Erster Schritt zur Versöhnung
26.11.2019 WohlenGemeinde Wohlen feierte die Wahl von Jean-Pierre Gallati in den Aargauer Regierungsrat
Wohlen und Gallati, das ist alles andere als eine Liebesgeschichte. In Zukunft muss man wieder aufeinander zugehen.
Chregi Hansen
Es ist ...
Gemeinde Wohlen feierte die Wahl von Jean-Pierre Gallati in den Aargauer Regierungsrat
Wohlen und Gallati, das ist alles andere als eine Liebesgeschichte. In Zukunft muss man wieder aufeinander zugehen.
Chregi Hansen
Es ist wohl eher selten, dass ein neuer Regierungsrat ausgerechnet in seiner Wohngemeinde eine derart deftige Niederlage kassiert. Mehr als 200 Stimmen lag Jean-Pierre Gallati in Wohlen hinter Yvonne Feri. Am Schluss konnte der SVP-Kandidat aber doch strahlen. Nach einem spannenden Tag schaffte er die Wahl mit knapp 1600 Stimmen Vorsprung auf die Vertreterin der SP.
Wohlen und Gallati, das ist eben keine unbelastete Beziehung. Oder wie es Ammann Arsène Perroud ausdrückte: «Er hat als Einwohnerrat durchaus provoziert, sich prononciert geäussert und ist kaum je von seiner Haltung abgewichen.» Damit hat er sich in seiner Wohngemeinde nicht nur Freunde gemacht. Seine Angriffe auf den ehemaligen Gemeindeammann Walter Dubler haben Wohlen viel Geld gekostet. Und auch später als Grossrat in Aarau hat er sich nicht gerade für die Interessen seiner Gemeinde eingesetzt.
Gute Erinnerungen ans Casino
Trotzdem: Wohlen und die Region seien stolz, wieder einen Regierungsrat zu stellen, fuhr Perroud fort. 110 Jahre ist es her, seit Hermann Huber als letzter Wohler die Geschicke des Aargaus im Regierungsrat mitgelenkt hat. Entsprechend stolz ist auch Gallati selber. Und er freute sich sehr über das Fest im Casino. «An diesen Ort habe ich gute Erinnerungen. Erst die tollen Fasnachtsbälle. Später die vielen, oft turbulenten Sitzungen im Einwohnerrat», sagte er. Die Zeit im Wohler Parlament sei für ihn äusserst lehrreich gewesen. Es sei für ihn eine grosse Ehre, nun Wohlen und das Freiamt im Regierungsrat zu vertreten. Gleichzeitig ist er sich bewusst: «Es gibt keine Schonfrist für mich, in einem Jahr sind bereits die nächsten Wahlen.»
Die Sieger: Gallati, Burkart, Knecht
Ständerats- und Regierungsratswahlen: Der Wohler Jean-Pierre Gallati (SVP) wird neuer Regierungsrat
Ein knappes und spannendes Rennen lieferten sich der Wohler Jean-Pierre Gallati (SVP) und die Wettingerin Yvonne Feri (SP) um den freien Sitz im Regierungsrat. Mit einem knappen Sieg für den Wohler. In den Ständerat wurden Thierry Burkart (FDP) und Hansjörg Knecht (SVP) gewählt.
Daniel Marti
Während das Fernduell zwischen Jean-Pierre Gallati und Yvonne Feri von Hochspannung bis zur letzten Ergebnismeldung geprägt war, blieb das Rennen um die zwei Aargauer Sitze im Ständerat ziemlich unspektakulär. Das favorisierte Duo setzte sich durch: Thierry Burkart mit 99 372 Stimmen setzte sich deutlich ab, gefolgt von Hansjörg Knecht mit 73 692 Stimmen. Klar geschlagen wurden Marianne Binder (CVP) mit 61 657 Stimmen und Ruth Müri mit 58 754 Stimmen.
Auffallend ist, dass Burkart in allen elf Bezirken unter den ersten zwei zu finden ist. Das ist eine deutliche Sprache. Knecht gelang dies nur in neun Bezirken. Marianne Binder schaffte es im Bezirk Baden auf den zweiten Platz, Ruth Müri wurde im Bezirk Aarau Zweite. Thierry Burkart verteidigte so den FDP-Sitz von Philipp Müller. Hansjörg Knecht gewann für die SVP diesen Sitz neu dazu. Pascale Bruderer (SP) trat zur Wiederwahl wie Müller nicht mehr an. Die SP verlor also diesen Sitz im Ständerat.
