Wohlen is «awesome»
11.10.2019 WohlenDer australische Spitzen-Zehnkämpfer Cédric Dubler besucht erstmals seine Heimat Wohlen
Cédric Dubler ist ein Nachkomme der Strohbarone. Der Olympionike, der vor wenigen Tagen an der Leichtathletik-WM am Start war, besucht Verwandte in der Schweiz. Er kam ...
Der australische Spitzen-Zehnkämpfer Cédric Dubler besucht erstmals seine Heimat Wohlen
Cédric Dubler ist ein Nachkomme der Strohbarone. Der Olympionike, der vor wenigen Tagen an der Leichtathletik-WM am Start war, besucht Verwandte in der Schweiz. Er kam extra für ein Interview mit dieser Zeitung in seinen Heimatort Wohlen. Der Australier war begeistert.
Stefan Sprenger
Es regnet in Wohlen. Und zwar heftig. «No worries» – kein Problem, sagt Cédric Dubler und posiert für das Foto oberhalb des Wohler Kirchenplatzes. Dubler, ein lebensfroher Typ aus der australischen Stadt Brisbane, sagt lachend: «In Australien regnet es ja auch – allerdings fühlt sich das dort angenehm an, wie eine warme Dusche.»
Olympia-Ticket so gut wie sicher
Der 24-Jährige ist in der Leichtathletik-Szene einer der Grossen. Er hat letzte Woche die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Katar auf dem 11. Rang im Mehrkampf abgeschlossen. Er erreichte 8101 Punkte. Dies ist das höchste Resultat, dass jemals ein Australier an einer WM erreicht hat. Dubler, der an den Olympischen Spielen 2016 in Rio dabei war, hat sein Ticket für Olympia in Tokio im nächsten Jahr damit so gut wie sicher.
Und das Freiamt darf mitfiebern. Denn Dubler hat Wurzeln in Wohlen. Er entstammt der Strohdynastie. Die Brüder seines Urgrossvaters waren unter anderen Leo Dubler, der die Freiämter Hutflechtindustrie führte, oder Paul Dubler, der vor über 100 Jahren in der Welt herumreiste, um die Strohfabrikate zu verkaufen. Dass einige seiner Vorfahren dafür sorgten, dass Wohlen den Übernamen «Chly Paris» erhielt und weltbekannt wurde für die Strohprodukte, findet Dubler «erstaunlich und enorm spannend».
Der Profi-Leichtathlet gönnt sich nach der WM in Katar zwei Wochen Urlaub. Momentan besucht er Verwandte in der Schweiz. In Engelberg, der Westschweiz – und in Baar. Dort lebt sein Grossvater Gabriel Dubler senior. Der 94-Jährige war es, der das Treffen mit dem Spitzenleichtathleten einfädelte. Er legte einen Stopp ein und besuchte erstmals seinen Heimatort. Cédric Dublers Urteil über Wohlen? «Genial» – oder wie ein richtiger Australier zu sagen pflegt: «Awesome.»
Olympionike und Stroh-Nachkomme
Der australische Leichtathletik-Star Cédric Dubler zu Besuch in seinem Heimatort Wohlen
Sein Grossvater wünscht sich ein Treffen mit der Zeitung aus seiner alten Heimat. Enkel Cédric Dubler erfüllt den Wunsch und besucht Wohlen in seinem kurzen Schweiz-Urlaub. Der Australier erzählt von der hitzigen WM in Katar, seinem Traum einer Olympia-Medaille und er lernt die Strohindustrie kennen, die seine Vorfahren geprägt haben.
Stefan Sprenger
«Little Paris», so nannte man Wohlen. «Oh, wow», sagt Cédric Dubler. Über zwei Jahrhunderte war das Dorf weltbekannt für seine Stroherzeugnisse und ein kleines Modezentrum. «Really?» – wirklich?, fragt der Australier. Sogar der frühere Schauspielstar Audrey Hepburn trug einen Strohhut aus Wohlen. Dubler nickt und scheint beeindruckt zu sein.
Der Zehnkämpfer sitzt im Restaurant «Marco Polo» in Wohlen. Unweit davon war der Mittelpunkt der Strohindustrie. Vor rund 100 Jahren waren seine direkten Vorfahren grosse Köpfe der Strohdynastie. Er findet das «amazing» – einfach toll.
Von Beruf Leichtathlet – und der Beste seines Landes
Wohlen ist sein Heimatort. Doch er ist zum ersten Mal hier. Er hört interessiert zu beim «Crashkurs» in Wohler Strohgeschichte. Er fühlt sich als Tourist. Als besonderer Tourist, der vermutlich noch Rest-Adrenalin in der Blutbahn hat aus der Vorwoche. Dort startete er an der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Katar. Cédric Dubler ist ein Spitzensportler – und einer der besten Leichtathleten Australiens.
