Aufstieg in der Ferne
08.11.2019 Wohlen
Barbara Schaffner, die neue Nationalrätin aus Otelfingen, stammt ursprünglich aus Anglikon
Wohlen hat nicht zwei, sondern drei Sitze im Nationalrat gewonnen. Neben Matthias Jauslin und Jean-Pierre Gallati schaffte auch die Anglikerin Barbara Schaffner den Sprung ...
Barbara Schaffner, die neue Nationalrätin aus Otelfingen, stammt ursprünglich aus Anglikon
Wohlen hat nicht zwei, sondern drei Sitze im Nationalrat gewonnen. Neben Matthias Jauslin und Jean-Pierre Gallati schaffte auch die Anglikerin Barbara Schaffner den Sprung nach Bern. Allerdings im Kanton Zürich.
Chregi Hansen
Es ist neblig in Otelfingen. «Das ist bei uns wie früher im Freiamt», lacht Barbara Schaffner, als sie ihren Gast vom Gemeindehaus zum Restaurant Brauerei führt. Auf dem Weg wird sie gegrüsst, vor der Beiz gratuliert ihr die Wirtin zum Wahlerfolg. «Es ist schön, dass auch mal andere nach Bern gehen», sagt diese, während sie die Bestellung aufnimmt.
«Ich habe sehr viele Gratulationen erhalten», strahlt die frisch gewählte Nationalrätin. «Im Dorf freut man sich über diesen Erfolg, auch wenn man in einer anderen Partei ist», fügt sie an. Dass man hier eben zusammenhält, zeigt sich deutlich an den Resultaten. In der 3000-Seelen-Gemeinde hat sie am viertmeisten Stimmen erhalten, vor ihr liegen nur drei SVP-Kandidaten, hinter ihr 32 weitere Vertreter der «Sünneli-Partei». Schaffner selber ist Kandidatin der Grünliberalen.
Auf den Spuren der Mutter
Otelfingen ist SVP-Land. Der Wahlanteil der Volkspartei liegt bei 37 Prozent. Der bekannteste Politiker der Gemeinde ist Ernst Schibli, früherer Nationalrat und Kantonsrat der SVP. Und viele Jahre auch Gemeindepräsident. Seit letztem Jahr hat nun Barbara Schaffner dieses Amt. Die Kantonsrätin wurde neu in den Gemeinderat und gleich an dessen Spitze gewählt. Jetzt folgt sie Schibli auch in den Nationalrat.
Ihre Wahl fand auch im Freiamt Beachtung. Denn die studierte Physikerin und Energieexpertin stammt ursprünglich aus Anglikon. Hier ist sie aufgewachsen, hier hat sie die Primarschule besucht, später folgten Bez und Kanti in Wohlen. Zu ihren Kolleginnen aus dieser Zeit zählt Sandra Lehmann, Präsidentin der Grünliberalen Wohlen. «Ein Zufall, dass wir beide in der gleichen Partei sind», lacht Schaffner. Bekannt in der Region ist ihre verstorbene Mutter. Annemarie Schaffner war die erste Frau, die zur Präsidentin des Wohler Einwohnerrates gewählt wurde. Allerdings ist das nicht der primäre Grund, dass die Tochter sich jetzt ebenfalls politisch betätigt.
Sprung auf die grosse Polit-Bühne
Die ehemalige Anglikerin Barbara Schaffner wurde im Kanton Zürich in den Nationalrat gewählt
Fast unbeachtet hat am 20. Oktober eine weitere Wohlerin den Sprung nach Bern geschafft. Eine Frau mit einem prominenten Namen: Barbara Schaffner. Ihre Mutter ist noch heute vielen ein Begriff.
Chregi Hansen
Ihre Wahl war eine Überraschung. Im April letzten Jahres kürten die Stimmbürger von Otelfingen die Grünliberale Barbara Schaffner zur neuen Gemeindepräsidentin. Dass sie dies gleich im ersten Durchgang schaffte, war nicht unbedingt zu erwarten. Erstens war sie bislang nicht im Gemeinderat tätig. Zweitens gab es drei Kandidaten. Und drittens ist Otelfingen eigentlich eine SVP-dominierte Gemeinde.
