«Politik entfernt sich vom Bürger»
31.12.2019 WohlenInterview mit dem scheidenden Präsidenten des Einwohnerrates Edi Brunner
Als Sprecher der SVP galt er als «Polterer». Und seine Wahl zum Vize vor vier Jahren war nicht unumstritten. Heute sind sich alle einig: Der abtretende Präsident hat seine Arbeit ...
Interview mit dem scheidenden Präsidenten des Einwohnerrates Edi Brunner
Als Sprecher der SVP galt er als «Polterer». Und seine Wahl zum Vize vor vier Jahren war nicht unumstritten. Heute sind sich alle einig: Der abtretende Präsident hat seine Arbeit gut gemacht. «Der Rollenwechsel ist mir gelungen», freut sich Edi Brunner selber.
Chregi Hansen
Heute endet ihre Amtszeit. Mit welchem Gefühl werden Sie um Mitternacht anstossen?
Edi Brunner: Ich habe dieses Amt gerne und mit viel Herzblut ausgeübt. Daher fällt es mir schon etwas schwer, jetzt loslassen zu müssen, das gebe ich zu. Aber ich weiss, dass sich Meinrad Meyer auf dieses Amt ebenso freut wie ich damals und die Arbeit sicher sehr gut machen wird.
Was war Ihre allerletzte Amtshandlung?
Die liegt noch vor mir. Wenn ich später dann die letzten Protokolle unterschreiben muss. Zudem werde ich die erste Sitzung im neuen Jahr als Gast besuchen und anschliessend mit dem neuen Präsidenten feiern. Er hat mich eingeladen, die Einladung nehme ich gerne an.
Und dann folgt die grosse Leere…
Ganz sicher nicht. Ich werde mich zwar politisch tatsächlich etwas zurückziehen und sicher nicht an jeder Sitzung auf der Tribüne sitzen. Ich habe genug andere Hobbys und bleibe auch weiterhin Richter. Zudem werde ich im Sommer pensioniert und plane dann eine längere Reise. Langweilig wird mir sicher nicht.
Bei Ihrem Start vor zwei Jahren sagten Sie, das Amt des Präsidenten werde völlig überbewertet. Hat sich das bestätigt?
Zu dieser Aussage stehe ich weiterhin. Es ist ein schönes Amt, gerade auch dank der vielen Einladungen zu den verschiedensten Anlässen. Aber eigentlich handelt es sich um ein Ehrenamt. Viel zu sagen hat der Präsident nicht, die Macht liegt eindeutig beim Gemeinderat.
Aber die Macht sollte doch beim Parlament liegen.
Das ist eine politische Frage, und dazu will ich mich am Ende der Amtszeit eigentlich nicht mehr äussern.
Allgemein wird dem Rat heute attestiert, dass es geordneter zu und her geht als früher.
Das ist so. Aber das ist nicht mein Verdienst, dazu haben alle beigetragen.
Ist es heute manchmal nicht fast zu ruhig?
Ganz ehrlich: Manchmal hätte ich mir schon gewünscht, dass jemand etwas kritischer auftritt. Gerade auch meine Partei (lacht). Es braucht keine Dauer-Opposition, aber ab und zu soll man auch mal Nein sagen. Und ganz ehrlich: Wenn der Rat das Vorgehen des Gemeinderates in Sachen Stellenerhöhung einfach frisst, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Es kann nicht sein, dass wir an einem Montag das Budget samt Stellenplan beschliessen und zwei Tage später eine solche Vorlage verschickt wird. Da muss das Parlament jetzt klar Stellung beziehen. Das erwarte ich von ihm. Wenn ich noch dabei wäre, würde es sicher lauter werden (lacht).
Sie sagten beim Antritt auch, dass Sie hoffen, dass Ihre Wahl später niemand als Fehler ansieht. Ist das passiert?