Er wohnt zu Hause bei seinen Eltern in Brisbane. Als Vollzeit-Leichtathlet verdient man nicht übermässig viel Geld. «The Government», die Regierung, unterstützt ihn. Er «arbeitet» zudem als Coach und hält Vorträge. In seinen Referaten geht es um einen gesunden Lebensstil, um die richtige Ernährung, guten Schlaf, optimales Training, Zeitmanagement und mentale Stärke. Dinge, über die er bestens Bescheid weiss, denn es ist sein Alltag.
Nach dem Frühstück wird trainiert, nach dem Mittagessen wird trainiert, dazu kommen Physiotherapie, Ernährungsberatung, Kraftraum oder Massage. «Ich bin happy, ich trainiere oft an der Sonne in Brisbane und kann machen, was ich liebe», lächelt er. Dubler verzichtet dafür auf vieles.
Der Einsatz zahlt sich jedoch aus. Er ist der beste Zehnkämpfer Australiens, das 25 Millionen Einwohner hat. Seit 2016 wurde er immer Landesmeister im Zehnkampf. In «Down Under» ist er ein Leichtathletik-Star. 27 000 Fans hat er auf der Social-Media-Plattform Instagram. Die sportbegeisterten Australier haben «eine hohe Erwartungshaltung an mich».
2016 an den Olympischen Spielen in Rio holte der Zehnkämpfer den 14. Rang mit 8024 Punkten. Als 21-Jähriger war dies mehr als ein Achtungserfolg. Letzte Woche an der WM erreichte er mit 8101 Punkten den 11. Rang. Es ist die höchste Punktzahl, die jemals ein Australier an einer WM erreichte. Wie immer gab es an einem Zehnkampf-Event «Höhen und Tiefen», wie er sagt. Diskus, Speer, Hürden, «da lief es mir super». Hochsprung und Stabhochsprung, «da hätte ich es besser machen können». Dieser 11. Rang «macht mich glücklich und hat mich gleichzeitig enttäuscht». Denn er weiss, dass er es besser kann.
Seine Urgrossonkel mischten im «Chly Paris» gross mit
Wenn Dubler an den Leichtathletik-Wettkämpfen an den Start geht, wird in der Schweiz von seiner Verwandtschaft – die alle den Heimatort Wohlen haben – am TV-Bildschirm mitgefiebert. Er hat Tanten und Cousinen in Engelberg und der Westschweiz. Eine davon ist Nadja Hödl (früher Dubler) aus Engelberg. Sie ist beim Treffen in Wohlen dabei. Die 58-Jährige sagt: «Die WM habe ich mitverfolgt und geschaut, was Cédric geleistet hat. Wir sind alle sehr stolz auf ihn.» Die Tante war die letzten 17 Jahre die Besitzerin des Cafés «Twiny» in Engelberg.
Am Tisch im «Marco Polo» versuchen Dubler und seine Tante den Stammbaum der Dublers etwas genauer zu analysieren. Wer sind die Vorfahren des heutigen australischen Spitzenleichtathleten? Ganz genau wissen sie es nicht.
Einer, der aber schon im Vorfeld des Treffens aufklärte, war Cédrics Grossvater Gabriel Dubler aus Baar. Der 94-Jährige erzählt, dass er in München zur Welt kam und total drei Geschwister hat. Sein Vater war Dr. iur. Herbert Dubler. Dessen Brüder waren berühmte Leute in der Strohindustrie. «Leo führte die Freiämter Hutgeflechtindustrie, ein anderer namens Paul reiste in der Welt herum, um die Strohfabrikate zu verkaufen», erzählt Gabriel Dubler, der selbst über 80 Länder dieser Welt bereiste. Es waren also seine Urgrossonkel, die in «Chly Paris» mitmischten. Der Zehnkämpfer Dubler – der zwei Geschwister hat – hört gespannt zu und sagt bei der Auflösung: «Thats awesome» – das ist genial. Dubler spricht übrigens fliessend Französisch. Die Mutter ist Belgierin, der Vater wuchs in der Westschweiz auf, bevor er nach Australien auswanderte.
Wegen der WM in Katar ging er in Australien in die Sauna
Das Gesprächsthema geht jeweils schnell wieder zurück zum Sport. Denn dies ist für ihn enorm wichtig. Er erzählt von der WM in der letzten Woche. In Doha, Katar, war es ein etwas anderer Wettkampf. Ausserhalb des Stadions herrschten Temperaturen über 35 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Im offenen Stadion wurde mit der Klimaanlage und Ventilatoren auf 24 Grad heruntergekühlt. In Zeiten des Umweltschutzes eine Farce. «Ich schwitzte die ganze Zeit», meint Dubler. Der 24-Jährige bereitete sich auf die hitzigen Bedingungen gut vor. Unglaublich, aber wahr: Er ging im heissen Australien in die Sauna, um sich an die Temperaturen in Katar zu gewöhnen.