Nicht zuletzt ist die neue Gemeindepräsidentin eine Zuzügerin. «Otelfingen ist weniger konservativ als sein Ruf. Die Menschen hier sind Neuzuzügern gegenüber recht offen, vor allem, wenn sie sich im Dorf engagieren», sagt Schaffner aber. Die Gemeinde verfügt zwar über einen Dorfkern, der im kantonalen Inventar der schutzwürdigen Ortsbilder aufgenommen ist – davon zeugen zahlreiche Riegelhäuser, die alte Mühle oder auch das Waschhaus. Gleichzeitig ist man durchaus modern, verfügt über eine Industriezone, einen Golfplatz oder auch ein Biomassekraftwerk. «Es ist ein guter Ort zum Wohnen», sagt Schaffner.
Politik war am Familientisch allgegenwärtig
Anderthalb Jahre nach ihrem Coup folgte der nächste – die 51-Jährige wurde im Kanton Zürich in den Nationalrat gewählt. Und wieder feierten viele Dorfbewohner mit ihr, die Politikerin erhielt viele Gratulationen. Dabei lebt sie erst seit rund 14 Jahren in Otelfingen. Ursprünglich stammt sie aus Anglikon. Schaffner, Anglikon, Politikerin: Das dürfte vielen bekannt vorkommen. Und tatsächlich: Ihre Mutter Annemarie Schaffner kennt man bestens in Wohlen, sie war die erste Frau an der Spitze des Einwohnerrates. 1982/83 war dies der Fall. Danach dauerte es 30 Jahre, bis eine weitere Frau zur höchsten Wohlerin gewählt wurde. «Das ist schon sehr lange her», staunt Schaffner, die neben ihrem Vater nur noch wenig Kontakt in ihre alte Heimat hat. Und meist nur zu Klassenzusammenkünften ins Freiamt reist.
«Natürlich war Politik bei uns zu Hause ein Thema», sagt die neue Nationalrätin. «Aber als Jugendliche fand ich das damals eher lästig.» Hängengeblieben sei aber die Offenheit, mit der am Tisch über alle Themen gesprochen wurde, die Sachlichkeit in den Diskussionen. Und die Tatsache, dass auch eine Frau beruflich und politisch Karriere machen kann. «Das hat mich ganz sicher geprägt.» Noch mehr hat die Mutter aber wohl den beruflichen Werdegang beeinflusst. Wie sie zog es Barbara Schaffner zu den Naturwissenschaften – sie hat Physik studiert und doktoriert. Später fokussierte sie sich auf Energiewissenschaften, arbeitete als Projektleiterin für Solarkraftwerke und leitet heute als Energieexpertin ihre eigene Firma eneba, welche Beratungen und Ingenieurleistungen im Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz anbietet.
Endlich die richtige Partei gefunden
Das Thema Klima ist für sie also kein Neuland. Und sowieso: «Das Thema bewegte die Menschen schon lange vor Greta», sagt sie. Der Club of Rome beispielsweise wurde schon 1968 gegründet und erreichte 1972 mit seinem Bericht «Die Grenzen des Wachstums» weltweite Beachtung. Sie selber wurde durch den Film «Eine unbequeme Wahrheit» von Al Gore vor gut 12 Jahren aufgerüttelt, danach begann sie sich politisch zu betätigen. Schaffner gehörte zu den Gründungsmitgliedern der GLP im Bezirk Dielsdorf. «Als diese Partei aufkam, wusste ich: hier bin ich am richtigen Ort. Ich bin zwar in Umweltfragen eine Grüne, stehe aber politisch in der Mitte», sagt sie.