Ich kann voller Freude sagen, dass ich sehr viele positive Rückmeldungen erhalten habe, auch von politischen Gegnern. Sie attestierten mir, dass ich mich tatsächlich neutral verhalte – daran hatten zu Beginn einige gezweifelt. Denn zuvor galt ich ja als Polterer im Rat. Aber das war damals meine Rolle als Sprecher der grössten Partei. Heute kann ich wohl sagen, dass mir dieser Rollenwechsel gelungen ist.
Welche Rückmeldungen gab es aus dem Volk?
Mehrheitlich positive. Ich hatte insgesamt nur zwei negative Erlebnisse. Einmal wollte mir jemand an einem Anlass wegen meiner Parteizugehörigkeit explizit nicht die Hand geben. Und einmal wurde ich in der Öffentlichkeit heftig kritisiert, weil sich die SVP für einen Steuerfuss von 110 Prozent ausgesprochen hat. Erst später hat diese Person gemerkt, dass ich persönlich für 113 Prozent war. Und hat sich bei mir entschuldigt.
Welche Noten würden Sie sich selber geben nach diesen zwei Jahren?
Das müssen andere beurteilen. Es gibt sicher Sachen, die ich hätte besser machen können. Mein schlechtes Namensgedächtnis beispielsweise ärgert mich. Und ab und zu gab es kleine Fehler in der Sitzungsleitung, das hat mich jeweils genervt – selbst wenn es kaum jemand gemerkt hat.
Vor zwei Jahren sagten Sie auch: «Ich hoffe, dass der Rat am Ende meiner Amtszeit durch gute und effiziente Arbeit die wichtigen Projekte aufgegleist hat, besonders den Schulraum.»
Da haben wir versagt, das müssen wir uns eingestehen. Und das ärgert mich, denn hier müsste es wirklich endlich vorwärtsgehen. Und wir müssen uns mit diesem Bau kein Denkmal setzen, sondern den dringend nötigen Schulraum für unsere Kinder bereitstellen. In anderen Gemeinden sieht man immer wieder, dass es auch günstige Lösungen gibt. Warum das in Wohlen so kompliziert ist, das kann ich mir auch nicht erklären.
Was hat Sie in Ihrer Amtszeit am meisten genervt?
An den Sitzungen selber nichts. Dass manchmal etwas heftiger diskutiert wird, das gehört zum Parlament. Wirklich geärgert hat mich gerade jetzt die Vorlage für die Stellenerhöhungen.
Und was hat Sie am meisten gefreut?
Es fällt mir schwer, etwas herauszuheben, es waren insgesamt einfach zwei gute Jahre. Was mich wirklich gefreut hat, ist das gute Verhältnis untereinander im Rat. Über alle Parteigrenzen hinweg.
Welcher Entscheid hat Sie am meisten gefreut?
Auch hier kann ich kein einzelnes Geschäft hervorheben. Woran ich wirklich Freude habe, ist die wunderbare Sportanlage, die in Wohlen entstanden ist. Darauf können wir stolz sein.
Woran hatten Sie keine Freude?
Am Entscheid, dass der Posten der Kantonspolizei in Wohlen aufgehoben wird. Wir sind eine Zentrumsgemeinde, wir haben gewisse Probleme mit Kriminalität, ich kann nicht verstehen, warum man dann den Posten hier abzieht. Als wolle man dem Problem bewusst aus dem Weg gehen. Aber das hat nichts mit dem Einwohnerrat zu tun, das hat der Kanton so entschieden.
In Ihrer Abschiedsrede haben Sie explizit «die vier Engel» vom Ratsbüro gelobt. Und hervorgehoben, dass Sie selber nur ein Amateur sind. Ist Politik heute zu anspruchsvoll und komplex geworden für einen Normalbürger?
Ich glaube schon, dass gewisse Entscheide und Geschäfte nur noch schwer verständlich sind, weil die gesetzlichen Vorgaben und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen immer komplexer werden. Die Politik entfernt sich meiner Meinung nach immer mehr vom Bürger, viele Geschäfte sind so anspruchsvoll, dass der Einzelne sie nicht durchschauen kann. Dann muss er auf sein Bauchgefühl hören. In diesen Fällen müsste man sich auf die Verwaltung verlassen können. Aber die Abstimmung über die Abschaffung der Heiratsstrafe hat gezeigt, dass diese eben auch nicht immer richtig rechnet. Das beweist: Es braucht unbedingt Politiker, die kritisch hinschauen.