Bitte kein Reis und Poulet
Nun sitzt er in der kalten und regnerischen Schweiz. Im Restaurant «Marco Polo» zeigt die Uhr Punkt 12. Er hat Hunger. Der schlanke Mann, dessen Körperfettanteil gegen null geht, übersetzt mit seinem Handy die Speisekarte – wie von Zauberhand werden die Wörter vom Deutsch ins Englische transferiert. Aus «Pouletbrust mit Reis» wird auf seinem Smartphone «Chickenbreast with Rice». Dubler rümpft die Nase. «Bitte nicht. Bitte kein Reis. Bitte kein Chicken.» Er muss laut lachen. In Katar habe es fast ausschliesslich Reis gegeben – mit Poulet. Das australische Team habe reagiert und selbst für die Verpflegung gesorgt. «Das Essen war nicht gut, aber unser Staff hat das Beste aus der Situation gemacht», sagt Dubler. Im «Marco Polo» bestellt er schliesslich ein Rumpsteak.
«Dabla», wie ihn die Australier nennen, flog nach der WM nicht wie die anderen Australier nach Hause, sondern er stieg in den Flieger in die Schweiz – gemeinsam mit allen Schweizer Leichtathleten. «Ich habe aber mit niemandem reden können, weil ich den ganzen Flug geschlafen habe.»
Im Schlaf hat er vielleicht von einer Olympia-Medaille geträumt. Tokio 2020 ist sein grosses Ziel. Seine Qualifikation für Olympia ist wahrscheinlich. «Die Australier wollen die Goldmedaille», meint Dubler. Was traut er sich zu? «An einem guten Tag kann ich es in die Top 5 schaffen. Und mit etwas Glück schaffe ich es unter die besten drei», so Dubler. Eine Medaille an Olympia oder Weltmeisterschaft ist sein grosses Ziel. Ab März beginnt die intensive Vorbereitung für die Olympischen Spiele. «Ich werde bereit sein», verspricht Dubler. Und falls er eine Medaille holt, «gehört ein grosser Teil Australien – und ein kleiner Teil würde Wohlen gehören», meint er lächelnd.
In dieser Woche ist er unterwegs in der Schweiz. Wieder einmal. Denn er besucht schon sein ganzes Leben lang regelmässig dieses Land, «wo die Landschaft grün ist und die Leute nett». Engelberg, Crissier, Baar. Verwandtenbesuch. «Die Schweiz ist meine zweite Heimat», so Dubler. Nächste Woche geht er mit einem Freund für eine Woche in den Urlaub, bevor der Trainingsalltag für den Spitzensportler wieder losgeht.
«This is exclusive» – dank des Grossvaters
Er gibt eigentlich drei Wochen vor und drei Wochen nach einem wichtigen Wettkampf (wie jetzt die WM) keine Interviews. Für diese Zeitung machte er eine Ausnahme, reist extra für ein Treffen ins Freiamt. «This is exclusive – das ist exklusiv, meint er. Dubler macht damit besonders seinem Grossvater Gabriel Dubler eine Freude. Er ist 94 Jahre alt, lebt in Baar, «und ist im Kopf so fit, dass er mich immer im Kartenspiel Rommé fertigmacht». Weil der Grossvater ihn darum bat, reiste der Australier extra nach Wohlen an – auf der Durchfahrt von Engelberg nach Crissier liegt das Freiamt ja nicht unbedingt auf der Strecke. «Ich habe es gern gemacht, auch für meinen Grossvater.» Und auch für ihn persönlich, denn er lernte viel über seine Wurzeln und seinen Heimatort Wohlen. «I like Wohlen.» Es sei ein «interessanter Ort.
Nach dem Gespräch im «Marco Polo» werden noch einige Fotos gemacht – dabei erfährt er noch mehr über die Strohindustrie. Dubler besucht die katholische Kirche und ist «impressed» – beeindruckt. Es regnet in Strömen. Währenddem Fotos gemacht werden, steht er im Regen. Er lächelt trotzdem. «Es ist nur Regen. Und nach dem Regen scheint wieder die Sonne», strahlt der australische Sonnyboy. Bemerkenswert: Wenige Stunden vor dem Treffen schreibt sein 94-jähriger Grossvater Gabriel Dubler in einem E-Mail an die Redaktion folgende Zeilen: «Auch bei lausigem Wetter finde ich immer was zum Lachen.» Der beste Beweis, dass die beiden verwandt sind.