Ihr Aufstieg verlief schnell. 2011 wird sie gewählt als Kantonsrätin, 2018 als Gemeindepräsidentin, 2019 als Nationalrätin. «Es hat einfach immer gepasst», gibt sie sich bescheiden, «und in einer kleineren Partei ist es auch leichter.» Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sie als Naturwissenschaftlerin weiss, wovon sie redet, wenn sie über das Klima spricht. Mit einer Wahl in den Nationalrat hat sie aber nicht unbedingt gerechnet. «Die Chancen lagen etwa bei 20 Prozent. Wir konnten zwar erwarten, dass wir zulegen, dass wir aber gleich so viele Sitze machen, das war dann doch überraschend», sagt sie. Statt drei Vertreter schickt die GLP Zürich deren sechs nach Bern. Von Listenplatz 7 aus holte Schaffner das fünftbeste Resultat der GLP Zürich. «Das freut mich, denn es ist für Kandidaten aus kleinen Gemeinden nie einfach. Da unterscheidet sich das Furttal nicht vom Freiamt. Umso mehr bin ich stolz über dieses Resultat», sagt sie.
Gar nicht so einfach, alles unter einen Hut zu bringen
Jetzt geht es also nach Bern. Wie wird das ihr Leben verändern? Bisher galt bei Barbara Schaffner die 30-30-30-Regel. 30 Prozent des Pensums nahm die Arbeit ein, 30 Prozent ihr Amt als Kantonsrätin, weitere 30 Prozent die Aufgabe als Gemeindepräsidentin. Als Kantonsrätin wird sie jetzt zurücktreten. «Der Aufwand als Nationalrätin ist sicher grösser, aber das wird sich einrichten lassen», sagt sie. Es sei eben ein Vorteil, wenn man ein eigenes Geschäft führe und sich die Familienarbeit mit dem Mann teile, sagt die Mutter von zwei jugendlichen Kindern. Aber natürlich – ein solcher Wechsel sei immer auch ein Risiko. Niemand kann garantieren, dass sie in vier Jahren wiedergewählt wird. «Doch ich brauche immer wieder neue Herausforderungen, will Neues kennenlernen. Sei das geografisch, beruflich oder auch politisch», sagt die 51-Jährige, die auch auf Auslandaufenthalte in den USA und Japan zurückblicken kann und mit einem Segelboot schon mehrmals den Atlantik überquert und den Pazifik bereist hat.
Die Wahl in den Nationalrat hat ihr einige Schlagzeilen eingebracht. Dabei arbeitet sie doch lieber im Hintergrund. «Die GLP ist eine Partei, die Lösungen sucht», sagt sie. Sie ist gespannt, in welchen Kommissionen sie in Bern Einsitz nehmen darf. Vom beruflichen Know-how her wäre der Bereich Energie am besten geeignet, «aber den möchten auch andere», lacht sie. Sie ist darum offen auch für andere Themen. Bereits jetzt wird sie mit Informationen und Unterlagen aus dem Bundeshaus eingedeckt. «Ich muss mir erst einmal einen Überblick verschaffen», gibt sie an.
Die Mitte ist gestärkt
Auf die kommenden vier Jahre freut sie sich. Auch wenn alles von der grünen Welle redet, «gestärkt wurde vor allem die Mitte». Es wird mehr um Lösungen gerungen werden müssen. Das stärkt die Position der Mitteparteien und führt zu ausgeglicheneren Resultaten. Gleichzeitig weiss sie, dass Veränderungen in der Schweiz Zeit brauchen. Als Beispiel nennt sie die Sackgebühren. «Am Anfang haben alle Gemeinden die Hände verworfen. Heute ist es der Normalfall und ein Beitrag zum Umweltschutz.»
Barbara Schaffner ist sich bewusst, dass mit der Wahl nach Bern ein neues Kapitel beginnt. Verändern will sie sich deswegen nicht. Dass sie eine öffentliche Person ist, stellt für sie nichts Neues dar – ganz aktuell ziert ihr Porträt die Titelseite der Furttaler Zeitung. Wichtiger als ihre Person sei sowieso die politische Arbeit und da ihr Einsatz für das Klima. «Schön, dass bei diesen Wahlen ein Umdenken stattgefunden hat, ohne dass es zuvor eine Katastrophe brauchte wie damals bei Fukushima», sagt sie. Jetzt aber müsse der Mensch handeln, sagt die Neo-Nationalrätin, bevor sie sich auf das E-Bike schwingt und in den Nebel radelt.