Vier Bezirke für Feri, sieben für Gallati
Im Regierungsrat konnte Jean-Pierre Gallati den Sitz von Franziska Roth verteidigen. Die SVP-Politikerin war nach zwei Jahren zurückgetreten. Die Ausmarchung zwischen den beiden Nationalräten Jean-Pierre Gallati und Yvonne Feri wurde zum Kopf-an-Kopf-Rennen. Dies hatte man nach dem ersten Wahlgang nicht unbedingt erwarten können, denn damals hatte Gallati einen Vorsprung von über 19 000 Stimmen.
Nun lautete das Resultat 77 462 Stimmen für Gallati und 75 869 Stimmen für Feri. Der stolze Vorsprung ist also auf unter 2000 Stimmen geschmolzen.
Eine Mehrheit der Bezirke stimmte für den Kandidaten aus Wohlen. Gallati siegte in den Bezirken Bremgarten, Kulm, Laufenburg, Lenzburg, Muri, Zofingen und Zurzach. Feri holte sich die Bezirke Aarau, Baden, Brugg und Rheinfelden. Bei keinem Bezirk gab es ein sehr deutliches Resultat.
In Wohlen: Vom deutlichen Sieg zur knappen Niederlage
Ein Bild setzte sich markant durch: Jean-Pierre Gallati siegt praktisch überall auf dem Land, bei kleineren Gemeinden. Yvonne Feri holte sich die Siege in den grösseren Ortschaften. Zu Hause im Freiamt gewann Gallati fast flächendeckend. Nur in fünf Gemeinden war Feri vorne: in Bremgarten, Jonen, Rudolfstetten, Muri und überraschenderweise in Gallatis Wohnort Wohlen. Mit Bremgarten und Muri stimmte die Mehrheit in den Bezirkshauptorten nicht für den Einheimischen. Bemerkenswert ist das Ergebnis in Wohlen: Feri holte im ersten Wahlgang in der grössten Freiämter Gemeinde 861 Stimmen. Diese Zahl steigerte sie nun auf 1631 Stimmen. Für Gallati stimmten im ersten Wahlgang in Wohlen 1301 Personen, im zweiten Wahlgang waren es 1422 Stimmen. Aus einem Sieg im ersten Wahlgang mit 440 Stimmen Vorsprung wurde eine Niederlage im zweiten (mit 209 Stimmen Rückstand). Ein erstaunlicher Wandel, mit dem kaum jemand gerechnet hat. Im letzten Moment erinnerte sich der eine oder andere Stimmbürger wohl doch daran, dass zwischen der Gemeinde Wohlen und dem neuen Regierungsrat in der Vergangenheit nicht immer alles reibungslos verlaufen ist. Der Trend, dass Feri in den grösseren Gemeinden siegte, setzte sich im zweiten Wahlgang eben noch verstärkter fort. Sie dominierte die meisten Bezirkshauptorte und Gemeinden mit über 10 000 Einwohnern: Aarau, Baden, Brugg, Rheinfelden, Lenzburg, Möhlin, Suhr, Wettingen, Zofingen gingen wie Bremgarten, Muri und Wohlen an die Nationalrätin aus Wettingen. Von den grösseren Ortschaften holte sich der Wohler Neu-Regierungsrat einzig die Ortschaften Oftringen und Spreitenbach. Dafür war Gallati in den unzähligen kleineren Gemeinden schier unschlagbar. Jean-Pierre Gallati war der grosse Dominator im ländlichen Raum, der nun ins grosse und bedeutungsvolle Aarau ziehen darf.
Das Herz nicht vergessen
Nach einem Wahlkrimi feierte Jean-Pierre Gallati seinen Einzug in den Regierungsrat im Casino
Der Favorit hat sich am Schluss doch durchgesetzt. Die Aargauer wählten am Sonntag Jean-Pierre Gallati in den Regierungsrat. Allerdings musste er bis zuletzt bangen. Umso grösser war die Freude an der abendlichen Wahlfeier.
Chregi Hansen
Die Verantwortlichen der Gemeinden dürften ebenfalls gezittert haben. Denn in Wohlen war alles vorbereitet für die grosse Feier, als das Pendel plötzlich zugunsten von Yvonne Feri kippte. Im Laufe des Nachmittags lag die SP-Kandidatin zwischenzeitlich vor Jean-Pierre Gallati. Am Schluss aber hat es dem Wohler Kandidaten gereicht. Knapp zwar, mit 50,52 Prozent der Stimmen. Aber Sieg ist Sieg.
