den Sachplan «Planungskorridor» auf den Gemeindekanzleien und beim Kanton öffentlich auf. Allerdings fühlten sich die Gemeinderäte etwas überrumpelt, weil die Unterlagen noch nicht in den Gemeinden angekommen waren. Sie hatten also keine Ahnung, was sie an der Orientierungsversammlung erwarten würde. Entsprechend war das Resultat beziehungsweise waren ihre Reaktionen.
«Nur» eine Anhörung
Hauptredner war Werner Gander vom federführenden Bundesamt für Energie. Er erklärte vor allem die Vorgehensweise und erläuterte, dass in der Gesamtbetrachtung sehr viele Kriterien einfliessen, darunter Lärm, Umwelt, Technik und vor allem auch Wirtschaftlichkeit. Der vorgeschlagene Planungskorridor, der schlussendlich vom Bundesrat festzulegen ist, stecke heute erst in der Vorbereitungsphase. Sein Bundesamt und Swissgrid erfüllten die Aufgabe, alle Vor- und Nachteile jeder Variante als Entscheidungsgrundlagen aufzuzeigen, um den besten Ausführungsentscheid herbeizuführen. Gander betonte aber auch, dass wirtschaftliche Kriterien – also die Kosten – eine entscheidende Rolle spielen. Und dass das Ganze «keine demokratische Angelegenheit» sei, sondern nur eine Anhörung.
Werner Gander sagte aber auch explizit, dass eine durchgehende Verkabelung unter Boden gesetzmässig und unter Einbezug aller Interessen nicht möglich sei, auch aus Kostengründen, und dass fürchterliche Schneisen durch die Wälder auch nicht möglich seien. Man plädiere lieber für eine Hybrid-Lösung zwischen Freileitung und Bodenkabel, etappiert. Ins wichtige Detail gingen die Protagonisten nicht. Interessiert hätte zum Beispiel die favorisierte detaillierte Linienführung. Grundsätzlich kann man sagen, dass im neuen Planungskorridor die Leitungsführung von den Siedlungsrändern weggeleitet wird und dass man auch mal in eine Waldschneise wechseln kann – und zum Beispiel der Linie der «Driessgerstross» durch den Wohlerwald folgen könnte.
Es knallte heftig
Unter den Gemeindevertretern wurde die Diskussion eröffnet – und es knallte heftig. Hans Kneubühler, Präsident des Vereins Verträgliche Starkstromleitung Reusstal, fasste schon zu Anfang zusammen: «Sie präsentieren uns da die allerschlechteste Variante. Wollt ihr euch wirklich auf eine jahrzehntelange juristische Auseinandersetzung einlassen?» Kneubühler erinnerte an das Mitwirkungsverfahren, als 28 Gemeinden im Bünz- und im Reusstal sowie 13 Organisationen ihre Stellungnahmen abgaben. Als klarer Favorit ging dabei unter sieben Vorschlägen die Variante Kabelleitung von Niederwil durch das Reusstal entlang der bestehenden Freileitung mit Anschluss in Zwillikon an die bestehende Freileitung bis Obfelden hervor – verkabelt. Fast die ganze Länge von 17 Kilometern sollte verkabelt unter Boden geführt werden. Am Orientierungsanlass traten die Gemeindeammänner heftig auf. Walter Koch (Niederwil) redete am deutlichsten: Er sei seit 18 Jahren dabei und sehr enttäuscht. Er finde es einen erschreckenden Affront und habe endgültig genug, immer wieder Stellungnahmen schreiben zu dürfen, die dann doch schnöde abgelehnt würden. Anton Laube, Präsident der vorberatenden Begleitkommission: «Hermetschwil-Staffeln ist sehr betroffen. Die hier vorgestellte Variante entspricht überhaupt nicht dem, was wir besprochen haben. Wir werden uns wehren.» Laube verlangt sogar, die Detailprotokolle aus allen Besprechungen auf allen Stufen im Internet öffentlich zu machen. Vorausberechnungen sagen, dass die hier vorgeschlagene Variante Investitionen von 66 Millionen Franken verlangt und zudem «Lebenszykluskosten» von 81 Millionen Franken erfordert. Eine Vollverkabelung im Boden bräuchte Investitionskosten von 146 Millionen Franken und würde «Lebenszykluskosten» von 184 Millionen Franken nach sich ziehen.
Unterschiedliche Haltungen
Nach der Veranstaltung äusserten sich noch die Behörden von Besenbüren, Bremgarten und Fischbach-Göslikon. Mario Räber, Gemeindeammann Besenbüren, findet, die heutige Technik sollte eine Unterbodenführung doch möglich machen. Das Argument, wegen dem Vogelschutz müsse man die Leitung unter die Reuss nehmen, überzeugt ihn nicht. «Ist denn der Schutz der Bevölkerung weniger wert?», fragt er. Deutlich wird Mario Räber, wo es um den demokratischen Umgang untereinander geht. «Das Vorgehen in dieser Sache entspricht gar nicht unserem schweizerischen Verständnis. Dieses Verfahren ist ein Hohn. Die Gemeinden werden übergangen.» Dass seine Gemeinde Besenbüren am riesigen Übergangsgebäude Freude haben werde, glaubt Mario Räber auch nicht.
Für Bremgarten nimmt Doris Stöckli Stellung. Der Stadtrat konnte noch keine Beurteilung vornehmen, einfach, weil die konkreten Unterlagen noch nicht vorlagen. Eine neue Linienführung weit rechts am Rand der Oberebene würde dieses Gebiet aufwerten, sagt sie, und dass sich Hermetschwil-Staffeln selbstverständlich starkmache wegen der beschlossenen Kiesabbauzone «Rauestein», wo alte Masten im Weg stehen. Eine besonnene Stimme aus Fischbach-Göslikon: Gemeindeammann Hans Peter Flückiger findet, man solle die Sache mit etwas gesundem Augenmass beurteilen. Natürlich wäre die bequemste Variante die Versenkung der Leitung im Boden. Doch er findet den Verlauf durch den Bremgarterwald irgendwie vernünftig. Es sei schon ein Riesenfortschritt, dass die Arbeitsgruppe nur schon mit dem Naturschutz Einvernehmen erzielte. Den neuen Abstand von der Siedlungszone findet er sympathisch. Hans Peter Flückigers Intention wäre ein versöhnlicher Ansatz.