Das wäre in Wohlen doch die Aufgabe der FGPK.
Nein, es ist die Aufgabe aller gewählten Einwohnerräte. Die FGPK hat in ihren ersten zwei Jahren mit vielen internen Problemen zu kämpfen.
Wie haben Sie das erlebt?
Ich habe das Ganze hautnah mitbekommen, da ich jeweils die Protokolle der Kommissionssitzungen bekommen habe. Das fing mit den vielen Absenzen an. Dass das Mitmachen in einer solchen Kommission mit einem hohen Aufwand verbunden ist, das hätte man doch schon früher wissen können. Letztlich aber hat die Kommission ihre Arbeit immer erledigt. Und zu den internen Querelen möchte ich mich nicht äussern.
Sie durften in diesen zwei Jahren viele Anlässe besuchen und kennenlernen. Gibt es auch solche, an denen Sie auch in Zukunft teilnehmen werden?
Ja. Zum Beispiel das Motocross. Da war ich in früheren Jahren schon mal Gast, aber es hat mir jetzt so gut gefallen, dass ich die Rennen sicher regelmässig besuchen werde. Auch am Trachtenabend war es mir sehr wohl, da werde ich wohl wieder hingehen. Ebenso an den Anlässen im Bifang werde ich mich in Zukunft vermehrt sehen lassen. Dort wurde ich als Einwohnerratspräsident von Anfang an mit offenen Armen empfangen. Keine Selbstverständlichkeit bei einem SVP-Politiker.
Sie treten als Einwohnerrat zurück, aber behalten Ihr Richteramt. Wie lange noch?
Nächstes Jahr sind wieder Wahlen. Und gerne werde ich eine weitere Amtsperiode machen, wenn man mir wieder das Vertrauen ausspricht. Danach müsste ich altershalber aufhören. Die Aufgabe als Bezirksrichter gefällt mir sehr. Sie ermöglicht ganz spannende Einblicke in das Leben in der Region. Man staunt, was hier alles so passiert.
Sie sind selber kein Jurist. Welchen Beitrag können Sie überhaupt leisten?
Die juristische Sicht überlassen wir den Fachleuten. Was wir in die Diskussion einbringen können, ist die menschliche Sicht. Allenfalls ein gewisses Verständnis. Oder auch das Umgekehrte, dass man etwas klar ablehnt. Wir Laien werden tatsächlich ernst genommen und können uns bei den Diskussionen einbringen.
Die SVP fordert meist einen harten Umgang mit Kriminellen. Wie handhaben Sie das als Richter?
Ich bin durchaus auf der härteren Linie – gerade auch, wenn es um Ausschaffungen geht. Aber wenn man mehr Einblicke hat in die Materie, betrachtet man vieles etwas anders, differenzierter. Da gab es in den letzten Jahren durchaus lehrreiche Momente für mich. Etwa bei jungen Leuten, die aus verschiedenen Gründen vom rechten Weg abgekommen sind. Unter ihnen gibt es oft ganz tragische Schicksale. Daher finde ich es gut, dass diese Menschen bei uns eine zweite Chance erhalten. Umgekehrt verstehe ich aber auch den Wunsch der Bevölkerung, dass sie vor solchen Taten geschützt werden will. Letztlich basiert unser Rechtssystem aber auf der Wiedereingliederung der Täter.
Erst der Rücktritt aus dem Parlament, im Sommer dann die Pensionierung. Für Sie beginnt ein neues Leben. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Auf die Reise mit dem Motorrad, die ich diesen Sommer geplant habe. Ich werde zusammen mit meiner Frau den Finnischen Meerbusen umrunden. Diese Freiheit, einfach mal loszufahren und dort Pause zu machen, wo es uns gefällt, darauf freue ich mich extrem.