Und so waren die Vorbereitungen der Gemeinde nicht umsonst. Aber auch Gallati selber war die Erleichterung anzusehen. Wirkte er beim feierlichen Einzug ins Casino den ersten Gratulanten noch angespannt, wurde er im Laufe des Abends immer gelöster. Und bei seiner Rede an die Anwesenden strahlte er über das ganze Gesicht. Wie gross die Anspannung aber gewesen sein muss, zeigte sich an einem kleinen Detail. Immer mal wieder schlich er sich heimlich weg von den Gratulanten und aus dem Saal, um eine Zigarette zu rauchen. So im Mittelpunkt zu stehen, daran muss er sich erst gewöhnen. Genau so wie an die Tatsache, dass sein Auftritt von mehreren Polizisten in Zivil überwacht wurde.
SVP wird nicht plötzlich zahm
Den Reigen der Redner eröffnete dann Einwohnerratspräsident Edi Brunner. Er verglich das Gesundheitsdepartement des Kantons mit einem führungslosen Schiff, das nun endlich wieder einen Kapitän erhält. «Und zwar genau den richtigen», so Brunner. Er ist überzeugt, dass sein Parteikollege ein hervorragender Regierungsrat sein wird. «Wenn er sich einmal in ein Thema verbeisst, lässt er nicht mehr los, bis er sein Ziel erreicht hat», so seine Einschätzung. Für Brunner ist Gallati denn auch der «richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort».
Die Glückwünsche der SVP Aargau überbrachte der Vizepräsident, da Präsident Thomas Burgherr zeitgleich an der Wahlfeier des neuen Ständerates Hansjörg Knecht war. «Ich sass mit Jean-Pierre drei Jahre lang in der Gesundheitskommission. Er war an jeder Sitzung perfekt vorbereitet», berichtete Clemens Hochreuter, der sich auf die weitere Zusammenarbeit freut. Gleichzeitig sprach er eine Warnung aus. «Die SVP wird nach dieser Wahl nicht zahm, wir werden auch dir genau auf die Finger schauen.»
Tipps vom Nachbarn
Von einem Freudentag sprach René Bodmer, der Präsident der Bezirkspartei. Aber er ist sich auch bewusst: «Die Freude und die Lobeshymnen sind bald verflogen, jetzt wartet harte Arbeit auf dich.» Tipps erhielt Gallati auch von Peter Wertli, der nicht nur als früherer Gesundheitsdirektor, sondern auch als Nachbar ans Mikrofon trat. «Auch wenn wir aus politisch unterschiedlichen Parteien kommen, so verstehen wir uns privat gut», verriet er. Er forderte den neuen Regierungsrat auf, bei aller Freude nicht zu vergessen, dass es auch Menschen gibt, denen es nicht so gut geht in diesem Kanton. «Auch diese brauchen unsere Hilfe. Also verwende nicht nur deinen scharfen Verstand, sondern höre auch auf dein Gefühl und dein Herz», so Wertli an die Adresse seines Nachbarn.
Ammann Arsène Perroud machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. «Natürlich hätte ich mir ein anderes Resultat für meine Parteikollegin gewünscht», gestand der SP-Politiker. «Aber auch das gehört zur Politik, dass man verlieren und trotzdem weiter zusammenarbeiten kann», fügte er an. Der knappe Ausgang der Wahl ist für ihn ein Signal, dass die Sieger auch auf die Minderheiten achten müssen. Für die Region und für Wohlen erachtet es Perroud als erfreulich, dass man jetzt einen direkten Draht in die Regierung habe. «Natürlich bist du für den ganzen Kanton zuständig, aber wir hoffen schon, dass du bei den Entscheidungen die Heimat nicht ganz vergisst», so die Botschaft des «Amme».
Von Fehltritten und Schleudersitzen
Gallati selber strahlte, als er ans Renderpult schritt. Er freute sich besonders, dass auch eine Delegation aus Waltenschwil im Casino war, schliesslich hat er dort seine Jugendjahre verbracht. «Und dort ist mein Ruf besser als hier in Wohlen», ist er sich bewusst. Gallati outete sich auch als Fasnächtler, weil man sich da hinter einer Maske versteckt so manchen Fehltritt erlauben darf. Und Fehltritte habe es später auch im Einwohnerrat gegeben, gestand er ein.
Jetzt freue er sich aber, als Vertreter des Freiamts und von Wohlen in der Regierung mitzuwirken. Gleichzeitig weiss er, dass er vom ersten Moment an schwer unter Druck steht. «Ich sitze auf einem Schleudersitz», sagte er im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen im nächsten Jahr. Ihm bleibt also nur sehr wenig Zeit, um seine Wahlversprechen auch umzusetzen.